Wohnen als Luxus
Der Kampf um soziales Wohnen in Frankreich
Von Grischa Dallmer und Matthias Coers
„Solidarität mit denen, die schlecht wohnen!“, hieß es am 19. Oktober 2013 lautstark auf der Place de la République in Paris. Im Rahmen des internationalen Aktionstags für das Recht auf Wohnen fanden sich Hunderte Wohnungslose und Unterstützer/innen zusammen, um günstigen Wohnraum für 300 wohnungslose Familien zu fordern. Ende September hatten sie dort bereits für sechs Tage ein Camp errichtet und dadurch einen runden Tisch erwirkt.
Nachdem ihre Forderungen trotz des runden Tischs unerfüllt blieben, wollten sie ab Mitte Oktober eine einwöchige Dauerkundgebung für ihr Camp abhalten. Die jedoch immer wieder eingreifende Staatsmacht vertrieb die hartnäckig Protestierenden durch gewalttätige Polizeieinsätze. Dementsprechend groß war der Zulauf für den internationalen Aktionstag für das Recht auf Wohnen. Im Rahmen des Aktionstags sollten Besetzungsaktionen stattfinden, doch die Polizei unterband auch diese, setzte die Protestierenden gegen ihren Willen stundenlang fest und es gab erneut Verletzte unter den Demonstrant/innen. Auch eine weitere Kundgebung am 21. Oktober wurde verboten. Der öffentliche Aufschrei gegen die Polizeigewalt und die Einschränkung des Demonstrationsrechts führte allerdings dazu, dass das Pariser Verwaltungsgericht das Verbot aufheben musste und die Erlaubnis für dauerhafte Demonstrationen erteilte. Nach diesem juristischen Erfolg konnten die wohnungslosen Menschen den ganzen November lang auf dem Platz bleiben und ihn in einen zentralen Ort des Protests verwandeln. Am 29. November erreichten sie ihr Ziel: Das Wohnungsministerium unterschrieb einen Vertrag, der allen 300 Familien günstigen Wohnraum zusichert.
DAL: droit au logement (=Recht auf Wohnraum)
DALO: droit au logement opposable (=einklagbares Recht auf Wohnraum)
HLM: habitation à loyer modéré (=Wohnung mit gemäßigter Miete), Sozialwohnung |
Soziale Wohnraumversorgung
Organisiert werden solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen von einer in ganz Frankreich agierenden Organisation namens DAL. DAL entstand 1990 aus einem Camp mit 500 wohnungslosen Familien in Paris und bis heute haben sich in 27 Städten DAL-Komitees gegründet. Insgesamt konnten sie erwirken, dass 22.000 Menschen in HLM-Wohnungen einziehen konnten. HLM ist das System sozialer Wohnraumversorgung in Frankreich. Staatlich subventioniert gewährleisten diese Wohnungen wesentlich geringere Wohnkosten als der an Profit orientierte private Wohnungsmarkt. Rund 44% aller Mieter/innen wohnen in HLM, deren Mieten an Richtwerte gebunden sind, die aus den Lebenshaltungskosten errechnet werden. Trotz dieser bereits hohen Versorgungsrate übersteigt die ständig wachsende Nachfrage das Angebot, da die Mieten des privaten Wohnungsmarkts spekulationsgetrieben enorm ansteigen und die Immobilienpreise in ganz Frankreich in die Höhe schießen. Nur rund 420.000 Menschen bekommen pro Jahr eine HLM-Wohnung, aber auf den Wartelisten stehen 1,2 Millionen. Zugleich weist der private Wohnungsmarkt hohen Leerstand auf, Schätzungen gehen von 2,3 Millionen Wohnungen aus.
Recht auf Wohnraum
Genau an diesem Widerspruch setzt DAL an. In den letzten Jahren wurden verschiedene neue Gesetze erkämpft, die jedoch nur schleppend umgesetzt werden. Das sind in erster Linie das einklagbare Recht auf Wohnraum (DALO), das Recht auf Unterbringung und das Beschlagnahme-Gesetz. Letzteres erlaubt es dem Staat, leerstehenden Wohnraum, der Großeigentümern wie Banken und Konzernen gehört, zu beschlagnahmen und in HLM-Wohnungen umzuwandeln. Das Recht auf Unterbringung sichert zwar ein Dach über dem Kopf, führt allerdings auch dazu, dass viele Familien in Hotels untergebracht werden und dort für oft nicht absehbare längere Zeit ohne eigene Infrastruktur wie Küche und Bad leben müssen.
Der private Wohnungsmarkt ist keine Alternative. Die Mieten in Frankreich gehören, gemessen am Einkommen, zu den teuersten in Europa. Für die Miete zahlt jeder fünfte Haushalt deutlich mehr als 40% des Einkommens. In Paris ist die Situation besonders verschärft, da die Mieten hier doppelt so hoch sind wie in der nahen Umgebung und an anderen Orten Frankreichs. Doch der Arbeitsmarkt konzentriert sich zentralistisch in Paris und somit ziehen nur wenige Menschen freiwillig in andere Regionen. Zugleich wachsen die Arbeiter- und Armenviertel, die Banlieues, an den Stadträndern.
Geschichte der Verdrängung
Die Finanzkrise brachte eine weitere Verteuerung des Wohnens. In den letzten 10 Jahren haben sich die Preise mehr als verdoppelt, während die Einkommen nur um sage und schreibe rund 2% gestiegen sind. Inzwischen können sich auch Menschen mit gutem Einkommen kaum noch Wohnungen auf dem freien Markt leisten. Das Recht, sich für HLM-Wohnungen zu bewerben, haben 86% der französischen Bevölkerung. Trotz der gesetzlichen Verpflichtung, dass 20% aller Neubauten HLM-Wohnungen sein müssen, ist der Staat der zunehmenden Nachfrage, die aus Verarmung, Spekulation und aus der ansteigenden Bevölkerung Frankreichs resultiert, nicht gewachsen. Mit der Wahl der Sozialdemokraten um François Hollande kam kurzzeitig die Hoffnung auf, dass endlich die erkämpften Gesetze zur Beschlagnahmung und zur Versorgung mit Wohnraum zur Anwendung kommen. Doch der Optimismus ist inzwischen verflogen, wie die Aktivist/innen angesichts der oben geschilderten Repression ernüchtert konstatieren.
Somit führen die Mieter/innen ihre schon geübten Auseinandersetzungen weiter. Der Erfahrungsschatz der Mitglieder, die sich früher bereits eine Sozialwohnung erkämpft haben, und die Entschlossenheit derer, die gegen ihre schlechten Wohnbedingungen oder Wohnungslosigkeit heute aktiv werden, helfen dabei, von der Politik immer wieder Zugeständnisse zu erringen. So zum Beispiel die erkämpfte und bereits seit 1998 wirksame Winterpause für Zwangsräumungen. Dennoch bleiben die Auseinandersetzungen konfliktreich, denn gerade kurz vor der Winterpause werden durch Räumungen Menschen zahlreich auf die Straße gesetzt. Um in Frankreich weiterhin das wie auch in der Berliner Verfassung garantierte Recht auf Wohnen durchzusetzen, bleiben die vielen Camps und die Besetzungen von Institutionen und von Wohnraum zwingend notwendig.
Am 22. August 2013 berichteten Véronique Lhommeau, Marie Huiban und Gabriel Peña im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise. NEOLIBERALISMUS – KÄMPFE – PERSPEKTIVEN“ über das Wohnen in Frankreich.
Die Veranstaltungsreihe wirft einen Blick auf die Situation in anderen Ländern und Städten. Dokumentation, Videos und weitere Informationen unter: www.youtube.com/WohneninderKrise www.bmgev.de/politik/wohnen-in-der-krise.html
Zum Wohnungsmarkt in Frankreich sowie zu HLM und DAL siehe auch MieterEcho-Ausgaben Nr. 308, 312 und 320. |
MieterEcho 365 / Februar 2014
Schlüsselbegriffe: Soziale Wohnraumversorgung, Frankreich, DAL, privater Wohnungsmarkt, HLM-Wohnung, DALO, Arbeiterviertel, Banlieues, Arbeitsmarkt, Finanzkrise, steigende Nachfrage, Verarmung, Spekulation, Wohnungslosigkeit