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MieterEcho 382 / August 2016

Tourismus im Dienst der Ballermann-Wirtschaft

Berliner Politik setzt auf Massentourismus – ein Konzept, das woanders bereits gescheitert ist

Kommentar von Hermann Werle    

 

Als die sozialen, kulturellen und ökologischen Folgeschäden des Massentourismus in den sogenannten „Entwicklungsländern“ unübersehbar wurden, entwickelte sich in den 1990er Jahren eine Doktrin des „sanften Tourismus“, die als Ziel mehr Nachhaltigkeit formulierte. Selbst am Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ging diese Debatte nicht spurlos vorüber. So warnt das BMZ auf seiner Website vor der Gefahr der „Zerstörung gesellschaftlicher und kultureller Strukturen“ und der Ausbau touristischer Infrastruktur dürfe „nicht zu Umweltzerstörung oder überhöhtem Ressourcenverbrauch, zu Diskriminierung, Ausbeutung oder Vertreibung der lokalen Bevölkerung führen“ .         

 

Der Massentourismus ist längst auch in Berlin angekommen. Mahnungen des BMZ spielen natürlich keine Rolle – Deutschland ist schließlich kein „Entwicklungsland“ und Berlin obendrein supercool. Der früher zuständige Senator Harald Wolf (Die Linke) sieht im Tourismus eine „Schlüsselbranche der deutschen Hauptstadt“ und in seinem Tourismus-Handlungsrahmen von 2011 begrüßte er die „über 20 Millionen Übernachtungen“ und den „Beschäftigungseffekt von mehr als 230.000 Personen“. Das erinnert an die 1970er Jahre, als den Ländern der „Dritten Welt“ der Tourismus als Motor für Wirtschaft und Wohlstand angepriesen wurde. Entwicklungshilfe und Millionen-Kredite der Weltbank flossen in den Ausbau touristischer Infrastrukturen – zum Wohl der Ferntourist/innen, aber zum Leid der einheimischen Bevölkerungen. Die Löhne in der Branche waren und sind niedrig, die Beschäftigungsverhältnisse äußerst prekär und der Massentourismus suchte schon bald seine nächsten Zielgebiete.    

 

„Wie lebt es sich in einem Gesamtkunstwerk? Gibt es Bewohner, die das ihre zur Attraktivität des Gesamtkunstwerks beitragen? Lässt sich das aus Sicht des Tourismusmarketings optimieren? Was ist mit Berlinern, die den Glanz der Coolness eher stören? Wie lässt sich die ‚Destination‘ vor uncoolen Anwohnern schützen?“ **

 

In Berlin sind die Arbeitsverhältnisse strukturell ähnlich problembehaftet. Die Jobs im Gastgewerbe sind stark saisonabhängig, bestehen zum großen Teil aus ungelernten Tätigkeiten und tarifliche Bindungen sind rar. Über den Tag oder die Saison hinausgehende Perspektiven? Fehlanzeige! Langfristige Perspektiven ergeben sich allein für Anbieter von Reisen und Unterkünften sowie Fluggesellschaften. Stolz wird im erwähnten Handlungskonzept auf das deutlich gewachsene Angebot an „LCC-Verbindungen“ verwiesen. LCC steht für Low-Cost-Carrier, jenen Billigfliegern, die nachhaltig für steigende CO2-Emissionen und Ballermann-Tourismus sorgen. Seit 2010 hat sich die Anzahl der LCC-Reisenden beinahe verdoppelt und die CDU-Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer sieht die touristische Belastungsgrenze noch lange nicht erreicht. Die von ihr und ihren Vorgängern zu verantwortende „Tourismusmetropole“ verursacht soziale Schieflagen, verstärkt den Druck auf dem Wohnungsmarkt und ist eine ökologische Bankrotterklärung. Während Mieter/innen für mitunter unsinnige energetische Modernisierungen – die den CO2-Ausstoß reduzieren sollen – zur Kasse gebeten werden, wird das höchst klimaschädliche Fliegen noch mit Subventionen gefördert.    


MieterEcho 382 / August 2016

Schlüsselbegriffe: Massentourismus, Ballermann-Tourismus, Berlin, touristischer Infrastruktur, Arbeitsverhältnisse, saisonabhängige Arbeit, Low-Cost-Carrier, Billigflieger