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MieterEcho 365 / Februar 2014

Wohnungskrise in Europa: Abbau von Regulierungen lässt Wohnkostenbelastung steigen

Das europäische Parlament stellt fest: Der Markt löst die Wohnungsprobleme nicht

Von Hermann Werle  

                                             

Die Europäische Union ist nicht bekannt dafür, sich mit wohnungspolitischen Fragen zu beschäftigen. Wohnungspolitik gehört auch nicht zu den unmittelbaren Politikfeldern der EU. Dennoch drängt sich die Wohnungsfrage im Zuge der allgemeinen sozialen Verwerfungen zusehends in die Debatten der europäischen Institutionen. Im Europäischen Parlament wurden in den letzten Monaten bemerkenswerte Positionen formuliert. Diese bleiben zwar zunächst ohne politische Folgen, zeigen aber, dass eine Debatte auf europäischer Ebene durchaus anregend sein kann.                                        


Wenn zwischen dem 22. und 25. Mai 2014 das achte Europäische Parlament gewählt wird, sind dies die ersten Wahlen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. Mit ihm wurde – nach dem Bekunden der EU-Spitzenvertreter – die EU so demokratisch wie noch nie. Tatsächlich verweisen die strukturellen Veränderungen innerhalb der EU weit weniger auf bedeutungsvoll ausgeweitete Mitbestimmungsmöglichkeiten als auf das vorher wie nachher niedrige Niveau öffentlich-europäischer Debatten und Einflussmöglichkeiten. So fand beispielsweise die Diskussion über einen „sozialen Wohnungsbau in der Europäischen Union“ keinerlei Niederschlag  in deutschen Medien oder der politischen Debatte. Auch wenn die EU nicht direkt in die nationale Wohnungspolitik einwirken kann, bleiben die Wohnungsmärkte von europäischer Gesetzgebung nicht unberührt. So können sich die europäischen Klimaziele mit den entsprechenden von der EU-Kommission initiierten Regelungen ganz erheblich auf die Entwicklung der Mieten auswirken. Erinnert sei nur an energetische Modernisierungen, die für betroffene Mieter/innen horrende Mietsteigerungen nach sich ziehen (siehe Infokasten). Die Ausrichtung auf freie Märkte, sprich der Abbau staatlicher Regulierungen, ist eine Verfahrensweise, die insbesondere die Europäische Kommission nutzt, um den Interessen der Unternehmen zu genügen.                                                        

 

Unfähigkeit des Marktes                

Gerade das Funktionieren des Marktes stellt die Abgeordnete der französischen Grünen, Karima Delli, erheblich infrage. In ihrem Entschließungsantrag für das Europäische Parlament von Juni 2013 heißt es, „dass der Bedarf an erschwinglichem Wohnraum aufgrund der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise immer weniger durch den Markt selbst gedeckt werden kann“, und zwar insbesondere in städtischen Gebieten, „und dass die steigenden Kosten für Wohnraum und Energie die Gefahr von Krankheiten, das Armutsrisiko und die Gefahr sozialer Ausgrenzung vergrößern“. Entsprechende Daten liefert das statistische Amt der EU. So stieg in den meisten Ländern der EU die Wohnkostenbelastung ganz erheblich, insbesondere für die einkommensärmsten 20% der Haushalte. In Griechenland müssen über 90% dieser Haushalte mehr als 40% des verfügbaren Einkommens für die Wohnkosten aufbringen. An diese Werte kommt Deutschland nicht heran. Auffallend ist hier allerdings die Steigerung von 2010 bis 2012 (für 2013 liegen keine Zahlen vor). Um beinahe 7% – von 38,9 auf 46,7% stieg der Anteil der ärmsten Haushalte, die mehr als 40% ihres Gelds für die Wohnung ausgeben müssen. Die Zahlen für Berlin dürften noch deutlicher ausfallen. Was es auf europäischer Ebene nun also gibt, in Berlin jedoch gänzlich fehlt, ist eine deutliche Positionierung zum Marktversagen bei gleichzeitiger Betonung der Notwendigkeit eines sozialen Wohnungsbaus. Beides liefert Delli in ihrer Begründung für das EU-Parlament, wobei sie sicherlich nicht das bundesdeutsche Förderungssystem für den sozialen Wohnungsbau im Sinn hat: „Der soziale Wohnungsbau ist eines von mehreren Instrumenten, mit dem die Behörden auf die Unfähigkeit des Marktes zur Deckung des Gesamtbedarfs an Wohnungen reagieren und einen umfassenden Zugang zu angemessenem Wohnraum zu erschwinglichen Mieten für alle gewährleisten können.“                  

 

 

Von der Kommission kassiert                

Nun ist das EU-Parlament nicht mit der Befugnis ausgestattet, aus einem solchen Bericht ein Gesetz zu machen, aber beachtenswert ist es schon, dass der Antrag mit einer Mehrheit von 51% der europäischen Abgeordneten angenommen wurde. Die Kommission, der es obliegen würde, einen Gesetzesakt aus dem Bericht zu formulieren, kassierte den Text erwartungsgemäß mit einer durchaus typischen Antwort. Die Probleme würden durchaus auch gesehen, aber Wohnungspolitik sei nun mal die Sache der Staaten selbst mit ihren verschiedenen Systemen der Wohnungspolitik. Die Angleichung verschiedener Politiken, die bei der Liberalisierung kaum Grenzen kennt, ist für die Kommission bei allen sozialen Sicherungssystemen und Infrastrukturen ein absolutes Tabu. Dafür zeigt sie vollstes Verständnis für den Markt der Dämmstoffindustrie. Denn in der gleichen Antwort erklärt die Kommission ausführlich, dass die finanzielle Förderung energetischer Sanierungen völlig EU-konform sei. Dass in diesem Zusammenhang beispielsweise im deutschen Mietensystem die Lasten auf die Mieter/innen abgewälzt werden, schert die Kommission wenig. Dafür plant die EU-Wettbewerbsbehörde eine andere Finesse, die dem sozialen Wohnungsbau deutliche Einschränkungen auferlegen würde, nämlich die Beschränkung der Einkommensgrenzen für Menschen, die vom geförderten Wohnungsbau profitieren sollen. Denn die öffentlichen Wohnungsunternehmen hätten durch die staatliche Finanzierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Vermietern. Dagegen verwehrt sich nun ein Bündnis von Bürgermeistern aus ganz Europa von Amsterdam bis Zagreb. Selbst der Name des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), der landeseigene Wohnungsgesellschaften zu privatisieren beliebte und ein ganzes Jahrzehnt lang auf Neubau verzichtete, findet sich in der Liste der Unterzeichnenden für „die Erhaltung und den Ausbau eines nachhaltigen Wohnbaus in Europa“.

 

 

 

„Brandgefährliche Fassadendämmung:

Das falsche Spiel der Lobbyisten“

 

Unter diesem Titel strahlte das ARD-Magazin Monitor im Januar einen Beitrag zur energetischen Modernisierung aus. Der kritische Tenor entspricht den Ausführungen des MieterEchos Nr. 357/ Dezember 2012, sowohl die Brandgefahr als auch die Einsparversprechungen der Dämmstoffindustrie und ihrer Lobby betreffend.

 

Vor laufender Kamera warnt der Brandsachverständige Berndt Haarmann eindringlich vor der Dämmung mit Styropor und erklärt: „Normal sollte es verboten werden.“ Bezüglich versprochener Energieeinsparungen besuchte Monitor den Professor Jens Fehrenberg von der Hochschule Hildesheim, der über Jahre drei mehrgeschossige Mietshäuser, von denen eines mit einem Wärmedämmverbundsystem ausgerüstet worden war, untersuchte. Es könne festgestellt werden, so Fehrenberg, „dass sich die Heizkostenabrechnungen nicht geändert haben“. Und das vor dem Hintergrund, dass die Lobbyisten bis zu 50% Einsparung versprächen. Dass sich auch die Große Koalition für steigende Gewinne der Branche einsetzen wird, dürfte kaum überraschen. Der Monitor-Beitrag lässt neben der Kanzlerin Angela Merkel auch Sigmar Gabriel als neuen Bundesminister für Wirtschaft und Energie zu Wort kommen. Während es der Kanzlerin darum geht, „die Anreize so zu setzen, dass für Eigentümer von Häusern oder Wohnungen es sich lohnt, diese Wärmedämmung durchzuführen“, plaudert Gabriel aus eigener Erfahrung: „Vorher habe ich zum Beispiel mein Haus gedämmt und merke das unmittelbar an meiner Heizkostenrechnung.“ Nicht bei Monitor gesendet, aber trotzdem bemerkenswert ist, dass sich auch ehemalige Politprominenz ganz rührend um die Verdienste der Chemiekonzerne kümmert. Ende letzten Jahres eröffnete der Unternehmensberater Joschka Fischer, eingeladen von Plastics Europe, dem europäischen Lobbyverband der chemischen Industrie, deren Stand auf einer Messe in Düsseldorf. „Er machte deutlich“, so die Pressemitteilung der Plastikproduzenten, „dass klimatische Veränderungen, begrenzte natürliche Ressourcen und die weltweit zunehmende Nachfrage nach Energie nachhaltiges Wirtschaften immer dringlicher machen“ und die Kunststoffindustrie „dabei ein wichtiger Innovationstreiber“ sei. In vertrauter Kooperation mit seiner früheren Amtskollegin aus dem US-Außenministerium Madeleine Albright und deren Albright Stonebridge Group-Beratungsgesellschaft, setzt sich Fischer mit seinem Unternehmen „Joschka Fischer and Company“ seit einigen Jahren rund um den Globus und speziell in Brüssel für die Interessen der großen Industrien ein.

 

Weitere Informationen: Der Monitor-Beitrag im Internet: www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2014/daemmung.php5

 


MieterEcho 365 / Februar 2014

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