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MieterEcho 396 / Juni 2018

Aufwertungsmaschine Alte Post

Ein Investorenprojekt in Nordneukölln krönt die langjährige Aufwertungsstrategie des Bezirks – zulasten der Bewohner/innen

Von Armin Kuhn

Die Alte Post in der Karl-Marx-Straße 97-99 im Norden Neuköllns ist fast vollständig eingerüstet. Die markante Gründerzeitfassade verschwindet hinter einer Plane. Das Dach wird neu gedeckt. Aus dem Innenhof ragt ein Baukran hervor. Mehr als 15 Jahre stand das Gebäude leer. Im Jahr 2003 war die Postfiliale in die Neukölln Arcaden einige hundert Meter weiter umgezogen. Seitdem ist das Gebäude bis auf gelegentliche Kunst- und Kulturveranstaltungen ungenutzt. Auch eine Besetzung im November 2015 hat daran nichts geändert. Die Initiative Social Center for All wollte dort ein Sozial- und Kulturzentrum für Anwohner/innen eröffnen, wurde aber nach wenigen Stunden geräumt.


Nun hat ein Investor, die Commodus Real Estate, die Entwicklung der Alten Post in die Hand genommen. Mehr als 50 Millionen Euro steckt das auf Risikoinvestitionen spezialisierte Unternehmen in den Gebäudekomplex. Laut Recherchen der Online-Plattform „digital kompakt“ gehört Commodus zum Firmengeflecht der Samwer-Brüder, die ihre Internet-Millionen (Zalando, Rocket-Internet) vermehrt in Betongold investieren. Franziska Giffey (SPD), bis März 2018 Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, bezeichnete das Projekt als „Meilenstein für die weitere Entwicklung der Karl-Marx-Straße und ein gutes Beispiel, was in Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Unternehmen möglich ist“.
Diese Worte fielen bei der symbolischen „Wiedereröffnung“ der Alten Post im September 2017. Auf einer Pressekonferenz stellten Giffey und der Neuköllner Baustadtrat Jochen Biedermann (B90/Grüne) gemeinsam mit Commodus die Pläne für diese „Schlüsselimmobilie“ vor. Auf mehr als 9.000 m² sollen Büros, Coworking-Spaces, Restaurants, ein Fitness-Center und Läden entstehen. Der Ankermieter mit mehr als der Hälfte der Fläche ist die Firma Regus Management GmbH, mit rund 3.000 Bürocentern in 120 Ländern weltweit größter Anbieter von flexiblen und temporären Arbeits- und Geschäftsräumen. Bei der Pressekonferenz zeigte sich ihr Entwicklungschef Dirk Grimm überzeugt, „dass Neukölln auf seinem Weg zu einem angesagten Szenebezirk von der Revitalisierung der Alten Post profitieren wird“. Damit geht ein langjähriger Traum der Neuköllner SPD in Erfüllung. Seit Anfang der 2000er Jahre hatte sie, allen voran der damalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, „negative Entwicklungstendenzen“, „Abwärtsspiralen“, „Verwahrlosung“ und „gefährliche Orte“ herbeigeredet, um die Notwendigkeit von Aufwertung zu begründen. In einer „Arbeitsfeldbeschreibung“ vom Dezember 2004 wurde Prenzlauer Berg mit seinem „beständigen Aufwärtstrend“ ausdrücklich als Vorbild genannt.

Aufwertungsprojekt „Aktion! Karl-Marx-Straße“

In der Folge rief das Bezirksamt einen Gesprächskreis aus lokalen größeren Einzelhändlern, Banken, Universitäten und Immobilienwirtschaft ins Leben, aus dem im Jahr 2010 das Projekt „Aktion! Karl-Marx-Straße“ hervorging. Das Citymanagement „Aktion! Karl-Marx-Straße“ ist zugleich auch Träger des dort seit 2011 bestehenden Sanierungsgebiets. Mit insgesamt 30 Millionen Euro vom Berliner Senat sollen unter dem Motto „jung, bunt, erfolgreich“ die Einkaufsstraße wiederbelebt, das Wohnumfeld aufgewertet und der öffentliche Raum attraktiver gestaltet werden. Das Entwicklungskonzept, das sich fast wortgleich in der Sanierungssatzung wiederfindet, ist voll von Maßnahmen zur „Verbesserung der Aufenthaltsqualität“, zur „Stabilisierung der Wohnfunktion“ und zur Aufwertung vom „Stadtraum zum Erlebnisraum“. Die Alte Post nimmt hier eine zentrale Rolle ein, als „Front-Office für die Kultur- und Kreativwirtschaft Neuköllns als Bestandteil dieses in Berlin boomenden Wirtschaftszweigs“.
Über Jahre versuchte die „Aktion! Karl-Marx-Straße“, der Alten Post durch Zwischennutzungen beispielsweise zur Fashion-Week oder im Rahmen des Festivals „48h Neukölln“ neuen Glanz und ein Kreativ-Image zu verschaffen. Entscheidender für die Kaufentscheidung von Commodus im Juni 2016 war aber wohl die Umgestaltung des benachbarten Platzes der Stadt Hof, heute Alfred-Scholz-Platz. In die Verkehrsberuhigung der Ganghoferstraße und den Bau von Sitzgelegenheiten flossen mehr als 14 Millionen Euro öffentliche Gelder. Neben einer verbesserten Aufenthaltsqualität bietet heute dort anstelle eines von Straßenlärm umtobten China-Imbisses die „Rixbox“ Espresso und hochwertiges Fast-Food für die trendige Neu-Neuköllner Mittelschicht. Für diese Zielgruppe soll die Alte Post ab Ende 2019 nicht nur Einzelhandel, Coworking-Spaces und Restaurants bieten, sondern auch Wohnraum. Zusätzlich zum Umbau des Hauptgebäudes stockt Commodus das ehemalige Fernmeldeamt im Innenhof um zwei Etagen auf, ergänzt um einen Neubau. Hier entstehen Apartments für Studierende und „Young Professionals“ sowie hochwertige Maisonette-Wohnungen mit vier bis sechs Zimmern. Die Mieten der insgesamt 73 Wohnungen werden laut Commodus-Geschäftsführer Jörg Möller in der Größenordnung von 14 Euro/m² liegen.
Damit setzt sich das Projekt an die Spitze einer dramatischen Entwicklung, die den Stadtteil in den vergangenen zehn Jahren überrollt hat. In der Gegend rund um das Rathaus Neukölln, die gemessen an den verfügbaren Einkommen zu den ärmsten Berlins gehört, sind die Angebotsmieten seit 2009 um 110% gestiegen. Wer heute eine Wohnung sucht, muss im Durchschnitt mit 11 Euro/m² nettokalt rechnen. In der gesamten Nachbarschaft wird modernisiert. Jedes Jahr werden mehr als 100 Mietwohnungen als Eigentumswohnung verkauft. Der seit Juli 2016 geltende Milieuschutz kann in diesem Gebiet wegen der vielen Ausnahmeregelungen kaum etwas gegen die anhaltend steigenden Mieten und die Verdrängung einkommensarmer Bewohner/innen ausrichten.
Hier rächt sich die jahrelange Blindheit der Neuköllner SPD. Noch vor drei Jahren, als die Mietpreisspirale in Neukölln schon in vollem Gang war, hatte Giffey bei ihrem Amtsantritt das Ziel ausgegeben, Neukölln „vom Problembezirk zum Innovationsbezirk“ machen zu wollen. Der bis 2016 amtierende Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) hatte bis zuletzt den Erlass von Milieuschutz-Satzungen blockiert und stattdessen Investoren für seine Aufwertungsstrategie umworben.

Projekt für die kreative Klasse statt Schnäppchen-Markt

Auch beim Nachbargebäude der Alten Post, dem ehemaligen Sinn-Leffers-Kaufhaus und heutigem Karstadt-Outlet, ist ihm das gelungen. 2015 wurde das Gebäude mit den angrenzenden Parkhäusern von der „S Immo Germany“ gekauft, einem Tochterunternehmen der österreichischen „S Immo AG“, das sich seit Jahren auf Einkaufstour in Berlin und Ostdeutschland befindet. Im Mai 2016 stellte der Investor seine Umbaupläne für das zukünftige „101 Neukölln“ vor: ein Büro- und Einzelhandelskomplex mit Restaurants und Cafés für die „Kreative Klasse“ Neuköllns, die rund um drei neue, aus den Parkebenen herausgesägte Innenhöfe gruppiert werden sollen. Bei der Vorstellung der Pläne freute sich Blesing, „den Investoren mit der Umgestaltung des Alfred-Scholz-Platzes eine Steilvorlage gegeben“ zu haben.
Mit den Umbauplänen der Alten Post und des benachbarten Kaufhauses mit dem Karstadt-Schnäppchen-Center droht der Block zwischen Karl-Marx-, Anzengruber-, Donau- und Ganghoferstraße endgültig zu einer Aufwertungsmaschine für den ohnehin schon „boomenden“ Kiez zwischen Rathaus Neukölln und Richardplatz zu werden. Das kooperative Baulandmodell, demzufolge seit 2015 unter diesem Modell entstehende Neubauten mindestens 30% Sozialwohnungen aufweisen sollen, wurde bei der Alten Post nicht angewendet. Statt dem dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum entstehen somit hochpreisige Wohn- und Gewerberäume, die die Verdrängung der Bewohner/innen und des bestehenden Einzelhandels weiter anheizen werden. Mit der Schließung des Schnäppchen-Centers wird zusätzlich eines der wichtigsten Nahversorgungsangebote für Menschen mit wenig Geld Opfer dieser Entwicklung. Noch ist unklar, ob und wie der Umbau des Kaufhauses realisiert wird. Die ursprünglich angekündigte Neueröffnung Anfang 2019 wird kaum zu halten sein, denn bisher wurden die Bauarbeiten nicht begonnen. Auf Immobilienmessen schmückt sich die „S Immo“ aber nach wie vor mit dem Projekt. Und auf der Projekt-Website von „101 Neukölln“ hat Giffey noch im März 2018 ein wohlwollendes Interview gegeben, bevor sie sich ins Bundesfamilienministerium verabschiedete. Sie sei „optimistisch, dass sich durch 101 Neukölln der positive Entwicklungstrend im Bezirk fortsetzt“.


MieterEcho 396 / Juni 2018

Schlüsselbegriffe: Berlin, Neukölln, Alte Post, Aufwertung, Investor, Nordneukölln, Szenebezirk, Problembezirk,