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MieterEcho 883 / September 2016

Entmietung und Gewerbenutzung trotz Milieuschutz

Im sozialen Erhaltungsgebiet Boxhagener Platz wurde ein großes Gründerzeithaus dem Mietwohnungsmarkt entzogen

Von Gaby Gottwald             

 

Es mutet an wie eine Posse, ist aber bittere Realität. Vor den Augen und unter Mitwirkung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg gelang es Hauseigentümern, ein großes Mietshaus in einem Milieuschutzgebiet in begehrter Lage vollständig dem lokalen Wohnungsmarkt zu entziehen. Genau im Brennpunkt spekulativer Interessen, wo Gesetze und Verordnungen dem Verwertungsverlangen des Marktes eine Grenze setzen sollen, hat die Aufsichtsbehörde stattdessen diesem sogar Bahn gebrochen. Das Bezirksamt hat über acht Jahre einen Prozess begleitet, beaufsichtigt und bewilligt, der darin mündet, dass in einem Haus, in dem ehemals viele Mieter/innen aus dem Boxhagener Kiez wohnten, keine reguläre Mietwohnung mehr zur Verfügung steht.                                        


Verfolgt man die Ereignisse der letzten acht Jahre, die sich um das Mietshaus an der Boxhagener Straße 26, Ecke Simon-Dach-Straße 46 ranken, wachsen die Zweifel an der Fähigkeit oder der Ernsthaftigkeit, mit der das Bezirksamt und vor allem der grüne Baustadtrat Hans Panhoff eine sozial nachhaltige Wohnungspolitik betreiben. Mit großer Beharrlichkeit und gezielten Rechtsüberschreitungen durch wechselnde Eigentümer wurde das Haus entmietet und zum Spekulationsobjekt (MieterEcho Nr. 360/ Mai 2013 und Nr. 367/ Mai 2014).            

Der frühere Eigentümer plante 2008 eine gewerbliche Nutzung des Hauses. Er stellte einen Bauantrag und begann mit der Entmietung. Der Bezirk genehmigte den Umbau für das Erdgeschoss und für die erste Etage zu einem Hotel. Der Eigentümer baute das Dachgeschoss aus und zudem – dies ohne Genehmigung – das halbe Haus zum Hotel um. Erst Anfang 2011, nach fast drei Jahren, verhängte der Bezirk einen Baustopp und die Auflage zum Rückbau.     

Im Sommer 2012 war das Haus noch überwiegend unbewohnt, als die Leipziger Firma Neutecta das Haus erwarb. Gegenüber dem Bezirksamt machte sie die Zusage, die Hotelzimmer zu Mietwohnungen zurückzubauen. Die Berliner Vertreter von Neutecta waren zwei bekannte Immobilienhöker, die bereits wegen Betrugs verurteilt waren. So war dann ihr geschäftliches Gebaren nicht überraschend. Sie kündigten prompt den verbliebenen Mieter/innen und boten das Haus für astronomische Summen zum Kauf an. Der  Coup schlug fehl und so wurde ein neuer Versuch unternommen, das ehemalige Mietshaus renditeträchtig zu verkaufen. Die Hotelzimmer, deren Rückbau in den alten Stand zugesagt war, wurden zu Kleinstwohnungen umgebaut und das Haus zum Verkauf angeboten, mit einer garantierten Nettokaltmiete von knapp 20 Euro/qm. Es war ganz offensichtlich, dass kein normaler Wohnraum geschaffen werden sollte. Das Bauamt erteilte den dubiosen Eigentümern dennoch 2013 eine Genehmigung für die gewerbliche Nutzung des Dachgeschosses und den Einbau eines Aufzugs, sodass damit die Erlaubnis für eine Hotelnutzung für das Erdgeschoss, das erste Obergeschoss und das Dachgeschoss vorlag. Für die Hälfte des Hauses war nun eine Hotelnutzung amtlich.                                    

 

Design-Hotel kurz vor Eröffnung            

Der Abgeordnete der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) der Fraktion Die Linke, Lothar Jösting-Schüßler, stellte in den letzten Jahren mehrere Anfragen zum Objekt und wies beständig auf die haarsträubenden Vorgänge in der Boxhagener Straße 26 hin. Doch Baustadtrat Panhoff beschwichtigte nur. Es gehe alles seinen Gang, alles sei in Ordnung, wie auch Kontrollen vor Ort ergeben hätten. Erst 2014 gestand auch Panhoff ein, dass es sich beim Objekt um spekulativen Leerstand handele. Doch hier sei der Bezirk machtlos, da eine entsprechende Landesverordnung fehle. Im März 2015 schuf der Senat Abhilfe und erließ eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung. Doch auch im Juli 2016 steht das Haus noch leer. Den Grund dafür teilte Panhoff dem Abgeordneten Jösting-Schüßler auf eine Anfrage am 21. Juli 2016 mit. Nach jahrelangem Umbau und vermeintlicher Sanierung des kompletten Hauses war Schwamm gefunden worden. Zwischendurch, im Jahr 2014, wurde das Haus erneut verkauft, bevor der geforderte Rückbau in Mietwohnungen für die nicht gewerbliche Hälfte abgeschlossen war. Die neue Eigentümerin ist die K 3 Property GmbH, die der Göttinger Kurth-Gruppe angehört, welche große Teile des RAW-Geländes gekauft hat. Sie hat die Auflage, die Endlosschleife der Bauarbeiten bis Mitte Juli zu beenden. Doch es gibt die genannten Verzögerungen. Das Projekt hat unter der Kurth-Gruppe mit dem Nutzungszweck des früheren Mietshauses nichts mehr zu tun. Noch für diesen Sommer ist die Neueröffnung des Boutique-Hotels „Chrome Cottage“ in der Presse angekündigt. Jesko Klatt, Betreiber des bekannten, in Kreuzberg an der Spree gelegenen Club-Restaurants Spindler & Klatt will Tourist/innen in Friedrichshain ein familiäres Ambiente bieten.                  

 

Wohnungen gehen an Zalando                

Die andere Haushälfte besteht wieder aus Mietwohnungen. Es sind 18 Wohnungen und es ist fraglich, ob hier wirklich ein Rückbau analog der alten Grundrisse der Wohnungen stattfand, wie der Milieuschutz es erfordert. Die Kontrolle darüber obliegt dem Bauamt. Doch diese Mietwohnungen werden nicht dem lokalen Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt. Die Kurth-Gruppe hat einen Vertrag mit einem gewerblichen Mieter geschlossen, dem bekannten Großunternehmen Zalando SE. Laut Panhoff wird und darf Zalando mit vertraglicher Auflage ausschließlich an eigene Mitarbeiter/innen unbefristet unterver-mieten. Die Nutzung zu Wohnzwecken sei damit gewährleistet. Damit ist das Soll der Aufsichtsbehörde offensichtlich erfüllt. Der Mietpreis sei nicht bekannt. Die Mietpreisbremse gelte nicht, da umfassende Sanierungsarbeiten stattgefunden hätten. Zalando ist also frei in der Gestaltung der Miethöhe. Für den Baustadtrat ist damit alles im Lot. Unbedarfte Bürger/innen mögen die Stirn runzeln. Warum wird der Kurth-Gruppe erlaubt, die Mietwohnungen einem Gewerbe zu überlassen? Laut Milieuschutzverordnung ist dies untersagt. Panhoff beantwortet diese Frage nicht. Dass an der Vertragskonstruktion einiges nicht stimmen kann, ist offensichtlich. Wie kann Zalando garantieren, nur unbefristete Untermietverträge an ausschließlich eigene Mitarbeiter/innen zu vergeben? Endet das Arbeitsverhältnis bei Zalando, endet dann auch der Mietvertrag? Wenn ja, war der Untermietvertrag nicht unbefristet. Bleibt das Mietverhältnis bestehen, wird nicht nur an eigene Mitarbeiter vermietet. Die Auflage im Vertrag ist Nonsens.            

 

Gefälligkeit des Bezirksamts gegenüber Investor?    

Die dubiosen Vorgänge verleiten zu der Frage, ob es sich hier um eine Gefälligkeit des Bezirksamts gegenüber dem Bauherrn auf dem RAW-Gelände handelt. Soll die Kurth-Gruppe bei Laune gehalten werden, da schwierige Verhandlungen für das Großprojekt anstehen? Baustadtrat Panhoff verneint diese von Jösting-Schüßler gestellte Frage: „So  ein  Gebaren  entspricht  nicht  der  Arbeitsweise  des  Bezirksamts.“                  

Die Arbeitsweise des Bezirksamts ist durch den Fall hinreichend dokumentiert. Innerhalb eines Milieuschutzgebiets wurde mit einem Mietshaus jahrelang zu Spekulationszwecken Unfug betrieben. Über die Umwidmung von Wohnraum zu Gewerbe und die Umbaumaßnahmen im Haus, welche Baugenehmigungen des Bezirksamts erforderten, wurde ein großes Wohnhaus schlussendlich komplett dem lokalen Mietwohnungsmarkt entzogen. Das Bezirksamt hat diesen Prozess über Jahre aktiv begleitet und befördert. Sind es Trottel, sind es Täter? Der Milieuschutz ist kein scharfes Schwert gegen Spekulation und Mietwucher. Aber man kann diesem begrenzten Instrument nicht vorwerfen, dass es nicht wirkt, wenn man es nicht nutzt. Diese Enteignung von Wohnraum hätte es nicht geben müssen, wenn man einfach seinen Job gemacht hätte – von Anfang an, vor Jahren.   

 

 

 


MieterEcho 883 / September 2016

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