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MieterEcho 367 / Mai 2014

Öffentliches Geld für kommunale Wohnungen

Zum Wohnungsbau gibt es keine Alternative, aber es gibt Alternativen beim Wohnungsbau

Von Hermann Werle                                                

Nach einem Jahrzehnt völliger Abstinenz von einer aktiven Wohnungspolitik plant der Berliner Senat eine „Wohnungsbauoffensive“ , um damit „mehr und bezahlbaren  Wohnraum für alle“ zu schaffen. Dass dieses Ansinnen zum Scheitern verurteilt ist, liegt nicht nur am kleinstädtisch anmutenden Finanzvolumen der Förderung, sondern vor allem am zugrunde liegenden Fördermodell. Das neue Programm wird – wie der frühere soziale Wohnungsbau – keinen nachhaltig preisgünstigen Wohnraum hervorbringen. Dass es auch anders geht, belegen Modelle aus europäischen Nachbarländern.                                            


Die Wellen schlagen hoch, wenn in mietenpolitischen Diskussionen das Thema Wohnungsneubau zur Sprache kommt. An kritischen Einwänden mangelt es nicht, insbesondere wenn in unmittelbarer Nachbarschaft der Kritiker/innen gebaut werden soll oder wenn wertvolle Freiflächen verschwinden. Auch oder gerade wenn vor dem Wort Wohnungsbau das Adjektiv „sozial“ auftaucht, überwiegt die Skepsis. Sozialer Wohnungsneubau sei nicht finanzierbar, sagen die einen – der soziale Wohnungsbau ist nicht sozial, kritisieren die anderen. In der Konsequenz wird die Wohnungsbaudebatte dem Senat überlassen und über Alternativen kaum nachgedacht.    

 

Boom oder Flaute                    

Dass wenig oder völlig unregulierte Wohnungsmärkte extreme Schieflagen erzeugen, zeigen Spanien und die USA. Mit billigen Krediten erhofften sich Millionen Haushalte, den Traum vom Wohneigentum erfüllen zu können. Ein Traum, der genauso platzte wie die sich darüber aufblähende Kredit- und Finanzblase. Dem ungeheuren Bauboom in den 2000er Jahren folgte die Finanz- und Wirtschaftskrise. Ungezählte Häuser und Wohnungen stehen nun leer, gleichzeitig leben hunderttausende Menschen in prekären Wohnverhältnissen. In Berlin erfahren wir das Gegenteil: Es gibt keinen Leerstand und einem akuten Wohnungsmangel steht ein kaum wahrnehmbarer Wohnungsneubau gegenüber. Warum das so ist, bringt die Immobilienbranche mit einfachen Worten auf den Punkt: „Größtes Hemmnis für eine stärkere Ausweitung des Neubaus“, so der GSW-Mietenreport 2014, „ist die Differenz zwischen den Baukosten einerseits und der Zahlungskraft eines Großteils der Berliner Haushalte andererseits“. Noch konkreter wird der Immobilienberater und Makler Wulff Aengevelt in Die Welt vom 5. April 2014: Ein Bauherr müsse „mindestens zwölf bis 13 Euro Miete je Quadratmeter erzielen, um auf seine Kosten zu kommen“. Gebaut wird also erst ab einem Mietenniveau, welches eine adäquate Verzinsung des investierten Kapitals ermöglicht.     

 

Bauoffensiven im Vergleich                

Da der privatwirtschaftliche Wohnungsmarkt bisher keine dauerhafte Wohnungsversorgung sicherstellen konnte und es in europäischen Ballungsgebieten immer wieder zu schweren Wohnungskrisen kam, bildeten sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts diverse Instrumente einer aktiven Wohnungspolitik heraus. Im Zentrum standen dabei Wohnungsbauprogramme, die jenseits von Markt und spekulativen Interessen bezahlbaren Wohnraum schufen. Der niederländische, britische und vor allem der Wiener Wohnungsbau stehen beispielhaft für einen sozialen Wohnungsbau, den die sozialistische Arbeiterschaft bereits vor 100 Jahren als „antikapitalistisches Programm“ betrachtete. Auch die austro-marxistisch orientierte Wiener Kommunalpolitik sah im Gemeindewohnungsbau mehr als ein Trostpflaster für die Armen. „Der Kapitalismus kann nicht von den Rathäusern aus beseitigt werden. Aber große Städte vermögen schon in der kapitalistischen Gesellschaft ein tüchtiges Stück sozialistischer Arbeit zu leisten“, so Robert Danneberg, der die Grundlagen für den Wiener Gemeindewohnungsbau legte. In Wien entstanden zwischen 1924 und 1933 weit über 50.000 mit Steuer- und Haushaltsmitteln voll finanzierte, qualitativ hochwertige Wohnungen, die rund 10% des damaligen Wohnungsbestands ausmachten und die akute Wohnungsnot beseitigten. In dieser Tradition investiert die Stadt Wien auch heute noch in den Wohnungsbau. Für die Erstellung von 14.000 neuen Wohnungen stellt die Stadt Wien in 2014 und 2015 rund eine Milliarde Euro zur Verfügung, was über 4% des Jahreshaushalts der Donaumetropole ausmacht. Dagegen wirken die 64 Millionen Euro der Berliner Förderung für 1.000 Wohnungen recht bescheiden, entsprechen sie doch gerade einmal 0,3% des Berliner Haushalts. Eine Wohnungsbauoffensive sieht also anders aus als das, was uns Senator Michael Müller (SPD) derzeit vorgaukelt.          

 

Deutsches Sondermodell    

Wie in den Niederlanden und in Wien war es auch in Großbritannien den starken sozialistischen Bewegungen und ihrer Mobilisierungsfähigkeit zu verdanken, dass der Wohnungsbau eine große Dynamik erreichte. In Großbritannien war der Council Housing seit dem zweiten Weltkrieg das tragende Segment des Wohnungsbaus, bis er Anfang der 80er Jahre sein jähes Ende fand. Dennoch hat der Gemeindewohnungsbau in Großbritannien wie auch in den Niederlanden oder Österreich eine soziale Nachhaltigkeit produziert, die auch heute noch energisch verteidigt wird (MieterEcho Nr. 364/ Dezember 2013). Ganz anders verhält es sich mit dem sogenannten „sozialen Wohnungsbau“ in Westdeutschland nach 1945. Dieses langsam verschwindende Segment des Wohnungsmarkts ist aufgrund seiner exotischen Art der Förderung für viele Mieterhaushalte zum akuten Kostenmieten-Problem geworden. Denn eine soziale Bindung war und ist nach dem deutschen Fördersystem nur während der Förderdauer bis zum Ende der Tilgung vorgesehen. Dies galt für private Bauträger wie für öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Letztere wurden inzwischen vielerorts privatisiert oder sind derartig betriebswirtschaftlich ausgerichtet, dass sie von einem sozialen Auftrag weitgehend befreit sind. Die Kritik an diesem Fördermodell ist also völlig berechtigt und bereits seit Jahrzehnten bekannt. „Die ‚Mietenexplosion‘ im Sozialen Wohnungsbau der Bundesrepublik Deutschland“, so Stefan Krätke 1981, ist „vor allem auf seine marktwirtschaftliche Finanzierungsstruktur, die prinzipiell rentabilitätsgerechte Kostenmietenkalkulation (…) und auf das Förderungssystem der zeitlich befristeten degressiven Ertragssubventionierung zurückzuführen“. Mit den Mitteln der aufeinanderfolgenden Förderprogramme wäre der Aufbau eines wirksamen kommunalen Wohnungsbestands durchaus finanzierbar gewesen. Politisch gewollt war jedoch der marktwirtschaftlich ausgerichtete Wohnungsbau – seit den 60er Jahren flankiert durch die Subjektförderung in Form des Wohngelds.    

        

Kommunaler Wohnungsbau gehört auf die Tagesordnung                    

Wenngleich die europäischen wohnungspolitischen Modelle allesamt in den letzten Jahrzehnten unter starken Liberalisierungsdruck geraten sind, zeigen sich erhebliche Unterschiede in der sozialen Nachhaltigkeit. In einer 2006 erstellten Studie weisen die Wohnungswirtschaftsforscher Owe Birgersson und der 2007 verstorbene Bengt Turner darauf hin, dass die Wirkungsweise sozialer Wohnungsbestände „das Resultat jahrzehntelanger Bautätigkeit“ ist. Große sozial ausgerichtete Bestände befinden sich in Schweden, Dänemark, Frankreich, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden. Während Länder mit kleinen Beständen von Sozialwohnungen in diesen eine hohe Konzentration von einkommensschwachen Haushalten verzeichnen, erscheinen große öffentliche Bestände weit weniger diskriminierend. Die wichtigste Folgerung der Autoren ist, dass „der öffentliche Wohnungssektor in Nordeuropa in der Hinsicht als ‚sozial‘ gelten kann, als ein großer Anteil von einkommensschwachen und von Ausgrenzung bedrohten Haushalten in ihm lebt, aber dass dieser Sektor so groß ist, dass er auch einen großen Anteil von nicht gefährdeten Haushalten aufnehmen kann“. Zudem verringere ein großer kommunaler Wohnungsbestand die Differenz des Mietenniveaus zum privaten Wohnungssektor, entfaltet also eine insgesamt mietpreisdämpfende Wirkung. Ein solcher Bestand fehlt in Berlin komplett. Ebenso fehlt eine Debatte um ein marktfernes Wohnungsbauprogramm. Stattdessen wird weiter über das traditionelle deutsche Fördermodell diskutiert, welches seine soziale Unverträglichkeit nachhaltig unter Beweis gestellt hat. Auf die Tagesordnung gehört das Programm eines kommunalen Wohnungsbaus, der aus dem Haushaltsmitteln finanziert wird und in dem die Miete nicht zum Verdrängungs- oder Armutsrisiko wird.       

 

 


MieterEcho 367 / Mai 2014

Schlüsselbegriffe: Wohnungsneubau, sozialer Wohnungsbau, Finanzkrise, Wohnungsmangel, Wirtschaftskrise, GSW-Mietenreport, privatwirtschaftlicher Wohnungsmarkt, Wohnungspolitik, Wiener Wohnungsbau, Niederlande, Großbritannien, Council Housing, Mietenexplosion, Förderungssystem, Kommunaler Wohnungsbau