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MieterEcho 379 / Februar 2016

Notlösung betreutes Wohnen

Immer mehr Menschen landen im betreuten Einzelwohnen – obwohl sie es gar nicht nötig hätten

Von Lena Lottke                                  

Dass sich Wohnungslosigkeit gesundheitsschädigend auswirkt, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass dadurch erwachsene und kerngesunde Menschen zum Fall fürs betreute Einzelwohnen werden. Die Gründe sind der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und der zu geringe Bestand im geschützten Marktsegment.     


Verliert jemand sein Obdach, wird er oder – seltener – sie von der Sozialen Wohnhilfe vorerst in einem Wohnheim nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) untergebracht. Dort soll unter Abwägung der Probleme und Ressourcen eine Vermittlung beispielsweise ins geschützte Marktsegment, ins betreute Wohnen oder in die Psychiatrie stattfinden. Dabei brauchen die meisten lediglich eins: eine Wohnung.            

Die Gründe für einen Wohnungsverlust sind vielfältig, ebenso unterschiedlich sind die Menschen, die es trifft. Außer vielleicht einer negativen Schufa und den daraus resultierenden schlechten Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt haben sie in der Regel nicht viel gemeinsam. Und doch treffen sich manche von ihnen nach kurzer Zeit als Klient/innen im betreuten Einzelwohnen zum wöchentlichen Kochen gemeinsam mit der Sozialarbeiterin wieder. Wie kann das sein?        

Für Menschen, die etwa aufgrund von Überschuldung keinen Zugang zum freien Wohnungsmarkt haben, ansonsten aber in der Lage sind, selbstständig einen Haushalt zu führen, gibt es das geschützte Marktsegment. Das dortige Angebot liegt mit 1.080 Wohnungen jedoch weit unter dem etwa dreimal so hohen Bedarf – in einer Stadt, in der eine knappe Viertelmillion Haushalte überschuldet sind und die Situation auf dem Wohnungsmarkt extrem angespannt ist. So wird die Unterbringung in einem ASOG-Wohnheim oftmals keine vorübergehende, sondern eine dauerhafte „Lösung“. Doch das Leben auf 9 qm – ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl – bietet keinerlei Raum für Privatsphäre. Toilette, Dusche, Herd und Waschmaschine teilen sich 15 Bewohner/innen. Spritzbesteck auf der Toilette, Konflikte und Gewalt sind nicht selten an der Tagesordnung. Wer Glück hat, bekommt ein Einzelzimmer.                     

 

Soziale Abwärtsspirale        

Unter diesen Lebensbedingungen geraten viele in eine Krise. Sie trinken übermäßig, vernachlässigen sich und ihre Angelegenheiten, zeigen unangemessen aggressives oder depressives Verhalten, verlieren ihre Arbeit und Freunde. Nicht selten werden Menschen in dieser Situation binnen weniger Monate zu einem Fall fürs betreute Einzelwohnen (BEW) nach § 67 des zwölften Sozialgesetzbuchs (SGB XII).     Sozialarbeiter/innen versuchen häufig, diesen Absturz zu vermeiden, indem sie ihre Klient/innen bereits vor dem völligen Zusammenbruch ins betreute Einzelwohnen vermitteln – obwohl diese es zu diesem Zeitpunkt gar nicht nötig hätten. Auch die Betroffenen selbst sehen oft gar keine Notwendigkeit einer professionellen Betreuung und fürchten vielmehr die Bevormundung und den Verlust ihrer Selbständigkeit. Doch oft überzeugt die Aussicht auf eine Wohnung, die für die Zeit der Maßnahme vom Träger zur Verfügung gestellt wird. Für die Antragstellung werden dann mitunter Probleme und Defizite fingiert und dramatisiert, um die Aussichten auf eine Bewilligung zu erhöhen. Diese institutionelle Logik, die aus dem Versorgungsmangel des geschützten Segments resultiert, führt zwangsläufig zu einer Vergrößerung des Bedarfs an BEW-Maßnahmen. Dort sind jedoch die Mittel begrenzt. Da die Anträge von Klient/innen mit den größten Erfolgsaussichten genehmigt werden, führt das dazu, dass eben die Menschen, für die das betreute Einzelwohnen ursprünglich gedacht war und die wirklich von einer professionellen Betreuung profitieren würden, in den ASOG-Wohnheimen verbleiben. Ihre Probleme potenzieren sich dort durch den Mangel an professionellen Hilfen. Die Endstation heißt dann – oft nach Jahren – Altersheim, Psychiatrie oder Friedhof. Im betreuten Einzelwohnen hingegen landen immer mehr Menschen, denen ursprünglich nichts fehlte außer einer Wohnung.        


MieterEcho 379 / Februar 2016

Schlüsselbegriffe: betreutes Wohnen, Wohnungslosigkeit, bezahlbarer Wohnraum, Soziale Wohnhilfe, Allgemeiner Sicherheits- und Ordnungsgesetz, ASOG, geschütztes Marktsegment, Wohnungsverlust, freier Wohnungsmarkt