Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 376 / September 2015

Diskriminierung auf einem angespannten Wohnungsmarkt

Auf dem zunehmend angespannten Berliner Wohnungsmarkt sind Mieter/innen mit Migrationshintergrund immer häufiger von Diskriminierung betroffen

Von Moritz Merten                                    

 

Im Dezember letzten Jahres sprach das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg zwei Mietparteien mit türkischem Migrationshintergrund eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu. Ein Vermieter in der Fanny-Hensel-Siedlung hatte zunächst allen Mietparteien eine Mieterhöhung zukommen lassen. Eine weitere Miet-erhöhung erhielten dann jedoch nur Mieter/innen mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund. Das Urteil erregte Aufsehen, weil zum ersten Mal ein Vermieter auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zur Zahlung von Schadensersatz wegen Diskriminierung von Mieter/innen mit Migrationshintergrund verurteilt wurde. Es erkennt somit auf juristischer Ebene an, was vereinzelte Studien bereits wissenschaftlich belegt haben: Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund durch sogenannte Gatekeeper (Torwächter) – wie Vermieter oder Mitarbeiter von Wohnungsbaugesellschaften – gehört auf dem Wohnungsmarkt zum Geschäft.                             


Wenn in Öffentlichkeit und Medien die Konzentration von Menschen mit Migrationshintergrund in bestimmten Stadtteilen diskutiert wird, ist Diskriminierung als mögliche Ursache eher selten ein Thema. Häufiger wird angenommen, diese Form der Wohnsegregation entstehe durch die Präferenz von Personen mit Migrationshintergrund, mit Angehörigen der eigenen Gruppe wohnen zu wollen. Oft bevorzugen neu eingewanderte Migrant/innen solche Quartiere tatsächlich, da sie in migrantisch geprägten Stadtteilen die Infrastruktur und Unterstützung finden, die ihnen das Ankommen und Zurechtfinden im Ankunftsland erleichtern. Befragungen zeigen jedoch, dass nur ein geringer Anteil aller Personen mit Zuwanderungsgeschichte das Wohnen in einem Viertel mit überwiegend migrantisch geprägter Bewohnerschaft bevorzugt. Die Wohnortpräferenz von Mieter/innen mit Migrationshintergrund kann also nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung ethnischer Segregation darstellen. Sie bezieht sich wahrscheinlich vor allem auf neuankommende Migrant/innen und weniger auf Personen mit Migrationshintergrund der zweiten oder dritten Generation. Allerdings haben Haushalte mit Migrationshintergrund im Vergleich zur herkunftsdeutschen Bevölkerung ein im Durchschnitt geringeres Einkommen. Dadurch sind sie hinsichtlich der Wahlmöglichkeiten des Wohnorts häufig auf Quartiere mit günstigem Wohnraum beschränkt. Somit kommt es zu einer Überschneidung mit Formen sozialer Segregation, weil sich in solchen Quartieren auch sozioökonomisch marginalisierte Haushalte ohne Migrationshintergrund konzentrieren. Zur Entstehung und Verfestigung ethnischer und sozialer Segregation tragen nicht zuletzt auch die besserverdienenden Haushalte (mit und ohne Migrationshintergrund) bei, die diese Quartiere verlassen. Denn zum Teil bevorzugt die Mittelschicht, mit anderen Haushalten der eigenen sozialen Gruppe in einem Stadtteil zu leben, um so die soziale Distanz zu unteren Schichten räumlich umzusetzen.          

 

Nachweis mit Testing-Verfahren    

Diskriminierung als Ursache für Segregation ist in Deutschland bisher wenig untersucht. Eine im April 2015 im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erarbeitete Studie fasst Ergebnisse zusammen. Einige Untersuchungen in den letzten Jahren arbeiteten mit dem sogenannten Testing-Verfahren (MieterEcho Nr. 355/ Juli 2012). Bei dieser Methode bewerben sich fiktive Personen auf reale Wohnungsanzeigen. In für Vermieter relevanten Merkmalen wie Einkommen, Familienstand, Alter etc. unterscheiden sich jeweils zwei fiktive Bewerber/innen dabei nicht. Lediglich der Name und bei Telefonbewerbungen der Akzent deuten auf einen Unterschied hin: Die eine Testperson hat einen Migrationshintergrund, die andere nicht. Dass die Bewerber/innen mit Migrationshintergrund deutlich seltener zu Besichtigungsterminen eingeladen werden und seltener eine Wohnungszusage erhalten, belegt die Diskriminierung durch die Vermieter. Vermieter schließen möglicherweise vom Merkmal Migrationshintergrund auf andere Merkmale der Bewerber/innen, beispielsweise Lebensweise, Zuverlässigkeit etc., welche sie als potenzielle Mieter/innen unattraktiver erscheinen lassen.     Auf einem Wohnungsmarkt mit ausreichendem und vielfältigem Wohnungsangebot kommt Diskriminierung weniger zum Tragen. Trotz eines sozialen Aufstiegs von Teilen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sind immer noch weite Teile den unteren sozialen Einkommens- und Berufsschichten zuzuordnen. Aufgrund ihrer geringeren finanziellen Mittel stützen sie die Nachfrage in den Wohnungsmarktsegmenten mit geringerer Wohnqualität. Da sie sich ihrer Stellung innerhalb der deutschen Gesellschaft oft bewusst sind, sind sie häufig anspruchslosere Mieter/innen und deshalb in diesen Bereichen des Wohnungsmarkts bei Vermietern nicht unbeliebt. Auf einem Wohnungsmarkt, der wie in Berlin zusehends angespannter wird, ist jedoch von einer zunehmenden Diskriminierung auszugehen. Mit steigender Wohnungsnachfrage und einem Überhang gegenüber dem Wohnungsangebot, wird es Vermietern immer besser möglich, sich ihre Mieter/innen auszuwählen. Neben dem für Vermieter in erster Linie wichtigem Kriterium der Solvenz können dann andere Kriterien relevant werden, beispielsweise eine angenommene kulturelle Andersartigkeit der Wohnungsbewerber/innen.             

 

Rassistisch motivierte Mieterhöhungen            

Der Versuch, die Bewohnerschaft möglichst homogen zu gestalten, ließe sich wohlwollend möglicherweise als Ausdruck der Sorge interpretieren, Bewohner/innen mit Migrationshintergrund würden zahlungskräftige Mieter/innen ohne Migrationshintergrund verschrecken. Diese würden ausziehen oder gar nicht erst einziehen, weil sie aufgrund der angenommenen kulturellen Andersartigkeit Konflikte befürchten. Das könnte auch die Motivation für das diskriminierende Verhalten der vermietenden Immobilienfirma im Fall der Fanny-Hensel-Siedlung sein. Durch die attraktive Innenstadtlage sind dort höhere Mieteinnahmen möglich, wenn entsprechend zahlungskräftige Mieter/innen gewonnen werden. Offensichtlich wurde versucht, die Haushalte mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund gezielt aus ihren Wohnungen zu drängen – möglicherweise weil sie den Verwertungsinteressen der Immobilienfirma entgegenstehen.    Das Urteil erkennt jedoch nicht nur an, dass Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden. Das Gericht hebt in seinem Urteil ausdrücklich hervor, dass auch den Kindern der klagenden Mieter/innen Schaden entstanden sei. Denn die erfahrene Diskriminierung könne einen negativen Einfluss auf ihre Sozialisation haben und benachteilige sie so in ihrer Entwicklung. Dies ist insofern bemerkenswert, da Diskriminierung somit nicht nur als direkte Benachteiligung – wie im vorliegenden Fall auf dem Wohnungsmarkt – gewertet wird, sondern auch anerkannt wird, dass sie sich negativ auf Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbewusstsein auswirken kann und dadurch zusätzlich indirekt benachteiligend wirkt.                            

 

Wohnungspolitik gefordert        

Das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg dürfte wegweisend sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie das AGG in weiteren ähnlichen Fällen ausgelegt wird. Auch wird es für gewöhnlich nicht einfach sein, Diskriminierung seitens der Vermieter nachzuweisen. Dass bei Neuvermietungen Bewerber/innen ohne Migrationshintergrund bevorzugt werden, lässt sich zwar mit Testing-Verfahren auf einer allgemeinen Ebene nachweisen, aber es dürfte schwierig sein, im Einzelfall vor Gericht zu beweisen, dass ein/e Bewerber/in wegen seines/ihres Migrationshintergrunds bei der Auswahl nicht berücksichtigt wurde. Auf dem zunehmend angespannten Berliner Wohnungsmarkt, auf dem Wohnungen in attraktiven Innenstadtlagen vermehrt von zahlungskräftigen Bevölkerungsschichten nachgefragt werden, dürften Bewerber/innen mit Migrationshintergrund immer öfter abgelehnt werden. Eine zunehmende ethnische wie soziale Entmischung von Stadtteilen wäre die Folge. Daran werden auch einzelne Gerichtsurteile nichts ändern können. Dafür bedarf es vielmehr einer aktiven Wohnungspolitik, die für ausreichend Wohnraum auch für einkommensschwache Haushalte sorgt und diesen nicht nur am Stadtrand konzentriert.        

 

Das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 19. Dezember 2014 (AZ: 25 C 357/14) ist unter

www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse verfügbar.

 

 


MieterEcho 376 / September 2015

Schlüsselbegriffe: Berliner Wohnungsmarkt, Mieter/innen mit Migrationshintergrund, Diskriminierung, Fanny-Hensel-Siedlung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, AGG, Testing-Verfahren, Mieterhöhungen, Rassismus

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