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MieterEcho 370 / Oktober 2014

Wiener Wohnungsmarkt heute

Berlin und Wien ähneln sich stark, unterscheiden sich aber in einem wichtigen Punkt

Von Lukas Tockner    

Lukas Tockner ist Referent für Wohnungspolitik bei der Arbeiterkammer Wien, der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer/innen in Österreich.

www. arbeiterkammer.at

Steigende Einwohnerzahlen, ein angespannter Wohnungsmarkt und explodierende Mieten: Auf den ersten Blick wirkt Wien wie ein Doppelgänger Berlins. Jedoch unterliegen auch heute noch rund die Hälfte der Wiener Wohnungen einer Sozialbindung und öffentlich geförderter Wohnungsbau ist eine realistische Perspektive, um den enormen Neubaubedarf zu meistern. Denn der öffentliche Wohnungsbau hat eine Tradition, die bis ins „Rote Wien“ der Zwischenkriegszeit zurückreicht.       

 

Die Stadt Wien stellte jahrzehntelang die meisten Wohnungen selbst zur Verfügung. Heute wird eine dezentralere Strategie verfolgt. Die öffentlichen Fördermittel werden nun hauptsächlich an gemeinnützige Bauvereinigungen vergeben, die für den Löwenanteil des Bauvolumens in der Stadt verantwortlich sind. Aufgrund des über Jahrzehnte gewachsenen Bestands an sozial gebundenen Mietwohnungen ist das durchschnittliche Mietniveau in der Stadt im internationalen Vergleich immer noch ausgesprochen günstig. Laut Statistik Austria gab es im Jahr 2012 in Wien rund 373.000 Hauptwohnsitze in sozial gebundenen Mietwohnungen. Davon entfallen rund 201.000 auf die Gemeindewohnungen der Stadt und rund 172.000 auf Wohnungen gemeinnütziger Bauvereinigungen, also „Genossenschaften“. Das sind insgesamt etwa 57% aller Mietwohnungshauptsitze beziehungsweise knapp 43% aller Hauptwohnsitze.     

 

Leistungen des geförderten Wohnbaus        

Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung betrug die durchschnittliche Kaltmiete inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer bei neuen Mietverträgen im Jahr 2012 bei den Gemeindewohnungen im Schnitt 6,40 Euro/qm. Bei den gemeinnützigen Bauvereinigungen lagen die Kosten mit 7 Euro/qm etwas höher. Ein Vergleich mit den Kosten für private Mietwohnungen zeigt hier deutlich, was die sozial gebundenen Mietwohnungen für die Menschen bringen, denn diese kosteten 10 Euro/qm. Der Kostenunterschied zu den Gemeindewohnungen beträgt satte 3,60 Euro/qm. Für eine Wohnung von 70 qm sind das monatlich rund 250 Euro und damit etwa 3.000 Euro im Jahr. Für Durchschnittsverdienende sind das ziemlich genau zwei Nettomonatsgehälter. Bei Genossenschaftswohnungen beträgt die jährliche Ersparnis noch rund 2.500 Euro im Jahr. Der geförderte Wohnbau hebt den Lebensstandard der Mieter/innen also beträchtlich. Zudem hat der traditionsreiche geförderte Wiener Wohnbau eine Verschuldungs- und Immobilienkrise, wie es sie in vielen anderen Ländern gegeben, effektiv verhindert. Auf diese sozial- und wirtschaftspolitische Leistung blickt Wien mit einer gehörigen Portion Stolz.                                                        

 

Bevölkerungszuwachs und Wohnungsmangel        

Die eigene Attraktivität wird für die Stadt Wien bezüglich des Wohnungsmarkts zum immer größeren Problem. In den 80er und 90er Jahren stagnierte die Bevölkerungszahl noch: Zwischen 1981 und 2001 stieg sie lediglich von 1,53 auf 1,55 Millionen. Demgegenüber zogen in der letzten Dekade rund 170.000 Menschen nach Wien. Zum Vergleich: Linz, die drittgrößte Stadt Österreichs hat gerade einmal 190.000 Einwohner/innen. Offensichtlich erwarten die Leute in Wien Lebenschancen, die ihnen anderswo nicht geboten werden. Für das laufende Jahrzehnt wird mit rund 140.000 Menschen wieder ein Zuzug prognostiziert, welcher beinahe die Bevölkerungszahl von Salzburg – der viertgrößten Stadt Österreichs – erreicht. Aufgrund dieser Bevölkerungsdynamik laufen die privaten Mieten zusehends aus dem Ruder. Im privaten Mietwohnungssegment wird die Kostenbelastung für die Menschen immer schmerzhafter, daher ist der Ruf nach bezahlbaren Wohnungen berechtigterweise laut und dringlich. Die Bauleistung – sowohl gefördert wie auch freifinanziert – ist mit diesem Bevölkerungszuwachs nicht mitgekommen. Ein beträchtlicher Anteil der Haushalte, die im vergangenen Jahrzehnt nach Wien gezogen sind, musste sich daher im Bestand versorgen. Damit ist auch der Hauptgrund gefunden, wieso die privaten Mieten in den letzten Jahren regelrecht explodiert sind. Sie sind seit 2005 um 36% in die Höhe geschnellt und damit mehr als doppelt so stark gestiegen wie die verfügbaren Einkommen und die Inflation, die im gleichen Zeitraum nur um jeweils 16% zugelegt haben.    

 

Enormer Neubaubedarf                

Damit der Wohnungsmarkt angesichts der Bevölkerungsentwicklung nicht noch angespannter wird, müssen also dringend neue geförderte Wohnungen errichtet werden. Der Wohnungsbedarf in der laufenden Dekade wird aus Sicht der Arbeiterkammer Wien ungefähr 10.500 Einheiten pro Jahr betragen. Dieser berücksichtigt 7.000 Haushalte, die jährlich neu nach Wien ziehen werden. Diese Zahl ist noch um den jährlichen Wohnungsverlust zu ergänzen, der in einer aktuellen Studie für die Stadt Wien auf 2.500 bis 3.000 Einheiten pro Jahr geschätzt wird. Um diesen Wohnungsbedarf zu decken, wird es erhebliche Anstrengungen und finanzielle Mittel in der Wohnbaupolitik brauchen. Die Stadt Wien sollte in den nächsten Jahren jährlich mindestens 8.000 geförderte Wohnungen zusichern, um dem Bedarf zu entsprechen und den Nachfragedruck aus dem Wohnungsmarkt zu nehmen.                                                    

 

Brennpunkt Bodenpreis                

Ein weiterer Brennpunkt in der Frage nach bezahlbarem Wohnraum sind zweifelsohne die Bodenpreise. Aufgrund der drastischen Preissteigerungen bei Grundstücken, die mit mehreren Geschossen bebaut werden können, ist auch hier mutiges Handeln der Politik angezeigt. Der Preisanstieg für solche Grundstücke betrug in Wien in den letzten zehn Jahren 67%. Besonders auffällig ist der Preissprung in der Periode 2008 bis 2010. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ist ein Vorsorgewohnungsboom ausgebrochen, welcher auf der Devise „Grundbuch statt Sparbuch“ fußt. Vermögende Haushalte haben aufgehört, den Banken zu vertrauen, und begonnen, ihr Finanzvermögen umzuschichten. Diese Nachfrage hat das Preisniveau auf dem Markt für Geschossbaugrundstücke deutlich nach oben getrieben. Eine Konsequenz dieser Preisentwicklung ist, dass der geförderte Wohnbau innerhalb der bestehenden Stadtstrukturen quasi unmöglich geworden ist. Gemeinnützige Bauvereinigungen werden mit ihren Bauprojekten an den Stadtrand gedrängt, was wiederum zusätzliche Infrastrukturkosten nach sich zieht. Um eine zunehmende räumliche Segmentierung der Stadt zu vermeiden, braucht es mutige Initiativen in der Bodenpolitik. Die Arbeiterkammer Wien spricht sich daher für die Schaffung einer eigenen Widmungskategorie für geförderten Wohnungsbau aus. Nur durch eine derartige Intervention mit strikten Preisbegrenzungen können die Bodenpreise wieder auf ein für gemeinnützige Bauvereinigungen und Mieter/innen verträgliches Niveau heruntergeholt werden.                     


MieterEcho 370 / Oktober 2014

Schlüsselbegriffe: Wien, Wohnungsmarkt, Bevölkerungszuwachs, Sozialbindung, öffentlich geförderter Wohnungsbau, Genossenschaften, gemeinnützige Bauvereinigungen, Gemeindewohnungen, Neubaubedarf