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MieterEcho 390 / August 2017

Bürgerbeteiligung als Zauberformel

Grüne und Linke werden die Geister, die sie bei der Neubauverhinderung riefen, nicht mehr los

Von Rainer Balcerowiak

In der realen Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik hat der seit Dezember 2016 amtierende rot-rot-grüne Senat noch nicht allzu viel vorzuweisen. Umso agiler zeigt sich die Landesregierung und allen voran Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) bei der virtuellen Politik. Bürgerbeteiligung lautet die Zauberformel und im Koalitionsvertrag und in späteren Verlautbarungen ihrer Verwaltung wurde diesem Thema viel Platz eingeräumt.            

                

Für mehr Bürgerbeteiligung sollen „Leitlinien erarbeitet“, „Strukturen und Prozesse gestärkt“ „Onlinepartizipation weiterentwickelt“, „Anlaufstellen geschaffen“ und „Verfahren ausgebaut“ werden, die „niedrigschwelliger, flexibler und repräsentativer sind“. Mit der „Berlin-Strategie“ setze Berlin auf „übergeordnete Instrumente der integrierten Stadtentwicklung“. Dabei würden „eine bespielhafte Beteiligungskultur etabliert“ und „hohe Standards der Mitbestimmung“ umgesetzt, um „das Potenzial des ‚Gemeinsam-Stadt-machens‘ in der Berliner Planungskultur noch stärker zu verankern“.

Für derlei Worthülsen gibt es besonders bei den Klientelen der Parteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke großen Resonanzboden. Dort wurde die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in den vergangenen Jahren hauptsächlich dahingehend interpretiert, Wohnungsneubau in „unseren Kiezen“ so weit wie möglich zu verhindern. „Das Neubauklima hat sich deutlich verschlechtert“, warnte Maren Kern, Vorstandsvorsitzende des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), im Juli in der Berliner Abendschau. Derweil nehme die Wohnungsknappheit immer dramatischere Formen an und habe längst sogenannte Randlagen wie Marzahn und Hellersdorf erfasst.

Für Grüne und Linke ist das natürlich ein großes Problem. Denn die Geister, die man in der Opposition rief, wird man jetzt nicht mehr so einfach los. Dennoch will der Senat sein ohnehin wenig ambitioniertes Wohnungsbauprogramm irgendwie in die Spur bringen. Als Morgengabe für die Neubaugegner/innen wurde das größte Neubauvorhaben, die Elisabethaue in Pankow, gestrichen. Ansonsten versucht man, die Szene auf allerlei Spielwiesen ausreichend zu beschäftigen. Ein Konzept, das teilweise aufgehen könnte. So meldeten sich auf dem ersten „Stadtforum“ der neuen Senatorin am 26. Juni in der hippen Kreuzberger „Markthalle Neun“ auch Kritiker/innen zu Wort. Sie forderten in erster Linie mehr „Beteiligung an der Beteiligungsplanung“ und die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel. Denn der „Zugriff auf die Ressourcen“ der „Stadtnutzer*innen und Initiativen“ und „ihre Expertise und Mitarbeit“ müsse „selbstverständlich angemessen entlohnt werden“, heißt es in einem Positionspapier der Initiative „Stadtforum von unten“. Dieses Forum nutzten auch diverse „Bürgervereine“ und Initiativen, die unter anderem eine Art Anwohner-Vetorecht bei Bauprojekten in der Nachbarschaft oder eine „grüne Stadt“ („Belebung des Konzepts Gartenstadt in allen Stadtteilen“) fordern.

Viel Arbeit also für die vom Senat engagierten professionellen Kommunikationsagenturen, die sowohl bei dieser Veranstaltung als auch bei Bürgerversammlungen an geplanten Neubaustandorten eingesetzt werden – oder auch bei der Installierung eines 20-köpfigen „Arbeitsgremiums“ zur Entwicklung von „Leitlinien für die Beteiligungskultur“, für das sich alle Bürger/innen bewerben können.

 

Widerstand in vielen Stadtteilen    

Konflikte zeichnen sich an jeder Ecke ab. Im Entwicklungsgebiet an der Michelangelostraße (Prenzlauer Berg) verlangt die örtliche Initiative, dass die Neubaupläne drastisch zusammengestrichen werden, unter anderem wegen der drohenden Blockierung von „Kaltluftschneisen“. Streit gibt es auch um das Gelände der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau, das angrenzende Gebiet zwischen Brunsbütteler Damm und Heerstraße, die Bebauung von Parkplätzen in der Lilli-Henoch-Straße (Pankow), in Blankenburg und in Köpenick, wo es mal wieder um „den Erhalt der gewachsenen Strukturen“ geht. Die Liste ließe sich erheblich verlängern.

Für die Lösung dieser und anderer Konflikte bei der Stadtentwicklung soll die „Beteiligungskultur“ eine zentrale Rolle spielen. Doch neu ist dieses Konzept auch in Berlin keineswegs. In Sanierungs-, Quartiersmanagement- und innerstädtischen Fördergebieten („Aktive Zentren“) gibt es seit vielen Jahren unzählige Gremien der Bürgerbeteiligung, von Betroffenen- und Quartiersräten bis hin zu Stadtteilvertretungen. Zu entscheiden haben sie außerhalb von marginalen Etats für kiezbezogene Aktivitäten und Mikroförderungen nichts. Angehörige der Mittelschicht sind dort stets deutlich überrepräsentiert und die sozialen Kernprobleme der betreffenden Stadtteile spielen in der Regel keine Rolle.

Der Soziologe Thomas Wagner beschrieb die Mechanismen der „Beteiligungskultur“ sehr anschaulich in seinem 2013 erschienenen Buch „Die Mitmachfalle: Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ (MieterEcho Nr. 362/ September 2013). Partizipation als einst linke Forderung sei längst von ökonomisch interessierten Kreisen und den Akteuren der „offiziellen“ Politik und der Verwaltung instrumentalisiert worden, um Konflikte im Sinne der eigenen Ziele zu entschärfen, lautet seine Kernthese. Und was bei umkämpften Großprojekten wie dem neuen Stuttgarter Hauptbahnhof S21 oder Jahre zuvor beim Ausbau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens hervorragend funktionierte, soll nun auch dem Berliner Senat aus seinem Dilemma bei der Stadtentwicklung helfen.

Inzwischen haben die meisten Berliner Bezirke eigene Richtlinien zur Bürgerbeteiligung entwickelt. So heißt es im entsprechenden Dokument aus Berlin-Mitte: „Die Beteiligungsverfahren sind ergebnisoffene Prozesse. Die Beteiligung startet zu einem Zeitpunkt, an dem ein wesentlicher Entscheidungsspielraum für den Gegenstand der Beteiligung besteht. (…) Die Beteiligten (Verwaltung, Politik und Einwohnerschaft) begegnen einander grundsätzlich auf Augenhöhe.“ Doch genau diese Prämisse wird wenig später mehr oder weniger komplett kassiert: „Die Zielsetzung, der Gestaltungsspielraum und der zeitliche Rahmen werden zu Beginn des Beteiligungsverfahrens deutlich kommuniziert. Ebenfalls werden die rechtlichen und inhaltlichen Grenzen des Beteiligungsverfahrens klar benannt.“                        

 

Bürgerbeteiligung als Spielwiese    

Dass dies mit „Ergebnisoffenheit“ nichts zu tun hat, liegt auf der Hand. Dagegen wäre auch wenig einzuwenden. Schließlich kann eine Großstadt wie Berlin und selbst ein Bezirk nicht darauf verzichten, die Planungs- und Durchsetzungshoheit für Infrastruktur- und Wohnungsbauprojekte von gesamtstädtischer Bedeutung für sich in Anspruch zu nehmen, auch wenn Partikularinteressen entgegenstehen. Doch der Senat und mit ihm viele Bezirke versuchen, diese simple Tatsache so gut es geht zu verschleiern. Die Fantasie der Verfechter einer neuen „Beteiligungskultur“ kennt da kaum Grenzen. Gerade im Bezirk Mitte wird da richtig aufgefahren. Schließlich sollen vor allem „Menschen erreicht werden, die in der Regel nicht an Beteiligungsveranstaltungen teilnehmen. In Beteiligungsprozessen sollte verstärkt mit aufsuchender Beteiligung gearbeitet werden. Als Instrumente werden unter anderem benannt: „Mobile Stände auf öffentlichen Plätzen, Zukunftswerkstätten, Visualisierung von Vorhaben durch Modelle oder Animationen, partizipative Stadtteilspaziergänge, aktivierende Peer-Group-Befragungen, Open Space, World-Café und Vernetzung von Nachbarschaften“. Allein die Wortwahl belegt bereits, dass es vor allem darum geht, die ohnehin Aktiven aus örtlichen Initiativen einzubinden.

Den Kern der ganzen Geschichte brachte auf dem Stadtforum im Juni in dankenswerter Offenheit die als Referentin eingeladene Wiener Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak auf den Punkt. Gelungene Bürgerbeteiligung sei, wenn man den Bürgern zum einen das Gefühl gebe, dass sie frühzeitig einbezogen werden, und zum zweiten von den Bebauungs- und Gestaltungsplänen überzeugen könne. Wenn das nicht gelinge, entscheide ohnehin die Politik.

Und das ist auch gut so, ließe sich hinzufügen. Allerdings nur dann, wenn die jeweilige Regierung oder Bezirksverwaltung gerade bei Fragen der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus soziale Belange in den Mittelpunkt stellt und auch bereit ist, diese gegen egoistische Partikularinteressen durchzusetzen. Und genau davon ist beim rot-rot-grünen Senat ganz bestimmt nicht auszugehen.   

 

 


MieterEcho 390 / August 2017

Schlüsselbegriffe: Bürgerbeteiligung, Stadtentwicklungspolitik, Wohnungsbaupolitik, Neubauvorhaben, Wohnungsknappheit,Randlagen, Marzahn, Hellersdorf, Elisabethaue, Michelangelostraße, Beteiligungskultur