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MieterEcho 375 / Juli 2015

Moabit hilft

Anwohner/innen schaffen Willkommenskultur und Unterstützung für Flüchtlinge

Von Rainer Balcerowiak                                    

 

In Moabit ist der Umstrukturierungsprozess in vollem Gang. Die zentrale Lage verspricht Aufwertungspotenzial, was sich sowohl in Luxusmodernisierungen als auch in Umwandlungen in Wohneigentum niederschlägt. Bei Neuvermietungen belegt der begehrte Altbaukiez einen Spitzenplatz in Bezug auf die prozentualen Mietsteigerungen. Eine sehr aktive Initiative sorgt dafür, dass in dieser Konstellation die Schwächsten im Bezirk nicht aus dem Blickwinkel geraten. Denn in Moabit leben über 1.000 Flüchtlinge in provisorischen Unterkünften und es ist damit zu rechnen, dass es noch deutlich mehr werden. Die zuständigen Behörden sind aufgrund ihrer Personalausstattung nicht in der Lage, eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge zu gewährleisten, von Integrations- und Freizeitangeboten ganz zu schweigen.                                


„Moabit hilft“ entstand im Herbst 2013, als bekannt wurde, dass der Bezirk Mitte im alten Vermessungsamt in der Straße Alt-Moabit eine Flüchtlingsunterkunft mit bis zu 250 Plätzen einrichten wird. Was als Spendensammlung im Kiez begann, ist mittlerweile ein gut organisiertes Netzwerk. Alle zwei Wochen trifft sich eine Art Plenum in einem Moabiter Café und koordiniert die Aktivitäten. Daran nehmen bis zu 40 Anwohner/innen und Unterstützer/innen teil. Bei den Treffen merkt man schnell: Es sind weder Zusammenkünfte von frustrierten Polit-Veteranen, noch gibt es langatmige Reden oder genderpolitische Befindlichkeiten. Stattdessen trifft sich eine bunte Mischung von Menschen, die angesichts des Flüchtlingselends einfach nur helfen wollen. Viele sind Studierende, aber auch Rentner/innen, Erwerbslose und Berufstätige engagieren sich. Auf den Treffen entstehen rasch Angebote: Eine pensionierte Spediteurin bietet ihren Klein-LKW für Transporte und Umzüge an, ein Jurist will sich die Satzung für die Vereinsgründung der Initiative anschauen, ein Student der Verwaltungswissenschaften regt die Begleitung von Flüchtlingen bei Behördengängen an und Lehramtsstudentinnen wollen Deutschkurse anbieten. Andere packen einfach mal mit an, für ein Kinderfest oder einen Flohmarkt oder für eine Bastel- oder Sportgruppe. Schnell werden Aufgaben verteilt und Kommunikationsstrukturen eingerichtet. Auch die Akquise, Lagerung und Verteilung von Sachspenden wird inzwischen recht professionell organisiert. Motiviert werden muss hier niemand, auch wenn die kleinen Berichte über schier unglaubliche Vorfälle bei der „Flüchtlingsbetreuung” in Moabit das Engagement bestimmt noch befördern.                        

    

Nicht nur praktische Hilfe        

Flüchtlinge sind vom Mangel an bezahlbarem Wohnraum in besonderer Weise betroffen. Zwar ist eigentlich vorgesehen, dass sie nach drei Monaten die Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen, um in Gemeinschaftsunterkünfte oder dezentrale Wohnungen oder Wohngemeinschaften zu ziehen, doch besonders Letzteres gestaltet sich schwierig. Die Kostenübernahmesätze sind knapp bemessen und nur wenige Vermieter sind in boomenden Kiezen bereit, Abstriche bei den verlangten Mieten zu machen. So ist in der Einrichtung in Alt-Moabit laut der Initiative ein regelrechter Stau entstanden, bis zu 50% der Bewohner/innen – darunter viele Familien mit Kindern – halten sich dort teilweise deutlich länger als drei Monate auf. Doch auch Umzüge in entfernte Stadtteile sind problematisch, weil damit die gerade erst entstandenen sozialen Kontakte in Kitas, Schulen, Sprach- und Freizeitgruppen wieder gekappt werden. Den Initiator/innen von „Moabit hilft“ ist daher vollkommen bewusst, dass sie mit ihrer Arbeit die Lebenssituation der Flüchtlinge bestenfalls ein wenig bessern können, aber nur eine durchgreifende Änderung der Flüchtlingspolitik umfassend Abhilfe schaffen könnte. Doch immerhin wird in Moabit Flüchtlingen gezeigt, dass sie in ihrer Nachbarschaft willkommen sind und sie auch nicht befürchten müssen, von irgendwelchen „Bürgerinitiativen“ oder Neonazi-Gruppen angefeindet oder attackiert zu werden. Und das ist in Berlin wahrlich keine Selbstverständlichkeit.    

Weitere Informationen:

moabit-hilft.com


MieterEcho 375 / Juli 2015

Schlüsselbegriffe: Moabit, Anwohner/innen, Flüchtlinge, „Moabit hilft“, Flüchtlingsunterkunft, Moabiter Café, Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Flüchtlingselend, provisorischen Unterkünfte