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MieterEcho 397 / August 2018

Desaster zum Semesterbeginn

Wohnungsmangel und hohe Angebotsmieten treffen Studierende besonders hart

Von Philipp Mattern

Im Herbst werden sie wieder durch die Medien gehen, die Bilder und Berichte von der studentischen Wohnungsnot: Erstsemester, die in Turnhallen schlafen, übervolle Wartelisten für Wohnheimplätze, verzweifelte WG-Gesuche und die verdeckte Obdachlosigkeit junger Menschen, die monatelang auf den Sofas ihrer Freund/innen und Bekannten unterkommen. Das sind nur einige Facetten eines seit mehreren Jahren bekannten und sich regelmäßig wiederholenden Phänomens. Aber was ist das Besondere an der studentischen Wohnungsnot?


Die Wohnungsmarktprobleme betreffen Studierende auf eine spezielle Weise. Das hat verschiedene Ursachen. Erstens ist die Nachfrage nach studentischem Wohnraum sehr hohen und im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen außergewöhnlichen Schwankungen ausgesetzt. Die Versorgungsengpässe in ihrer krassesten Form zeigen sich vor allem zum Start des Wintersemesters, wenn Studienanfänger/innen in großer Zahl in die Stadt kommen. Der Wohnungsmarkt hält keine ausreichenden Ressourcen bereit, um diese temporär sehr hohe Nachfrage zeitnah zu absorbieren. Der Konkurrenzkampf um geeigneten Wohnraum ist enorm. Vor allem in den sogenannten Universitätsstädten kennt man diese schwierige Situation zum Teil schon wesentlich länger als in Berlin.
Zweitens sind Studierende den Folgen von Wohnungsmarktdynamiken sehr unmittelbar ausgeliefert, da es sich bei ihnen um eine Gruppe mit hoher Mobilität und Fluktuation handelt. Sie bekommen den Wohnungsmangel und die steigenden Neuvertragsmieten direkt zu spüren. Zum Bachelorstudium geht es in die eine Stadt, zum Master in die nächste, zwischendurch ins Ausland und dann wieder zurück. Studierende ziehen überdurchschnittlich häufig um. Und sie wählen Wohnformen, die oft nur auf begrenzte Zeit angelegt sind. Kaum eine andere Wohnform hat eine so geringe Halbwertzeit wie die Studenten-WG. Wenn beispielsweise Senior/innen über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg in derselben Wohnung leben, ist das nicht ungewöhnlich. Bei Studierenden ist das selten der Fall. Folglich sind die Problemlagen der Studierenden anders dimensioniert, als sie es bei anderen Mieter/innen sind.

Hohe Fluktuation, niedrige Einkommen

Während der Druck auf langjährige Bestandsmieten für viele Haushalte in dieser Stadt das erstrangige Problem darstellt, spielt diese Entwicklung für einen Großteil der Studierenden – und erst Recht für die Studienanfänger/innen – eine untergeordnete Rolle. Denn nur in seltenen Fällen kommen sie überhaupt in den Genuss, in einer (noch) vergleichsweise günstigen Wohnung zu leben. Ihr größtes Problem ist der Wohnungsmangel, der bei der Suche nach einer Unterkunft spürbar wird. Ist diese Hürde überwunden, folgt das nächste Problem in Form der hohen Neuvertragsmiete, die bei der Anmietung einer Wohnung fällig wird. Gleichwohl darf nicht verschwiegen werden, dass Studierende gerade aufgrund der hohen Fluktuation eine bei manchen Vermietern nicht ungern gesehene Zielgruppe sind.
Drittens verfügen Studierende über ein vergleichsweise niedriges Haushaltseinkommen und gehören zu den zahlungsschwachen Nachfragegruppen. Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigt, dass Berliner Studierende im Jahr 2016 durchschnittliche Einnahmen von knapp über 1.000 Euro monatlich hatten. Das ist im bundesweiten Vergleich sogar einer der Spitzenwerte. Jedoch verbergen sich hinter diesem Durchschnitt eine recht breite Streuung und eine hohe Abhängigkeit von den Zuwendungen der Eltern, die den mit Abstand größten Posten bei den Einkommen von Studierenden ausmachen. Der Lebensstandard von Studierenden und damit auch ihr Zugang zum Wohnungsmarkt hängen nicht unwesentlich von ihrer sozialen Herkunft ab. Das gilt nicht nur für die Höhe der leistbaren Miete, sondern auch in Bezug auf die Bonität, die in vielen Fällen nur durch eine Bürgschaft der Eltern oder anderer Familienangehöriger gewährleistet wird. Die materiellen Verhältnisse des Elternhauses sind damit ein wesentlicher Faktor, aber auch das Alter der Studierenden macht einen großen Unterschied. Über eigene Erwerbseinkommen und eigene Wohnungen verfügen vor allem die fortgeschrittenen Semester.
Berliner Studierende gaben 2016 im Durchschnitt 362 Euro für die Miete einschließlich Nebenkosten aus, das sind gut 36% ihrer durchschnittlichen Einnahmen. Die Höhe der Miete hängt auch von der Wohnform ab. Besonders preiswert lebt es sich in den öffentlichen Wohnheimen, am teuersten in der eigenen Wohnung. Wohngemeinschaften liegen dazwischen.
Insgesamt belegt Berlin inzwischen Platz fünf der bundesweit höchsten Wohnkosten für Studierende. Die Ausgaben für die Wohnung sind hier innerhalb von nur vier Jahren um ganze 14% gestiegen. Das ist im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich und mehr als der Zuwachs auf der Einnahmeseite.

Nur 250 Euro Wohnpauschale

Viertens ist die besondere sozialrechtliche Stellung von Studierenden hervorzuheben. Sie haben Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), sofern ihr eigenes Einkommen und das ihrer Eltern nicht ausreichen. Der grundsätzliche Anspruch auf BAföG-Leistungen schließt jedoch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – den Bezug anderer Sozialleistungen aus. Das heißt, Studierende können in der Regel kein Hartz IV oder Wohngeld beziehen, auch nicht ergänzend zum BAföG. Die im BAföG vorgesehene Wohnpauschale ist mit gerade einmal 250 Euro jedoch äußerst gering bemessen. Sie liegt auch wesentlich unter dem Wert der für Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewendeten AV-Wohnen. Die AV-Wohnen sieht für einen 1-Personen-Haushalt 404 Euro bruttokalt zuzüglich Heizkosten vor. Während der Regelbedarf beim BAföG mit 399 Euro nur gering hinter dem Regelsatz von 416 Euro beim Arbeitslosengeld II liegt, klafft bei den Wohnkosten eine riesige Lücke. Studierende, die keine reichen Eltern haben und auf Leistungen nach dem BAföG angewiesen sind, gehören mit Blick auf die steigenden Wohnkosten zu der sozialrechtlich am schlechtesten abgesicherten Gruppe. Gleiches gilt übrigens für Auszubildende, die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) beziehen. Auch dort sind angelehnt an das BAföG Wohnkosten von maximal 250 Euro vorgesehen.
Die Erhöhung dieser Sätze und eine Anpassung an die realen Wohnkosten werden von Studierendenvertreter/innen schon seit Langem gefordert. Das liegt zwar nahe, ist in der Konsequenz aber die falsche Lösung. Denn nicht die niedrige Wohnpauschale, sondern der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist die Ursache des Problems. Hier muss die Politik in die Pflicht genommen werden. Wer Gesetze macht, in denen Wohnkosten von 250 Euro vorgesehen sind, steht in der Verantwortung, ausreichend Wohnraum zu diesen Bedingungen bereit zu stellen. Eine Ausweitung des Angebots, etwa in Form öffentlicher Wohnheimplätze, ist dringend nötig, gerade in Berlin, wo die Versorgungsquote im bundesweiten Vergleich extrem niedrig ist und aufgrund der stark gestiegenen Studierendenzahlen effektiv sogar gesunken ist. Die Diskussion ist keineswegs neu, bereits 2013 wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) der Bau von 5.000 neuen Plätzen angekündigt (MieterEcho Nr. 362/ September 2013). Daraus ist bisher nichts geworden. Nur einige hundert Studierendenapartments konnten durch die landeseigene Berlinovo sowie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften realisiert werden, allerdings mit viel zu teuren Mieten, die auch deutlich über denen beim Studierendenwerk liegen. Letztes verfügt als Anstalt öffentlichen Rechts über gerade einmal rund 9.400 Wohnheimplätze in Berlin. Das ist äußerst wenig für eine Stadt dieser Größe und mit über 180.000 Studierenden. Das weniger als halb so große München hat mehr Wohnheimplätze und selbst Göttingen kommt auf die Hälfte der Berliner Zahl – mit weniger Einwohner/innen als Friedrichshain. Allein zum Beginn des vergangenen Wintersemesters sollen in Berlin noch über 5.000 Personen auf den Wartelisten gestanden haben, die nicht versorgt werden konnten. Ebenso wie die Einwohnerzahl ist auch die Zahl der Studierenden in Berlin deutlich gestiegen, um rund 50.000 in den letzten 10 Jahren. Hier zeigt sich ein allgemein bekanntes Problem auf sehr konkrete Weise: Auch die studentische Wohnungsnot wird sich ohne eine deutliche Erhöhung des Angebots an bezahlbarem und geeignetem Wohnraum nicht beheben lassen.


MieterEcho 397 / August 2018