Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 385 / Dezember 2016

„Mieterstruktur verbessern“ mit Start-ups

Aufwertung im Brunnenviertel durch das landeseigene Wohnungsunternehmen Degewo

Von Julian Wickert         

 

Die Degewo, die sich zuletzt durch eine fragwürdige Ausschlusspraxis von Bewerber/innen bei der Wahl der Mieterräte der landeseigenen Wohnungsunternehmen ins Gespräch brachte, ist vor allem als Wohnungsbaugesellschaft bekannt. Doch auch als Vermieterin von mehr als 1.500 Gewerbeobjekten nimmt sie bei der Entwicklung der Gewerbestruktur eine wichtige Rolle ein. Als „erfahrener Partner für Gewerbetreibende und Existenzgründer“ versucht sie im Bereich der Start-ups mit „besonderen Mietkonditionen“ mitzuspielen.     

                                         

Bereits zum sechsten Mal lobte die Wohnungsbaugesellschaft ihren „Degewo-Gründerpreis“ aus, bei dem lukrative Gewerbeeinheiten für ein Jahr kostenlos an „Gründer“ und Start-ups vergeben werden. Eine Jury mit „Persönlichkeiten aus IHK, Handelsverband, Wirtschaft und Politik“ trifft die Auswahl. Zielgruppe des Wettbewerbs sind vor allem junge Unternehmen, denen zusätzlich umfassende Existenzgründungsberatung als Starthilfe in die Selbstständigkeit versprochen wird.         

Eines der beiden Gewinnerobjekte des Wettbewerbs 2015 befindet sich in der Brunnenstraße im Wedding, in einem Viertel, das immer wieder durch eine hohe Arbeitslosenquote von sich reden machte. Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote mit 12% eindeutig über dem Berliner Durchschnitt, ist jedoch in den letzten fünf Jahren um ein Fünftel gesunken.                 

Die Degewo verwaltet mit 5.100 Wohnungen einen Großteil des Bestands im Kiez. In den letzten Jahren zeichnete sich nicht zuletzt durch ihre Bemühungen eine Veränderung der Kiezstruktur ab. Statt Mietverträge für schon seit Jahren bestehende Läden zu verlängern, werden vielversprechende Start-ups ins Quartier an der Brunnenstraße geholt. Denn Spielkasinos, sogenannte „Billigläden“ und Handy-Shops sind für die umworbene Mittelschicht weniger attraktiv. So wirbt die Degewo inzwischen mit einer „Szene aus Künstlern und Kulturschaffenden“, die sich in den letzten Jahren im Kiez etabliert habe. Auch die Meermann- Immobiliengruppe stellt fest: „Die Lebensqualität im Quartier, die vielen Start-up-Unternehmen und die hidden Highlights haben uns überzeugt.“            

 

Gewollte Gentrifizierung                

Bereits vor über 10 Jahren gab die Degewo als ihr langfristiges Ziel an, die „Mieterstruktur zu verbessern“. Sie bezieht sich auf einen angestrebten Austausch der Beziehenden von Transferleistungen wie Hartz IV durch eine (akademische) Mittelschicht. Mit gezielter Werbung sollten einkommensstarke Mieter/innen ins Viertel geholt werden und zudem Studierende durch Angebote wie zwei Semester Mietfreiheit an die Degewo als Vermieterin gebunden werden. Auch der Name Brunnenviertel wurde durch die Degewo geschaffen, indem sie ihre Mieter/innen über einen identitätsstiftenden Namen abstimmen ließ. Im Frühjahr 2015 machte die Degewo im Brunnenviertel nochmals Schlagzeilen, indem sie von den Mieter/innen der Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus erhebliche Mieterhöhungen verlangte. Hintergrund war die vorzeitige freiwillige Rückzahlung von Fördermitteln für diese Sozialwohnungen. Dadurch fielen die Wohnungen aus dem „Mietenkonzept 2014-17“ der städtischen Wohnungsunternehmen, welches die Sozialmieten bei 5,50 Euro/qm kappen sollte. Zum 1. April wurden die zuvor durch das Mietenkonzept subventionierten Mieterhöhungen rückwirkend auf einmal wirksam. Die hohen Kostenmieten des sozialen Wohnungsbaus müssen somit von den Mieter/innen allein getragen werden. Und während es für die Degewo keinen Unterschied macht, wer für ihre Einnahmen aufkommt, spart der Senat die Mietsubventionen und profitiert durch die vorzeitige Rückzahlung der Förderdarlehen zusätzlich. Geld, mit dem etwa das Neubauprojekt der Degewo in der Graunstraße gebaut wird. Dort werden 34 „Sozialwohnungen“ mit Nettokaltmieten von 6,50 Euro/qm gefördert.                 

Während Räume kostenlos Start-ups überlassen werden – um die „Mieterstruktur zu verbessern“ –, müssen Altmieter/innen so durch fragwürde Mieterhöhungskonzepte indirekt ihre eigene Verdrängung finanzieren.      

 

Julian Wickert studiert Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Er forscht zu social housing policies (Sozialwohnungsbaupolitik) im internationalen Vergleich und arbeitet in stadtteilbezogenen Zusammenhängen.

 

 


MieterEcho 385 / Dezember 2016

Schlüsselbegriffe: Mieterstruktur, Start-ups, Brunnenviertel, Degewo, Gewerbestruktur, Gewerbetreibende, Existenzgründer, Gentrifizierung, Mietenkonzept 2014-17, Verdrängung

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