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MieterEcho 834 / Oktober 2016

Das Recht selbst geltend gemacht

Wohnsituation und Kämpfe migrantischer Mieter/innen

Von Duygu Gürsel, Azozomox, Marie Schubenz        

                                

Die städtische Infrastruktur und vor allem das Wohnen waren in West-Berlin von Anfang an ein Feld der Auseinandersetzung für Migrant/innen. Nachdem sie anfangs mit den unwürdigen Bedingungen in Wohnheimen und Baracken ohne Privatsphäre konfrontiert waren, folgte später die rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt – aber auch eine beachtenswerte Gegenwehr.                                  

 

Durch den Mauerbau gingen West-Berlin zahlreiche Pendler/innen aus dem Osten verloren. Um den Arbeitskräftebedarf zu decken, wurden junge sogenannte „Gastarbeiter“ angeworben. Fast die Hälfte davon waren Frauen. Aufgrund der Struktur der West-Berliner Wirtschaft mit einem großen Fertigungs- und Dienstleistungssektor und wenig Schwerindustrie lag ihr Anteil wesentlich höher als in Westdeutschland. Auch nach dem Anwerbestopp von 1973 migrierten Frauen durch Familienzusammenführung. Bis zum Anwerbestopp waren die Migrant/innen in Wohnheimen mit durchschnittlich 3 qm pro Person untergebracht. Die Unterkünfte lagen meist außerhalb der Innenstädte und ihre Bewohner/innen waren von der Bevölkerung isoliert. Das Verhältnis der migrantischen Arbeiter/innen zum städtischen Raum war vor allem durch den Weg zur Arbeit und zurück ins Wohnheim bestimmt. Die schlechte Wohnsituation war das sichtbarste Zeichen ihres Elends und beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit mehr, als es die Arbeitsbedingungen selbst taten. Später wurden die migrantischen Arbeiter/innen vor allem in die dem Abriss geweihten Altbauten der Sanierungsgebiete gedrängt. Daraus erklärt sich die starke Konzentration von Arbeitsmigrant/innen in Kreuzberg oder im Wedding.        

                                    

Abdrängung in schlechte Altbaubestände        

Als der Anwerbestopp von 1973 wenig Wirkung zeigte, wurde zur Steuerung der Migration verstärkt auf die Stadtpolitik zurückgegriffen. Eine Folge war die bis 1990 gültige sogenannte Zuzugssperre, die der Senat 1975 in Kraft setzte. Damals hatten 23% der Kreuzberger Bevölkerung keine deutsche Staatsbürgerschaft, in Tiergarten waren es 17% und im Wedding 15%. Durch diese Sperre durften Menschen aus Ländern außerhalb der europäischen Gemeinschaft nicht mehr in diese Bezirke ziehen. Auch ein neu einreisendes Familienmitglied durfte sich beispielsweise nicht mehr in der Kreuzberger Wohnung der Eltern anmelden. Es musste entweder allein außerhalb dieser drei Bezirke wohnen oder die ganze Familie hätte in eine andere Gegend ziehen müssen, was durch den Rassismus und den angespannten Wohnungsmarkt fast ausgeschlossen war. Die Zuzugssperre stellte damit eine Art indirekter Abschiebepolitik dar, weil die Leute, die sich nicht polizeilich melden konnten, keinen Aufenthaltsstatus bekamen. Neben langjährigen juristischen und politischen Kämpfen wurde etwa mit Scheinanmeldungen versucht, diese diskriminierende Regelung zu umgehen. Ein anderes Kontrollinstrument stellte das Wohnungsaufsichtsgesetz dar, das ursprünglich die Mieter/innen schützen sollte, jedoch auch eingesetzt wurde, um die Familienzusammenführung zu erschweren. Für eine Aufenthaltsgenehmigung war nun eine „angemessene“ Wohnung die Bedingung. Für Erwachsene sollten mindestens 9 qm Wohnfläche bereitstehen, für Kinder mindestens 6 qm. Der Rassismus auf dem Wohnungsmarkt zeigte sich auch in expliziten Wohnungsanzeigen. Sätze wie „wir vermieten nicht an Ausländer“ waren nicht selten. Häufig wurde auch eine illegale zusätzliche Miete genommen, der sogenannte Ausländerzuschlag. Bis Ende der 1970er Jahre hatten Migrant/innen keinen Zugang zu Sozialwohnungen. Auch danach mussten sie teils Jahre warten. Die Wohnungen, die sie bekamen, waren überdies teuer und lagen oft in den Außenbezirken. Denn auch bei den zuständigen Behörden herrschten Ignoranz und rassistische Vorurteile. Unter diesen Bedingungen blieb oft nur die Möglichkeit, befristet in die heruntergekommenen und für den Abriss vorgesehenen Altbauten zu ziehen. Das passte auch zur Entmietungsstrategie vieler Eigentümer, die darauf setzten, so die verbliebenen deutschen Nachbar/innen zum Auszug zu bringen. Umgekehrt versuchten viele Migrant/innen, die heruntergekommenen Häuser so lange wie möglich nicht zu verlassen und konnten dadurch so manchen Abriss verhindern.

                                                    

Frauen als Vorreiterinnen der Gegenwehr        

Frauen waren besonders von den schlechten Wohnverhältnissen und der Situation auf dem Wohnungsmarkt betroffen. Zum einen mussten sie neben ihrer Fabrikarbeit den Haushalt besorgen, was durch die mangelhafte Ausstattung wie Außentoilette und fehlendes warmes Wasser sowie Überbelegung erschwert wurde. Zum anderen hatten sie nach einer Scheidung als Alleinerziehende auf dem Wohnungsmarkt besonders schlechte Chancen. Aus diesen Gründen setzten sich Frauen intensiv mit dem Wohnungsproblem auseinander und initiierten die Gegenwehr. Unterstützt wurden sie dabei von organisierten migrantischen Frauengruppen, darunter der erste unabhängige Westberliner Migrantinnen-Verein „Türkischer Frauenverein Berlin e.V.“, der am internationalen Frauentag 1975 von einer Selbsthilfegruppe gegründet wurde. Ein anderer war der Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei (TIO), der 1978 im Kontext der Stadtteilladenbewegung ins Leben gerufen wurde. Neben ihren Funktionen als Beratungsstellen für Probleme und Fragen des Alltags – zu Arbeit, Wohnen und Gewalt – waren diese Institutionen auch Orte für eine Auseinandersetzung mit dem Paternalismus und Rassismus innerhalb der sozialen Bewegungen.    Migrantische Hausbesetzungen erfolgten im Kontext der ersten großen Besetzungsbewegung Anfang der 1980er Jahre. Das erste von Migrant/innen besetzte Haus war die Forster Straße 16-17 im November 1980. Die türkisch-kurdischen Mieter/innen lebten zum Teil mit großen Familien in einem Haus in der Forster Straße 18 in kleinen heruntergekommenen Wohnungen und engen Verhältnissen – 29 Familien mit insgesamt 50 Kindern –, als die Häuser nebenan für einen geplanten Abriss entmietet wurden. Eines Nachts stiegen sie über den Hof in das Gebäude. Anschließend gingen sie als große Gruppe zum Bezirksamt und konnten einen vorläufigen Mietvertrag abschließen. Nachdem sie die Wohnungen in Selbsthilfe saniert hatten, eröffneten sie im Oktober 1981 einen Schülerladen. Eine alevitische Besetzerin, die bei der Mobilisierung der Bewohner/innen eine zentrale Rolle gespielt hatte, gab ihren besser bezahlten Job als Fabrikarbeiterin auf und fing an, als Erzieherin in der selbstverwalteten deutsch-türkischen Kita zu arbeiten, einer der ersten zweisprachigen Einrichtungen dieser Art. Noch heute leben einige der damaligen Besetzer/innen in dem Haus.    Im Februar 1981 besetzten kurdische und türkische Frauen gemeinsam mit ihren Kindern und Mitarbeiterinnen des Vereins TIO die Kottbusser Straße 8. Der Entschluss entstand in den Alphabetisierungskursen im TIO, da die alleinstehenden Frauen und jene, die sich von ihren Männern trennen wollten, keine Perspektive auf dem Wohnungsmarkt sahen. In den folgenden Verhandlungen konnten sie eine Einigung mit der GSW erzielen. Ein weiteres Beispiel gelungener Mieterselbsthilfe ist das Hausgemeinschaftsmodell in der Oranienstraße 14a, das von 7 türkischen und 2 deutschen Mietparteien ins Leben gerufen wurde.    Das erste Selbsthilfeprojekt in einem Haus, das überwiegend von Migrant/innen bewohnt war und von der IBA betreut wurde, war die Oppelner Straße 27. In diesem Haus waren noch 14 türkische, deutsche und griechische Mietparteien verblieben, die sich gegen ihre Entmietung wehrten. Nach einem Hungerstreik im November 1980 wurde das Haus von dem als Spekulanten bekannten Eigentümer an die städtische GSW verkauft. Eine kurze Lebenszeit hatte hingegen das geplante erste deutsch-türkische Gemeinschaftsprojekt namens „Lausehaus“. Das leer stehende Gebäude befand sich in der Lausitzer Straße 22 vor der besetzen Regenbogenfabrik. Um eine Eskalation zu vermeiden, wurde es offiziell nicht besetzt, sondern für eine geplante Instandsetzung von einer Selbsthilfegruppe „provisorisch geschützt“. Entgegen der Versprechungen wurde das Haus aber im August 1983 abgerissen.Das vor allem von Frauen getragene Engagement der Arbeitsmigrant/innen gehört zu den weitgehend vergessenen Kapiteln der Westberliner Mieterproteste.                      

    

Marie Schubenz (li.) promoviert am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zu Moralischen Ökonomien und arbeitet in nachbarschaftlichen und mietenpolitischen Zusammenhängen. Duygu Gürsel (re.) promoviert am Institut für Sozialwissenschaften der HU Berlin und ist in antirassistischen Initiativen aktiv. Azozomox ist aktiv in autonomen und stadtpolitischen Gruppen. Die Autor/innen sind Teil des Ausstellungskollektivs „Kämpfende Hütten“.


MieterEcho 834 / Oktober 2016

Schlüsselbegriffe: migrantische Mieter/innen, West-Berlin, rassistische Diskriminierung, Wohnungsmarkt, Gastarbeiter, Anwerbestopp, Abschiebepolitik, Wohnungsaufsichtsgesetz, Türkischer Frauenverein Berlin e.V., Stadtteilladenbewegung, GSW