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MieterEcho 391 / Oktober 2017

Wirtschaftlichkeit des Vorkaufsrechts

Friedrichshainer Mieter/innen bangen trotz Milieuschutz der Spekulation eines
Luxemburger Investors zum Opfer zu fallen, Bezirk will erneut das Vorkaufsrecht ausüben

Von Jutta Blume

Über den anstehenden Verkauf ihres Hauses erfuhren die Mieter/innen der Matternstraße 4 in Friedrichshain mehr oder weniger zufällig. Nach einer Mieterhöhung verlangte der Mieter Martin Strubelt Einsicht ins Grundbuch. Just am Vortag, dem 26. Juli 2017, war der Käufer Albert Immo 5 S.a.r.l. mit Sitz in Luxemburg vorgemerkt worden. Bislang ist der Verkauf noch nicht vollzogen. Da sich das Haus im sozialen Erhaltungsgebiet Petersburger Platz befindet, muss der Bezirk den Verkauf erst prüfen und genehmigen.

 

Die Mieter/innen fordern vom Bezirk, über die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM das Vorkaufsrecht auszuüben. Von der Luxemburger Immobiliengesellschaft Albert Immo 5 S.a.r.l. erwarten sie nichts Gutes, schon allein deshalb, weil sie bereit ist, für das Mietshaus mit 33 Wohnungen 5,1 Millionen Euro zu zahlen, was einem Quadratmeterpreis von 2.711 Euro entspricht. Demgegenüber stehen Nettokaltmieten von durchschnittlich 6,43 Euro/m². „Die Käufer würden eine so geringe Rendite erzielen, dass es sich bei dem Geschäft vermutlich um Spekulation handelt“, meint Strubelt. Um die Rendite zu erhöhen, müssten die Mieten kräftig steigen, doch da wohnwertsteigernde Modernisierungsmaßnahmen im Milieuschutzgebiet nur begrenzt erlaubt sind, ist es vorstellbar, dass der Käufer das Haus lieber entmieten und in Einzeleigentum umwandeln möchte. Ein Drittel der Mieter/innen haben geringe oder prekäre Einkommen oder sind auf Arbeitslosengeld oder Grundsicherung angewiesen. Modernisierungen wurden seit Anfang der 1990er Jahre in Eigenleistung durchgeführt, sodass sie nicht auf die Mieten aufgeschlagen werden konnten und können.

 

Überhöhter Kaufpreisfaktor

Das Missverhältnis aus relativ günstigen Mieten und einem überhöhten Kaufpreis 
könnte nun auch dem Vorkauf durch den Bezirk zugunsten der landeseigenen WBM im Weg stehen, befürchtet Strubelt. Nach Informationen der Mieter/innen habe auch die WBM Wirtschaftlichkeitsgrenzen. Wenn der Kaufpreis mehr als das 35-fache der Jahresnettokaltmiete betrage, sei dies für die kommunale Wohnungsbaugesellschaft schlichtweg zu teuer. Der Kaufpreisfaktor müsse auf höchstens das 26-fache der Jahresmiete gesenkt werden.
„Wir haben eine große Versammlung im Haus gehabt und Szenarien durchgerechnet, auch, welche Mieterhöhungen wir uns in welchem Zeitraum vorstellen könnten“, berichtet Strubelt.
Der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (B90/Grüne), betont, dass es keinen Richtwert für den Kaufpreisfaktor gibt. Letztendlich müsse jedes Haus einzeln begutachtet werden. „Darüber hinaus ist es wichtig, dass der Bezirk und seine Partner unberechenbar bleiben für die spekulativen Immobilienentwickler, damit diese keine Gegenstrategien entwickeln können.“ Über eine Höchstgrenze beim kommunalen Kauf schwieg auch Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) gegenüber der Presse. „Es gibt eine Grenze, aber wir werden sie nicht sagen“, zitierte die Berliner Zeitung am 16. August den Senator. Die Finanzverwaltung will die Bezirke mit einem Topf von 100 Millionen Euro bei der Ausübung des Vorkaufsrechts unterstützen, allerdings müssten die Käufe finanziell tragfähig bleiben. 
Auf der BVV-Sitzung vom 20. September hat Schmidt bestätigt, dass über die WBM das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll, die WBM hat dies auf ihrer Aufsichtsratssitzung vom 29. September formal beschlossen. Die Senatsfinanzverwaltung wird den Kauf unterstützen, aber auch die Mieter/innen werden sich mit einer geringen Mieterhöhung beteiligen müssen.             

 

Über die verschiedenen Gesellschaften mit den Namen Albert Immo 1 S.a.r.l bis Albert Immo 5 S.a.r.l. ist bislang nicht viel bekannt. Ihren Firmensitz haben sie in Windhof in Luxemburg, die Gesellschaften 3 bis 5 wurden zwischen Mitte Juni und Anfang 2017 registriert, haben dieselben Geschäftsführer und jeweils ein Grundkapital von 90.000 Euro. 


MieterEcho 391 / Oktober 2017

Schlüsselbegriffe: Wirtschaftlichkeit, Vorkaufsrecht, Matternstraße 4, Friedrichshain, Mieterhöhung, städtische Wohnungsbaugesellschaft, WBM, Milieuschutz, Spekulation, Modernisierungsmaßnahmen, überhöhter Kaufpreis, Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen