Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 391 / Oktober 2017

Neubauziele fast schon Makulatur

Neubauziele fast schon Makulatur

Von Rainer Balcerowiak

 

Die Wohnungspolitik gehört zu den wichtigsten Elementen des Koalitionsvertrags, der seit knapp einem Jahr die Grundlage für die rot-rot-grüne Regierung in Berlin bildet. Versprochen wurde darin unter anderem der Bau von 20.000 Wohnungen pro Jahr, davon mindestens 6.000 durch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Zusätzlich sollen Ankäufe dafür sorgen, dass der Bestand der kommunalen Gesellschaften während der Legislaturperiode um insgesamt 55.000 Wohneinheiten wächst. 

 

Zur Liegenschaftspolitik heißt es im Koalitionsvertrag: „Flächen für den Wohnungsbau sollen an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, soziale Bauträger wie auch Baugruppen vergeben werden. Die Kriterien werden so ausgestaltet, dass der Anteil von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung 30 bis 50% der Wohnfläche beträgt. Durch eine kleinteilige Parzellierung von Flächen, transparente Verfahren und Konzeptvergaben in Erbbaurecht soll ein niederschwelliger Zugang zu Liegenschaften für gemeinwohlorientierte Nutzergruppen und Träger sowie Genossenschaften gesichert werden.“ 

Doch allmählich macht sich Ernüchterung breit. 2017 werden die kommunalen Gesellschaften weniger als die Hälfte der angestrebten 6.000 Wohnungen fertigstellen. Und der Rückgang bei den Bauanträgen lässt auch für die kommenden Jahre nichts Gutes erwarten. Private Bauträger sind in der „Boomstadt“ Berlin zwar nach wie vor aktiv, konzentrieren sich aber auf das Luxussegment. Und auch die Förderungsinstrumente greifen derzeit so gut wie gar nicht. Laut Senatsverwaltung wurden im ersten Halbjahr 2017 lediglich 336 geförderte Wohnungen bezugsfertig.

Beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) sieht man die Entwicklung mit Sorge. Nicht nur der Rückgang der Baugenehmigungen und Fertigstellungen im ersten Halbjahr 2017 weckte Zweifel an der Erreichbarkeit der gesetzten Ziele, so ein BBU-Sprecher gegenüber dem Mieter-Echo. Es fehle zudem an einer aktiven Liegenschaftspolitik, also der Erschließung neuer Flächen für den Wohnungsbau, die dann kostengünstig nicht nur an die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch an Genossenschaften und private Bauträger vergeben werden könnten. Als weitere Schwachpunkte der aktuellen Wohnungsbaupolitik sieht man beim BBU die nach wie vor schleppende Genehmigungspraxis bei Bauanträgen in den Bezirken und immer neue Formen der Bürgerbeteiligung. Beim BBU geht man davon aus, dass es in der laufenden Legislaturperiode auch beim Herzstück des Wohnungsbaus, den elf Stadtentwicklungsgebieten, sowohl zu erheblichen Verzögerungen als auch zu deutlichen Abstrichen bei der Zahl der ursprünglich geplanten Wohnungen kommen wird.


Bürgerprotest verhindert Wohnungsbau

Auch kleinteilige Projekte geraten immer wieder ins Visier von Bürgerprotesten, vor denen dann selbst die Bezirksämter zurückweichen. Ein aktuelles Beispiel ist der bereits baureif geplante Wohnturm auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte, den die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) nach Protesten nicht mehr realisieren kann, weil der Bezirk das Projekt blockiert hat – mit Unterstützung der zuständigen Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Die Linke). Die nunmehr diskutierten Alternativen einer Randbebauung der Fischerinsel bieten nicht nur weniger Wohnraum, sondern sind wegen der zusätzlichen Planungskosten auch erheblich teurer und können zudem nicht wie ursprünglich geplant bis 2020 fertiggestellt werden. Deswegen verlangte die WBM für dieses Projekt auch eine Freistellung von der Kooperationsvereinbarung, die einen 50%igen Anteil von Wohnungen mit einer Miethöhe von 6,50 Euro/m² nettokalt vorsieht. Dies lehnt die Senatorin bislang allerdings ab. Dennoch ist dies ein besonders krasser Fall, wie in einer politischen Hochburg der Partei Die Linke die Schaffung preiswerten Wohnraums durch Proteste von Anrainer/innen nicht nur verzögert, sondern teilweise sogar unmittelbar verhindert wird. 

Auch beim Dachgeschossausbau und der Schließung von Baulücken stehen die Zeichen wieder mal auf Stopp. Nicht nur beim BBU, sondern auch bei einigen Genossenschaften und anderen Bauträgern sorgt ein Rundschreiben der Senatorin von August 2017 für Entsetzen, der die Fällung und den Rückschnitt von Straßenbäumen verbietet, auch wenn diese Eingriffe für die Schaffung eines gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Rettungswegs mittels Erreichbarkeit für Feuerleitern notwendig wären. Bauherren müssten stattdessen ein zusätzliches Sicherheitstreppenhaus errichten, was die Kosten explodieren lässt und daher eher entsprechend abschreckend wirkt. „Bei solchen neuen Auflagen ist es kein Wunder, dass Bauzeiten immer länger werden und Baukosten immer weiter steigen“, kommentierte BBU-Vorstand Maren Kern im Tagesspiegel das Rundschreiben. Senatorin Lompscher habe ihren Schwerpunkt eindeutig auf den Schutz von Bestandsmieter/innen in den kommunalen Gesellschaften und von Mieter/innen des alten sozialen Wohnungsbau gesetzt und wolle natürlich auch Rücksicht auf ihre eher „neubaukritische“ Klientel nehmen, ergänzte der BBU-Sprecher gegenüber dem MieterEcho. Für die immer dramatischere Knappheit an bezahlbarem Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung sei das kein gutes Signal. 

Selbst der seit den Querelen um die Berufung und Entlassung des Wohnungsstaatssekretärs Andrej Holm auf größtmögliche Harmonie im Senat bedachte Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) deutet mittlerweile gewisse Irritationen an. Es gebe im Stadtentwicklungsressort offensichtlich eine „Akzentverschiebung“ in Richtung Mietenregulierung und „weniger in Bauaktivitäten“, sagte Müller bei einem Pressefrühstück der Industrie- und Handelskammer. Die SPD werde massiv darauf drängen, dass die vereinbarten Zahlen erreicht werden. Senat wird allmählich unruhig

Da reibt man sich verwundert die Augen. Ausgerechnet die SPD, die seit der Jahrtausendwende maßgeblich dafür verantwortlich war, dass der Wohnungsneubau in der Stadt faktisch zum Erliegen kam, spielt sich derzeit als Gralshüter einer engagierten Neubaupolitik auf. Ganz abwegig ist dies angesichts der Parteienkonstellation in der neuen Berliner Landesregierung allerdings nicht. Seit dem erfolgreichen Volksentscheid zur Verhinderung der vom damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller vehement angestrebten Bebauung des Tempelhofer Felds gehören Linke und Grüne zu den Eckpfeilern einer ziemlich bunten „Anti-Neubau-Koalition“ in der Stadt. Und in den Koalitionsverhandlungen konnten sie sich mit dieser Haltung teilweise auch durchsetzen. Das größte der zwölf Stadtentwicklungsgebiete, die Elisabeth-Aue in Pankow, wurde ersatzlos gestrichen – mit ausdrücklicher Unterstützung der jetzigen Stadtentwicklungssenatorin Lompscher.

Nach außen gibt man sich in ihrer Behörde dennoch relativ gelassen, wie aus einer ausführlichen Antwort auf einen Fragenkatalog des MieterEchos hervorgeht. Trotz der gesunkenen Anzahl der Baugenehmigungen rechne man 2017 „mit der gleichen Bauintensität und Fertigstellung wie 2016“, als 13.659 Wohnungen fertiggestellt wurden. Das bliebe allerdings weit hinter der „Planvorgabe“ der Koalitionsvereinbarung zurück, in der von 20.000 Wohnungen pro Jahr die Rede ist. Auch bei den Bauvorhaben der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sieht es mau aus. Geplant ist demnach für 2017 lediglich die Fertigstellung von 2.832 Wohnungen – bei einem im Koalitionsvertrag festgelegten Jahresmittel für die gesamte Legislaturperiode von 6.000 Einheiten. Diese Marke wird erstmals für 2018 angestrebt und müsste in den folgenden drei Jahren deutlich übertroffen werden, um die angepeilte Gesamtzahl von 30.000 noch zu erreichen. Zu den elf großen Entwicklungsquartieren mit insgesamt 37.000 Geschosswohnungen heißt es in der Stellungnahme eher vorsichtig: „Die geplante Anzahl der Wohneinheiten wie auch die Zeitpläne zur Realisierung der Quartiere unterliegen den für diese Stadien der Planung üblichen Einflüssen und werden nach Bedarf aktualisiert.“ Man hätte auch „reduziert“ sagen können, denn genau darauf laufen die meisten Beteiligungsverfahren hinaus.

Vollends Makulatur würden die angesichts des akuten Bedarfs und des prognostizierten Bevölkerungswachstums der Stadt ohnehin nur mäßig ambitionierten Neubauzahlen für den Fall, dass der Flughafen Tegel in dieser Legislaturperiode oder gar dauerhaft in Betrieb bleibt. Denn allein im neunten Entwicklungsgebiet, dem „Schumacher-Quartier“ auf dem TXL-Gelände, sollen 5.000 Wohnungen entstehen. Dies, so die Senatsverwaltung, sei ein „wichtiger Beitrag zur Erreichung der Neubauziele“.

 

Brandbrief der Wohnungsbaugesellschaften

Mittlerweile schlagen die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften regelrecht Alarm. In einem Brandbrief an Stadtentwicklungssenatorin Lompscher, über den der Tagesspiegel am 12. September berichtete, warnen die Gesellschaften angesichts des weiteren Wachstums der Stadt vor dramatischen Wohnraumversorgungslücken, wenn der Neubau nicht konsequent vorangetrieben werde. Es sei ein Alarmzeichen, dass die in der „Roadmap“ für den Neubau im vergangenen Jahr vereinbarten Ziele bis 2020 „absehbar deutlich in Gefahr geraten“ und zwar „durch viele externe Einflüsse, die wir nicht oder nur im geringem Maße beeinflussen können“, heißt es im Brief. So würden zur Erreichung der vereinbarten Neubauziele „sehr kurzfristig“ weitere Einbringungsflächen des Landes Berlin benötigt, da der Ankauf baureifer Grundstücke auf dem Markt für die landeseigenen Wohnungsunternehmen „in der Regel nicht mehr wirtschaftlich darstellbar“ sei. Verschärft habe sich die Situation durch den Verzicht auf das bereits fest eingeplante Entwicklungsgebiet Elisabeth-Aue in Pankow und die Verzögerungen und Unwägbarkeiten bei der Nachnutzung der Flächen auf und um den Flughafen Tegel. Um dies kompensieren zu können, müssten „möglichst noch in diesem Jahr weitere Flächen des Landes aktiviert und auch schon konkret eingebracht werden, um bis 2021 Fertigstellungen oder zumindest Baubeginne realisieren zu können“. Doch der Mangel an baureifen Grundstücken ist bei Weitem nicht die einzige Sorge der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, denn man stelle fest, „dass durch die Zuweisung der Zuständigkeit an die Bezirke für die Schaffung von Baurecht schon jetzt deutliche Verzögerungen in einzelnen Bauprojekten entstanden sind“. Dies liege auch an der teilweise ablehnenden „Haltung auf Bezirks-ebene zur grundsätzlichen Durchführung“ von Neubauprojekten, was dazu führe, „dass insgesamt die Baugenehmigungszahlen unserer Projekte schon jetzt absehbar rückläufig sind“.

Kopfzerbrechen bereiten den Gesellschaften auch die deutlich ausgeweiteten Formen der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Umsetzung von Neubauvorhaben. Man sei zwar wie die Senatsverwaltung der Auffassung, „dass partizipative Prozesse mit dem Ziel, einen möglichst breiten Konsens über die Art der Ausführung von Neubauvorhaben zu erzielen, sinnvoll und notwendig sind“. Allerdings sei festzustellen, „dass durch die politische Priorisierung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema ‚Partizipation‘ fast bei jedem Bauvorhaben alle mittelbar oder unmittelbar Beteiligten motiviert werden, Bauprojekte grundsätzlich verhindern und infrage stellen zu können“.

Derzeit gehen die Gesellschaften davon aus, dass sich bei zukünftigen Projekten bereits die Vorbereitungsphase für einen Bauantrag um bis zu zwölf Monate verlängern könnte. Zudem verursachten die neuen Partizipationsinstrumente auch erhebliche Mehrkosten, da derartige Verfahren „nur mit externer Begleitung für Moderation/Mediation durchführbar“ seien. Zudem würde man seit Monaten erfahren, dass durch die neuen Abläufe regelrecht dazu ermuntert würde, dass „die formalen Mittel des Widerspruchs oder der Klage gegen erteilte Baugenehmigungen massiv genutzt werden und damit Projekte in jedem Fall zeitlich deutlich verzögert, im worst case aber auch ganz verhindert werden können“.

 

Das „Wie“ , nicht das „Ob“ von Wohnungsbau

Im Brief wird vom der Senatorin eine eindeutige „politische Priorisierung der Notwendigkeit von umfangreichen Neubauaktivitäten“ gefordert. Der Senat müsse „ein möglichst konsequentes und nachhaltiges kommunikatives Signal senden, sich maximal über das ‚Wie‘, aber nicht über das ‚Ob‘ von Neubauten zu unterhalten“. Diese Priorisierung müsse sich auch in den Leitlinien für den Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 wiederfinden, was aber trotz entsprechender Vorstöße bislang nicht der Fall sei. Nötig sei ferner ein starkes Signal an die Bezirke. Denkbar sei die „kurzfristige Vereinbarung von konkreten ‚Baugenehmigungszielzahlen‘, verbunden mit entsprechenden Prämien für die einzelnen Bezirke“. Es brauche „Konsequenz im politischen Handeln bezüglich der grundsätzlichen Realisierung von Neubauvorhaben“ und es dürfe „keine zu starke Gewichtung von Partikularinteressen im Rahmen von partizipativen Verfahren, sowohl auf Bezirks- als auch auf Landesebene“ geben. Andernfalls seien die gesteckten Ziele nicht zu erreichen.

Lompscher reagierte betont gelassen auf den Brief. „Ich werte das Schreiben als Appell, den eingeschlagenen Weg konsequent weiter zu beschreiten“, erklärte die Senatorin am 20. September in einen Interview in der Berliner Zeitung. Angesichts der dort formulierten deutlichen Warnung vor einem Scheitern der Neubauziele und der Forderung nach einem Umsteuern in der Liegenschafts- und Partizipationspolitik klingt das allerdings eher nach Pfeifen im Walde.

 


MieterEcho 391 / Oktober 2017

Schlüsselbegriffe: Wohnungspolitik, Neubau, Koalitionsvertrag, Liegenschaftspolitik, Stadtentwicklungsgebiete, Bürgerprotest, BBU, Stadtentwicklungssenatorin Lompscher, städtische Wohnungsbaugesellschaften, Partizipation, Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030

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