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MieterEcho 376 / September 2015

Sparpolitik und Wohnungskrise

Das schwierige Verhältnis der EU zum sozialen Wohnungsbau

Von Philipp Möller  

In fast allen Mitgliedstaaten der europäischen Union herrscht akuter Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Dies zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie von Cecodhas Housing Europe, dem Dachverband aller wohnwirtschaftlichen Verbände in der EU. Ein sozialer und kommunaler Wohnungsbau könnte der europaweiten Wohnungsknappheit entgegenwirken.                                                    


Wohnungspolitik einschließlich des sozialen Wohnungsbaus unterliegt in der EU dem Subsidiaritätsprinzip und ist somit eine nationalstaatliche Angelegenheit. In der Vergangenheit wurden jedoch über die EU-Gesetzgebung zur Beihilfevergabe universell ausgerichtete soziale Wohnungsbaumodelle liberalisiert. So forderte beispielsweise im Jahr 2005 die EU-Kommission von der niederländischen Regierung, das System des sozialen Wohnungsbaus an die Beihilfen-Gesetzgebung der EU anzupassen. Diese Gesetzgebung sieht vor, dass staatliche Beihilfen im sozialen Wohnungsbau nur erlaubt sind, wenn – ganz im Sinne eines liberalen Sozialstaatsverständisses – allein benachteiligte Gruppen Zugang zu geförderten Wohnraum erhalten. In der Folge senkte die niederländische Regierung im Jahr 2009 die Einkommensgrenzen von 38.000 Euro auf 33.000 Euro. Eine Beschwerde von 130 niederländischen Wohnungsbauunternehmen gegen diese Maßnahme wurde im Mai dieses Jahres vom europäischen Gerichtshof zurückgewiesen. Dieser Fall zeigt exemplarisch, welche Gefahr für die Reste des sozialen Wohnungsbaus in Europa von einer neoliberal ausgerichteten EU ausgehen kann. Michaela Kauer, die Chefin des Verbindungsbüros der Stadt Wien zur EU, plädiert daher in ihrem Beitrag (Seite 10) für die Bewahrung des Subsidiaritätsprinzip im Bereich des Wohnens. Mieterfreundliche Wohnungsbaumodelle, wie der Wiener Gemeindebau, müssten vor dem Zugriff der EU-Kommission geschützt werden. Dem pflichtet Barbara Steenbergen, die Leiterin des Brüsseler Büros der International Union of Tenants (IUT), bei: „Die Kommission hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie einem neoliberalen Dogma folgt und nicht im Sinne der Mieter/innen agiert.“ Die IUT vertritt als Lobbyverband die Interessen der Mieter/innen auf EU-Ebene und hatte gemeinsam mit den niederländischen sozialen Wohnungsbauunternehmen vor dem europäischen Gerichtshof geklagt. „Als Resultat aus der Niederlage vor Gericht kann jetzt nur noch der politische Weg gegangen werden“, so Steenbergen.    

 

Perspektive für andere EU-Politik            

Eine politische Perspektive würde den Bruch mit dem neoliberalen Dogma in der EU und den Aufbau einer europäischen Sozialunion, wie sie Prof. Klaus Busch in seinem Beitrag vorstellt, bedeuten. In einer europäischen Sozialunion müsste der soziale Wohnungsbau nicht mehr vor dem Einfluss der EU geschützt werden, sondern könnte zu einem europaweiten Programm werden. Der Vorstoß der grünen Abgeordneten Karima Delli im EU Parlament bietet hierzu ein Modell (Seite 5). Delli schlägt ein europäisches Programm zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus vor. Der Antrag sieht darüber hinaus vor, den Passus in der EU-Beihilfenverordnung zu streichen, der Beihilfen nur für soziale Wohnungsbaumodelle erlaubt, die sich an benachteiligte Gruppen richten. Dellis Programm wurde im EU-Parlament gegen die Stimmen der Liberalen und Konservativen mit großer Mehrheit angenommen – geschehen ist seit der Annahme jedoch nicht viel. „Die EU-Kommission hat bei den Beihilferegelungen die alleinige Entscheidungskompetenz, das EU Parlament ist machtlos“, beschreibt Steenbergen das Dilemma. Es gäbe die Möglichkeit, sich dem Problem über den europäischen Rat – bestehend aus den Regierungschefs der einzelnen Mitgliedsländer – anzunehmen. „Dies ist aber nicht zu erwarten, da soziale Wohnungsbaupolitik nicht auf der Agenda der meisten Mitgliedsländer steht“, so Steenbergen.            

Dabei ist die Wohnungskrise europaweit sehr ernst. Die EU-Sparpolitik hat in den letzten Jahren zu sozialen Verwüstungen in den europäischen Krisenstaaten geführt, auch im Bereich des Wohnens. Laut der Studie von Cecodhas Housing Europe sind heute deutlich mehr Menschen in der EU obdachlos als vor Beginn der nun seit sechs Jahren herrschenden Austeritätspolitik. Immer mehr Menschen können die Kosten für Wohnraum nicht mehr bezahlen, sind von Zwangsräumungen bedroht oder müssen auf geringerer Wohnfläche zusammenrücken. Ein Bruch mit der desaströsen neoliberalen Politik in der europäischen Union und die Förderung eines europaweiten kommunalen und sozialen Wohnungsbaus sind angesichts der Verheerungen in der Krise dringend notwendig.                  

 

 


MieterEcho 376 / September 2015

Schlüsselbegriffe: sozialer Wohnungsbau, Sprpolitik, europäische Union, Cecodhas Housing Europe, Subsidiaritätsprinzip, Karima Delli, Austeritätspolitik, Barbara Steenbergen, Sozialstaat