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MieterEcho 360 / Mai 2013

Politik der sozialen Ausgrenzung

Containersiedlungen in Polen werden immer größer

Von Katarzyna Czarnota     

Die Wohnung zu verlieren, ist in Polen einfach. Aber einen Ersatz im sozialen Wohnungsbau zu finden, ist fast unmöglich. Polen hat den geringsten Sozialwohnungsbestand in Europa. In Poznan, einer Stadt mit 570.000 Einwohner/innen, gehört das Versprechen, die Bauleistung zu erhöhen, zur politischen Alltagsroutine. Tatsächlich wurden 2011 aber nur 20 Sozialwohnungen an Nachfragende übergeben, 2009 bis 2010 waren es noch 118. Für 2013 ist überhaupt kein Geld für Sozialwohnungen im Budget der Stadt eingeplant. Weil die Wartelisten aber sehr lang sind, werden Lösungen gesucht, um das Problem zu vertuschen. In den letzten Jahren wurden in Poznan wie in ganz Polen an den Rändern der größeren Städte Containersiedlungen gebaut. Dabei handelt es sich nicht um eine Übergangslösung. Und sie dehnen sich immer weiter aus.                            

 

Die nächste Umgebung der Siedlungen besteht überwiegend aus Ödland, Müllkippen und Schrottplätzen. Auch die in den Containern wohnenden Menschen werden wie Müll behandelt. Sie werden aus den Stadtzentren verdrängt, weil ihre Armut schockiert und sie die Ästhetik stören. In ihrer neuen Umgebung haben sie kaum noch Zugang zu staatlichen Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Behörden. Auch kulturelle Einrichtungen und selbst Lebensmittelläden sind nur schwer erreichbar. Bei Fahrten in die Stadt ist das Fahrgeld hoch und die Fahrzeit lang. Dieser Zeit- und Geldaufwand erschwert nicht nur die Haushaltsführung und Kinderbeaufsichtigung, sondern auch die Möglichkeiten, in der Stadt zu arbeiten oder Arbeit zu suchen. So wird die Marginalisierung der Menschen an den Stadträndern unüberwindbar.        

„Als es kalt war, hatte ich immer einen nassen Fußboden, weil wir uns ja dauerhaft hier aufhalten. In der Heizperiode gab es Schimmel und ich wurde vom Verwalter der „unsachgemäßen Benutzung beschuldigt“.   

Alleinerziehende Mutter und Rentnerin, 47 Jahre, zwei Kinder, wohnt im Container seit 2009

„Gesellschaftlicher Missstand“    

Die meisten Einwohner/innen sind den Containersiedlungen gegenüber negativ eingestellt. Sehr oft werden die in den Containern lebenden Menschen selbst als gesellschaftlicher Missstand angesehen, sie werden für „Müll“ gehalten, niemand will sie als Nachbarn haben. Wegen der vielen Vorurteile kommt es nicht selten zu Vandalismus.Das Ziel der Politik ist es, die Containersiedlungen als sinnvolle Methode im Kampf gegen „schwierige“ Mieter/innen darzustellen.

Ich habe vorher mit meiner Familie in einem abrissreifen Mietshaus gelebt. Am Anfang habe ich mich deshalb sehr über den Umzug gefreut. Aber hier ist es ja noch schlimmer. Ich kann mit meiner Mutter hier nicht wohnen. Sie ist schon alt und lungenkrank.
Bewohnerin, 45 Jahre, alleinstehend, keine Kinder, wohnt mit Mutter

 

Tatsächlich werden dort Menschen untergebracht, die kein Geld für die steigenden Mieten in sanierten Mietshäusern haben oder die auf eine Sozialwohnung warten. Mithilfe der Medien soll die Zustimmung zum Kampf gegen einen „gesellschaftlichen Missstand“ und stufenweise eine Akzeptanz für diese Art der Diskriminierung aufgebaut werden. Infolgedessen hat der Begriff Container, der bisher einen Behälter für den Transport von Waren oder in der Umgangssprache Müllbehälter bezeichnete, eine neue Bedeutung bekommen – ein Behälter für Menschen, der die Funktion einer Wohnung erfüllen soll. In der Kommunalpolitik wird dieser Begriff kritiklos auf eine billige Blechbude, eine Baracke, die die Stadtbewohner/innen anstelle einer Gemeindewohnung oder Sozialwohnung bekommen, angewendet.                  

Wir haben sechs Jahre lang auf eine Sozialwohnung gewartet und sind dann hier gelandet. Es gab keine Wahl. Wo soll ich mit den kleinen Kindern hingehen, auf die Straße? Ganz am Anfang war es ok, aber im Winter ist es sehr kalt. Alles ist schlecht gemacht, alles geht kaputt. Schimmel ist überall, aber die sagen, dass es meine Schuld ist, weil ich schlecht mit der Behausung umgehe, aber ich wohne nur hier. Das Schlimmste ist, dass die Kinder dauernd krank sind.    
Bewohnerin, 45 Jahre, arbeitslos, wohnt mit Ehemann und Kindern

 

Container zum Wohnen ungeeignet    

Gemäß polnischem Baugesetz von 1994 soll ein Wohngebäude ein Fundament und ein Dach haben. Ein Wohncontainer hat aber kein Fundament und er ist von gleicher Beschaffenheit wie die auf Baustellen genutzten Container. Solche Räume sind laut Arbeitsschutz- und Hygienevorschriften nicht zum Aufenthalt für einen längeren Zeitraum geeignet. Während der „normalen“ Wohnnutzung kommt es durch Kochen, Wäschetrocknen, Heizen, Duschen etc. zu Schimmelbildung. Es riecht nach Moder, das Wasser kondensiert an den Leitungen, die Baumaterialen fallen auseinander und die Türen und Fenster verformen sich. Wegen der schlechten Isolierung müssen im Winter die Türen und Fenster die ganze Zeit geschlossen bleiben, um den Wärmeverlust zu verringern. Die Bewohner/innen haben damit nur die Wahl zwischen kalten oder fauligen Unterkünften. Weil ausschließlich elektrisch geheizt werden kann, fallen sehr hohe Stromrechnungen an.

Ich habe einen Sozialwohnungsmietvertrag unterschrieben, aber ich weiß nicht, ob DAS eine Sozialwohnung ist. Alles fällt auseinander. Ich habe gedacht, wenn ich schon so lange warte, werde ich eine Wohnung bekommen, wo ich mit den Kindern ein normales Leben führen kann. Sie sind die ganze Zeit krank. Wir haben den Winter kaum überlebt, es war so kalt. Aus der Zimmerdecke tropft Wasser, Lüftungsanlagen lösen sich ab, auf den Rohren gibt es Tropfen. Im Badezimmer ist der Fußboden so glatt, dass ich Angst habe. Hilfe? Es gibt hier keine.
Alleinerziehende Mutter, arbeitslos, 49 Jahre,zwei Kinder

 

Es gibt keine richtige Verwaltung für die Containersiedlungen. Die Bewohner/innen müssen sehen, wo sie bleiben. Baufirmen und Stadtverwaltung waschen ihre Hände in Unschuld. Es werden keine Renovierungen durchgeführt und der schlechte Zustand wird auf „falsche Benutzung durch die Mieter/innen“ zurückgeführt. Damit werden Menschen zur ständigen Nutzung von Räumen gezwungen, die nur ein Provisorium darstellen und zum Wohnen völlig ungeeignet sind. Die „Wohnungspolitik“ zwingt Menschen, Tag für Tag unter gefährlichen, sich stetig verschlechternden Gesundheitsbedingungen zu leben – mit katastrophalen Folgen für kranke und alte Menschen sowie für Kinder.                                        

Ich musste den verschimmelten Teppich wegwerfen. Das hier ist Ramsch. Es gibt keine Wärmeisolation, alles friert ein. Der Winter ist eine Katastrophe hier. Wir hatten 15° Celsius, obwohl die Heizung Tag und Nacht an war. Einen Monat habe ich mal 500 Zloty für Strom bezahlt, bei einem Einkommen von 900 Zloty* und einer Miete von 160 Zloty. Erst nach zwei Jahren kann ich mich für eine Gemeindewohnung bewerben, allerdings unter der Bedingung, dass ich bis dahin die Miete jeden Monat regelmäßig bezahle.       
Bewohnerin, 48 Jahre, in Arbeit, wohnt mit Ehemann und drei Kindern
* 4 Zloty entsprechen ungefähr 1 Euro

Politisch gewollte Ghettos        

Die Container füllen sich unter Aufsicht der Behörden immer mehr mit immer neuen „Mülltonnen-Menschen“, obwohl die jetzigen Bewohner/innen der Siedlungen bereits das ganze Ausmaß der Probleme deutlich werden lassen. Aber die Zwangsräumungsurteile, die in die Barackensiedlungen führen, nehmen beständig zu und sie betreffen vor allem kinderreiche Familien, alleinerziehende Mütter und alte Menschen. Schon jetzt ist die Lagerlandschaft häufig kameraüberwacht und mit Stacheldraht eingezäunt. Nach dem Willen der Behörden sollen alle Containersiedlungen zu solchen Ghettos werden.   

Ich möchte nicht, dass meine Tochter die Schule nebenan besucht. Angeblich lachen die Kinder den Sohn der Nachbarin aus, weil er „auf der Müllkippe“ wohnt. Wir haben ein Gerichtsurteil, dass wir eine Sozialwohnung bekommen sollen – keinen Container. Ich habe mich um eine andere Wohnung beworben.Die Leiterin hat mir gesagt, dass wir keine andere Wohnung bekommen, weil ich schon diesen Container habe. Zwei Wochen nach dem Einzug sind die ersten Mängel aufgetreten. Was wird nach einem Jahr sein, in zwei Jahren? Es wird immer schlimmer – sie wollen sparen. Es soll eine Wärmedämmung angebracht werden, aber ich glaube nicht daran. Die belügen uns die ganze Zeit. Die Dächer sind nicht wasserdicht, aus der Zimmerdecke tropft es. Die haben das schlecht gemacht. Wenn man kochen will, darf man Heizung und Boiler nicht gleichzeitig anschalten, sonst fällt der Strom aus. Alles läuft mit Strom – und alles geht kaputt.               
Alleinerziehende Mutter, 27 Jahre, zwei Kinder   


MieterEcho 360 / Mai 2013

Schlüsselbegriffe: Containersiedlungen, Polen, sozialen Ausgrenzung, Poznan, Sozialwohnungen, Marginalisierung, Diskriminierung, Provisorium, Ghettos, Zwangsräumungen