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MieterEcho 376 / September 2015

„Der Staat braucht ein breites Kontingent an Wohnungen, um auf soziale Notwendigkeiten reagieren zu können.“

In Spanien greifen Basisbewegungen erfolgreich in die Wohnungskrise ein

Interview mit Eduard Baches und Carlos Macías    

                                    

Die globale Wirtschaftskrise führte in Spanien zu einem besonders verheerenden Mangel bei der Wohnraumversorgung (MieterEcho Nr. 361/ Juli 2013). Dagegen organisieren sich Basisbewegungen und neu entwickelte Institutionen. Bemerkenswerterweise wurden mit Manuela Carmena und Ada Colau Basisaktivistinnen zu den Bürgermeisterinnen der Metropolen Madrid und Barcelona gewählt. In Interviews berichten zwei Initiativenvertreter zu den aktuellen Entwicklungen. Carlos Macías, Sprecher der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) für die Region Katalonien, und Eduard Baches, über mehrere Jahre Sprecher der PAH in Lleida und 2015 Bürgermeisterkandidat.        

                                        

MieterEcho: Wie hat sich der Wohnungsmarkt in den letzten Jahren entwickelt?        


Eduard Baches: In der Franco-Diktatur sollte sich Spanien von einem Land der Proletarier zu einem der Eigentümer entwickeln. Eigentümer sind einfacher zu kontrollieren. Und so wurde Spanien, in dem es lange eine Tradition des Mietens gab, zu einem Land des Wohneigentums. Nach der Einführung der Demokratie ging es wie in der Diktatur weiter, teilweise sogar schlimmer, denn das Wohneigentum wurde nicht nur gefördert, sondern Mieterrechte wurden beschnitten. Als der konservative José María Aznar 1996 an die Regierung in Spanien kam, änderte sich das Boden- und Gebäuderecht umfassend. Der gesamte Markt wurde liberalisiert und es entstand eine große Immobilienblase. In kurzer Zeit wurden Millionen Wohnungen gebaut. Viele Menschen kauften sich eine Wohnung. Als die Blase platzte, wurden viele Menschen arbeitslos und konnten die Kredite nicht zurückzahlen. Wenn sie nun ihre Wohnung durch Zwangsräumung verlieren und die Bank die Wohnung nicht als Gegenwert für die durch ihren Kauf entstandenen Schulden akzeptiert, droht diesen Menschen Verschuldung auf Lebenszeit.                                                        

Carlos Macías: Der Wohnungskauf wird im Gegensatz zum Mieten seit mehreren Generationen als sichere und bessere Form des Wohnens propagiert. Von den Regierungen und den Medien wurde immer wiederholt, dass, wenn es einem eines Tages schlecht gehe, die Wohnung ja verkauft werden könne.    


Gibt es eine ausreichende Wohnraumversorgung?    

                                    

EB: In Lleida gibt es 6.000 leere Wohnungen. Zugleich sind viele Wohnungen überbelegt. Ich kenne eine Wohnung, in der zwei Familien wohnen und die Familienmitglieder sogar im Flur schlafen.                                                         

CM: Spanien ist laut dem nationalen Institut für Statistik das Land mit den meisten leer stehenden Wohnungen in Europa. Die Schätzungen belaufen sich auf 3,5 Millionen Wohneinheiten. Zugleich ist es das Land mit den meisten Zwangsräumungen.

 

EB: Viele Menschen können Strom, Wasser und Heizung nicht mehr bezahlen, sodass immer mehr einen Winter ohne Heizung oder einen Sommer ohne Wasseranschluss verbringen müssen. Die Verwaltungen verhalten sich passiv. Bei den von bevölkerungsnahen Parteien gestellten Stadtregierungen wie denen von Ada Colau in Barcelona oder von Manuela Carmena in Madrid sind allerdings erste Verbesserungen festzustellen.    


Welche Akteure gibt es am Wohnungsmarkt? Gibt es ein staatliches Wohnungsprogramm?      

 

CM: Der öffentliche Wohnungsbau macht nur 1% der gesamten Wohnungsversorgung aus. Er existiert quasi nicht. Und das, was in der Immobilienblase an öffentlichem Wohnungsbau entstand, wurde in Eigentumswohnungen umgewandelt. Seit Jahrzehnten wird auf Wohneigentum gesetzt. Gerade das ist sinnlos, denn der Staat braucht ein breites Kontingent an Wohnungen, um auf soziale Notwendigkeiten reagieren zu können. Anstatt ein Kontingent an öffentlichen Wohnungen zu schaffen, geht die Praxis des Verscherbelns ungebrochen weiter. Die Bad Bank Sareb ist eine Institution, die zur Restrukturierung der Vermögen der Finanzunternehmen geschaffen wurde. Sie übernimmt leere Wohnungen von den Banken, um diese dann billig an internationale Fonds zu verkaufen. Wir kritisieren das. Nachdem die Banken mit öffentlichen Geldern gerettet wurden, werden sie nun zum Wohnungsankauf und zur Privatisierung genutzt. Eine skandalöse Praxis.  

 

Welchen Spielraum haben die linken Bürgermeisterinnen Ada Colau und Manuela Carmena in Barcelona und Madrid, um die Probleme der Wohnungsversorgung anzugehen?      

 

CM: Da die Wahlen erst vor Kurzem waren, ist praktisch noch nicht viel passiert, aber es gibt Ansätze. In Barcelona finden Versammlungen der Basisbewegungen mit der neuen Regierung statt. Die Stadtregierung kann Zwangsräumungen zwar nicht direkt stoppen, da sie nicht über die erforderlichen gesetzlichen Handlungsspielräume verfügt, doch sie engagiert sich nun bei der Suche nach Ersatzwohnungen und bietet leer stehende Wohnungen zu Sozialmieten an. Wir fordern zügigeres Handeln.    

                                

Erwarten Sie, dass die Stadtregierung das tun wird?                    


CM: Die PAH ist parteiunabhängig, auch gegenüber der Partei von Ada Colau. Wir werden dieselben Dinge wie bisher verlangen und auch weiter zusammenarbeiten, damit die Stadtregierung unsere Forderungen umsetzt. Wenn sie es nicht tut, werden wir Druck ausüben wie zuvor. Doch wir sind zuversichtlich, dass  die  Partei  die  Punkte  ihres  Wahlprogramms  umsetzt.  

 

Wie ist das Verhältnis der sozialen Bewegungen in Spanien zu den Entwicklungen in Griechenland? 

 

EB: Als Tsipras die Regierung Griechenlands übernahm, wehten hier überall griechische Fahnen. Für die sozialen Bewegungen, für die gesamte Linke, war Syriza ein Spiegel, in dem sie sich selbst sehen und von denen sie lernen konnten. Vor allem die Aktiven von Podemos bezogen sich stark auf Tsipras. Nach dem Referendum und der Entscheidung Tsipras‘, die Bedingungen der Gläubiger zu akzeptieren, verschwanden die griechischen Fahnen von heute auf morgen. Die Situation einzuschätzen fällt nicht leicht. Sicher ist, dass der Druck auf die Länder des Südens immens und die Schuldenlast extrem ist.                                        

Welche Ansätze von unten gibt es zur Wohnungskrise?        

 

EB: Die wichtigsten Aktivitäten sind die der Plattformen der Hypothekenbetroffenen PAH. Immer mehr Menschen besetzen außerdem Wohnungen. Ende Juli kam eine Studie heraus, dass in Katalonien jeden Tag zwei Wohnungen besetzt werden. Dies sind nicht nur symbolische Aktionen, es geht dabei oft um Fragen des Überlebens.          

 

CM: Die Aktivitäten unserer Plattform sind: Anprangern des Hypotheken-Betrugs und der ungerechten Gesetzeslage, Verhindern von Zwangsräumungen, Aktionen in Bankgebäuden, um Schuldenerlässe zu erringen, Besetzung von Gebäuden sowie Gesetzesinitiativen von unten. Die wichtigste Errungenschaft der Plattformen ist, dass wir die öffentliche Wahrnehmung verändert haben. Jetzt ist allen bewusst, dass Zwangsräumungen nicht selbstverschuldet sind, sondern dass es eine objektiv ungerechte und unsoziale Situation ist, die verändert werden muss.                        

In Katalonien wurde eine Gesetzesinitiative von unten gestartet. Nach sehr viel Arbeit der Initiativen wurde am 23. Juli 2015 das Gesetz im katalanischen Parlament verabschiedet. Es beinhaltet, dass gegen Banken Sanktionen von bis zu einer halben Million Euro pro Wohnung erlassen werden, wenn sie diese leer stehen lassen. Es kann nun auch ein außergerichtlicher Schuldenerlass erwirkt werden. Auch bei Mietwohnungen sollen Zwangsräumungen eingeschränkt werden, denn neuerdings finden die meisten Zwangsräumungen nicht mehr bei kreditfinanzierten Eigentumswohnungen, sondern im Mietsektor statt. Große Eigentümer werden verpflichtet, nicht mehr zu räumen und die Menschen für drei Jahre zu einer Sozialmiete in ihrer Wohnung leben zu lassen. Bei kleineren Eigentümern mit bis zu zehn Wohnungen wird die Verwaltung verpflichtet, die Mieter/innen bei der Mietzahlung zu unterstützen oder eine andere günstige Wohnung zur Verfügung zu stellen. Zudem ist es nun möglich, von Banken leer gelassene Wohnungen temporär zu enteignen. Würdevoll zu wohnen, heißt nicht nur, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf, sondern auch, dass sie garantierten Zugang zu Wasser, Gas und Strom haben. Mit diesem Gesetz soll das nun endlich geschehen.                 

Für Katalonien werden die Folgen direkt spürbar sein. Ab Anfang September soll es keine Zwangsräumungen, keine Einschränkungen bei Strom, Gas und Wasser sowie keine Hypothek-Schulden auf Lebenszeit mehr geben. Das Ziel ist nun landesweiter Druck, um auch in den anderen Regionalparlamenten ähnliche Gesetze zu erzwingen.        


Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führten Grischa Dallmer und Matthias Coers.

Übersetzung aus dem Spanischen: Grischa Dallmer.


MieterEcho 376 / September 2015

Schlüsselbegriffe: Spanien, Basisbewegungen, Wohnungskrise, Manuela Carmena, Ada Colau, Plattform der Hypothekenbetroffenen, PAH, Wohnungsversorgung, Immobilienblase, öffentlicher Wohnungsbau, Privatisierung, Podemos