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MieterEcho 390 / August 2017

Der lange Arm der Immobilienlobby

Von „Mietpreisbremse“ bis „Neubauoffensive“: In der Wohnungspolitik
hat die große Koalition komplett versagt

Von Rainer Balcerowiak

An Ankündigungen hat es wahrlich nicht gemangelt, als die große Koalition aus CDU/CSU und SPD am 13. Dezember 2013 ihren Koalitionsvertrag vorstellte. Um „dem weiter wachsenden Wohnungsbedarf in den Ballungszentren und vielen Groß- und Hochschulstädten, dem notwendigen energetischen Umbau sowie den demografischen und sozialen Herausforderungen zu entsprechen“ , setze die Koalition auf „einen wohnungspolitischen Dreiklang aus einer Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“ .

                            

Angekündigt wurde im Koalitionsvertrag nicht nur die „Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus“, sondern auch dass  die Bundesländer für Städte mit „angespannten Wohnungsmärkten“ die Möglichkeit erhalten sollten, „bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken“. Bei Modernisierungen sollte die von Mieter/innen zu zahlende Umlage bei 10% der Kosten gedeckelt werden und auf die Dauer der Amortisation der Investition begrenzt werden. Ferner sollte durch eine Anpassung der Härtefallklausel im Mietrecht (§ 559 Absatz 4 BGB) „ein wirksamer Schutz der Mieter/innen vor finanzieller Überforderung bei Sanierungen gewährleistet“ werden. Weitere Ankündigungen betrafen eine neue Berechnungsmethode der ortsüblichen Vergleichsmiete, die auf eine breitere Bemessungsbasis gestellt werden sollte. Dabei sollten vor allem – in der Regel vergleichsweise günstige – ältere Bestandsmieten stärker als bisher berücksichtigt werden. Zudem sollte per Gesetz festgelegt werden, dass Maklerkosten und -provisionen nicht mehr auf die Mieter/innen abgewälzt werden dürfen, wenn die Beauftragung der Vermittler durch den Vermieter erfolgte. Weitere Abschnitte widmeten sich der Energieeffizienz, dem Baurecht und den Förderinstrumenten zur Stadt-und Regionalentwicklung, allerdings ohne fassbare Konkretisierungen.

Die Legislaturperiode neigt sich nun dem Ende zu, die Politiker sind längst im Wahlkampfmodus. Zeit für eine Bilanz – und die fällt wahrlich ernüchternd aus. Denn abgesehen von der Streichung der Maklergebühren für Mieter/innen hat die Bundesregierung keine ihrer Ankündigungen umgesetzt.                     

Wirkungslose Mietpreisbremse            

Die vollmundig angekündigte „Mietpreisbremse“ für Neuvermietungen wurde zu einem lächerlichen Konstrukt, das bis zum heutigen Tag keinerlei Wirkung entfaltet. Ursächlich für ihre Wirkungslosigkeit sind zum einen die zahlreichen Ausnahmen. Wenn bereits Vormieter/innen überhöhte Mieten gezahlt haben, unterliegen diese Mieten nicht der von der Mietpreisbremse vorgesehenen Kappungsgrenze in Höhe von 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Ebenso ausgenommen sind Neuvermietungen nach „umfangreichen Modernisierungen“ sowie Wohnungen in Neubauten. Viel gravierender ist jedoch der Vollzug oder besser Nichtvollzug des Gesetzes. Denn zum anderen sind Vermieter nicht verpflichtet, neuen Mieter/innen bei Vertragsabschluss die zuvor verlangte Miete mitzuteilen. Wenn der Vermieter die Auskunft verweigert, können Mieter/innen diese Information nur auf dem Mahn- und Klageweg erhalten, um eine mögliche Mietpreisüberhöhung festzustellen – ein Procedere, das aus verständlichen Gründen kaum Betroffene auf sich nehmen wollen. Und falls es – was äußerst selten vorkommt – dennoch zu entsprechenden Verfahren kommt, muss der Vermieter lediglich die über die Kappungsgrenze hinausgehende zu viel gezahlte Miete zurückzahlen und das auch nur für den Zeitraum seit der Rüge der Mieter/innen. Ein Ordnungs- oder Bußgeld wegen Verstößen gegen die Mietpreisbremse sieht das Gesetz nicht vor. Das heißt, ein Vermieter kann vollkommen risikolos gegen das Gesetz verstoßen und verlangen, was der Markt eben hergibt.

Kommunen, Immobilienverbände und Mieterorganisationen konstatierten daher in diesem Frühjahr in seltener Einmütigkeit, dass die im Juni 2015 in Kraft getretene „Mietpreis-    bremse“ keinerlei dämpfende Wirkung auf die rasante Preisentwicklung bei Neuvermietungen entfaltet habe. Die Mietpreisbremse erweist sich also als Papiertiger. Und die anderen im Koalitionsvertrag formulierten Ziele wurden im Laufe der Legislaturperiode klammheimlich beerdigt. Das gilt sowohl für die Begrenzung von Modernisierungsumlagen auf den Zeitraum ihrer Amortisation als auch für eine erweiterte Härtefallklausel für Mieter/innen.

Bundesländer und Kommunen haben außerhalb der deutlich geschrumpften Bestände der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und des sozialen Wohnungsbaus kaum Instrumente, mietrechtlich in die Bestandspreise einzugreifen. Nur minimale Möglichkeiten für einzelne Wohnquartiere bietet der Erlass von Milieuschutzsatzungen, die dem „Erhalt der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ dienen sollen. Doch die ursprünglich für solche Gebiete vorgesehenen Möglichkeiten zum Erlass von Mietobergrenzen – auch nach Modernisierungen – sind längst durch Bundesrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung ausgehebelt worden. Selbst für die in solchen Milieuschutzgebieten eigentlich vorgesehene Untersagung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gibt es Schlupflöcher. So wird die Umwandlung beispielsweise genehmigt, wenn sich der Hauseigentümer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter/innen zu veräußern. Das Instrumentarium in Milieuschutzgebieten reduziert sich im Wesentlichen auf Restriktionen für bestimmte Luxusmodernisierungen und ein Vorkaufsrecht der Kommune bei spekulativen Verkäufen von Mietshäusern, aber auch das nur in einem sehr eng gesteckten Rahmen. Mit sozialer Wohnraumversorgung hat dieses marktkonforme und eher auf „alternative Mittelschichten“ zugeschnittene Instrument des kommunalen Vorkaufsrechts kaum etwas zu tun. Für die Mietenpolitik lässt sich also konstatieren, dass die große Koalition so gut wie nichts unternommen hat, um die Situation für Mieter/innen zu verbessern. Und entsprechende Bundesratsinitiativen einiger Länder, darunter auch Berlin, verpufften ohne Erfolg.       

 

Mehr Wohnungsbau – aber für wen?            

Was die versprochene Ankurbelung des Wohnungsbaus betrifft, hat die Regierung allerdings auf den ersten Blick etwas geleistet. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen stieg von 2013 bis 2016 um 29% auf rund 277.000 Wohnungen pro Jahr. Um den Fehlbestand von einer Million Wohnungen mittelfristig auszugleichen und der Nachfrage besonders in Ballungszentren und Universitätsstädten gerecht zu werden, müssten allerdings mindestens 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden.

Es geht aber nicht nur um die Quantität. Denn gebaut wurden in den vergangenen Jahren vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser, sowie teure Eigentumswohnungen. Von den 2016 fertig gestellten Objekten waren lediglich 53.000 „normale“ Mietwohnungen, davon wiederum nur 24.500 Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau – obwohl die Angebotslücke in diesem Segment am größten ist. Nach Schätzungen von Mieterorganisationen müsste dieser Anteil zeitnah auf 80.000 bis 100.000 Wohnungen pro Jahr erhöht werden, um eine drastische Verschärfung der Wohnungsnot in wachsenden Ballungsgebieten zu verhindern. Deutlich wird dies auch durch eine andere Zahl. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Fraktion Die Linke ist der Bestand an Sozialwohnungen zwischen 1992 und 2013 von drei auf 1,4 Millionen gesunken. Auch danach sind pro Jahr 40.000 bis 50.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen und für die kommenden Jahre sind Rückgänge in ähnlicher Größenordnung zu erwarten. Das heißt, dass die Neubauzahlen in diesem Bereich noch nicht einmal annähernd auch nur den Schwund decken, von einer Ausweitung ganz zu schweigen.

Zwar hat der Bund seine jährlichen Aufwendungen für die soziale Wohnraumförderung zwischen 2015 und 2017 auf 1,5 Milliarden Euro verdreifacht, doch diese Mittel werden von den dafür zuständigen Ländern ganz unterschiedlich eingesetzt. So haben Länder wie Bayern und Baden-Württemberg vor allem die Eigentumsbildung von Mittelstandsfamilien gefördert.

In der Debatte über die Lösung der deutschen Wohnungskrise lassen sich grob gerastert drei Lager identifizieren. Die Marktradikalen lehnen staatliche Regulierungen weitgehend ab und setzten auf die Stimulierung des Wohnungsbaus durch steuerliche Anreize. Der Markt würde sich auf diese Weise quasi von allein beruhigen, lautet die Kernthese. Mögliche soziale Härten für finanzschwache Mieter/innen sollen nicht durch Eingriffe in die Preisbildung – wie zum Beispiel Mietpreisbremsen –, sondern durch individuelle Alimentation in Form von Wohngeld ausgeglichen werden. Was letztendlich bedeutet, dass der Staat den Hauseigentümern ihre enormen Renditen finanzieren soll.

Die Verfechter der „sozialen Marktwirtschaft“ – allen voran die SPD – setzen auf einen Mix aus Anreizen für Investoren und sozialer Wohnraumförderung, um mittelfristig nicht nur mehr Neubau im Allgemeinen, sondern auch ein bedarfsgerechtes Segment an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen zu schaffen. Aber eben nicht als Wohnraum in öffentlichem Besitz, sondern als klassische Wirtschaftsförderung mit sozial gebundener Zwischennutzung. Auf Länderebene gehören dazu auch Instrumente wie die „kooperative Baulandentwicklung“, bei der die Vergabe von Grundstücken an private Investoren an ein bestimmtes Quorum von Sozialwohnungen gekoppelt wird. Die Profitlogik des Immobilienmarkts wird dabei aber ebenfalls nicht angetastet. Außerdem haben viele Investoren an Fördermitteln, wie beispielsweise zinslosen oder zinsverbilligten Darlehen für die Schaffung von Sozialwohnungen überhaupt kein Interesse, da die Finanzierung auch großer Projekte aufgrund der seit Jahren anhaltenden Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank ohnehin extrem billig ist. Der Run auf das „Betongold“ als Alternative zu herkömmlichen Geldanlagen hat inzwischen dazu geführt, dass selbst die mit solchen Postulaten eher vorsichtige Bundesbank vor einer Überhitzung des Markts und der Gefahr einer „Blasenbildung“ in einigen Städten warnt, weil die von Investoren kalkulierten Verkaufs- oder Vermietungspreise nicht mehr realisierbar sind.      

 

Marktradikalität versus Gemeinwohl            

Bei der dritten Richtung, die auch große Teile der Partei Die Linke verfolgen, wird der Schwerpunkt auf gemeinwirtschaftliche Instrumente gesetzt, ohne am Privateigentum an Immobilien im Mietwohnungssektor etwas ändern zu wollen. In einer Anfang Juni 2017 veröffentlichten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird das Modell einer „neuen Gemeinnützigkeit“ als Alternative zum bisherigen Fördersystem des Sozialen Wohnungsbaus skizziert. Diese soll an den Instrumenten der 1990 vom Deutschen Bundestag abgeschafften „alten“ Gemeinnützigkeit anknüpfen. Durch Steuerbefreiungen, den Erlass von Grundstückskosten, zinsfreie Baudarlehen und den Verzicht auf eine Eigenkapitalverzinsung ließen sich demnach die Kostenmieten bei Neubauten von derzeit im Durchschnitt 10,30 Euro/m² erheblich senken. Zusätzlich wäre der entstehende Wohnraum auch dauerhaft für soziale Zwecke gesichert und würde nicht wie bisher nach Rückzahlung der Förderdarlehen dem „freien Markt“ übergeben werden. Das Konzept einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit wird in leicht abgewandelter Form auch von Bündnis90/Die Grünen und Teilen der SPD unterstützt, während sich die Gewerkschaften eher bedeckt halten. Letzteres ist allerdings nicht verwunderlich, schließlich liegt eine boomende und möglichst profitable private Bau- und Immobilienwirtschaft im ureigenen Interesse vieler Mitglieder und Funktionäre von ver.di und der IG BAU. Die Forderung der Branche nach mehr Steuergeschenken wird dann auch von der IG BAU unterstützt.

Das Gemeinnützigkeitskonzept geht anderen allerdings nicht weit genug. Die 2014 im Umfeld des MieterEchos gegründete „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“ (INKW) will eine Abkehr von der klassischen Wohnungsbauförderung und stattdessen Wohnungsneubau und dessen Bewirtschaftung in unmittelbarer Trägerschaft der öffentlichen Hand. Nur so könnten Wohnungen dauerhaft der Marktlogik entzogen werden, heißt es im Positionspapier der INKW.

Weder für eine neue Gemeinnützigkeit noch für einen groß angelegten kommunalen Wohnungsbau sind jedoch politische Mehrheiten auf Bundes- und Länderebene in Sichtweite. Im Gegenteil: Eine durchaus mögliche CDU/FDP-Bundesregierung würde wohl ein ziemliches Rollback bei der sozialen Wohnraumförderung und beim Mieterschutz einläuten. Umso wichtiger ist der Kampf auf lokaler Ebene, vor allem gegen die Vertreibung von Mieter/innen aus Wohnungen durch renditeorientierte Immobilienverwerter. Bei entsprechender Vernetzung und Mobilisierung können dabei mitunter durchaus kleine Erfolge erzielt werden. Mehr aber auch nicht.

In ihrer Gesamtheit ist die Wohnungsfrage jedenfalls ein sehr dickes Brett, das es zu bohren gilt. Schließlich ist der Privatbesitz an Grund und Boden – egal ob bebaut oder unbebaut – und die entsprechende Verfügungsgewalt über dessen Verwertung einer der Grundpfeiler der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Zwar scheint die Phase der Verschleuderung öffentlicher Liegenschaften an private Immobilienverwerter mittlerweile vorbei zu sein, doch selbst „gutwillige“ Bundesländer und Kommunen haben oftmals kaum noch Möglichkeiten, weitreichend in das Marktgeschehen bei Neubauten einzugreifen.     

 

 

 


MieterEcho 390 / August 2017

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