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MieterEcho 361 / Juli 2013

Perspektivwechsel in Neukölln

Investoren erobern den Wohnungsmarkt – SPD übt sich in „Strategien der Umdeutung“

Von Hermann Werle                                

„Perspektivwechsel!“ lautete das Motto der diesjährigen „48 Stunden Neukölln“. Es sei ein reizvolles Unterfangen, die eigene Perspektive zu verlassen und „dafür die Perspektive von Außen einzunehmen“, so Bürgermeister Heinz Buschkowsky und Kulturstadträtin Franziska Giffey (beide SPD) in ihrem Einladungsschreiben. Was passiere beispielsweise, so fragten die beiden, „bei einem Perspektivwechsel von den ‚Hipstern’ zu den ‚Oldstars’?“ Zur Klärung dieser Frage könnten Giffey (Jahrgang 1978) und Buschkowsky (Jahrgang 1948) sicherlich einiges beitragen. Doch was hat das mit der durchaus interessanten Außenperspektive zu tun?        

 

Nordneukölln habe sich zwar zu einem Szenebezirk entwickelt, dennoch seien „viele der sozialen Problemfelder wie Armut, Arbeitslosigkeit und Bildungsdefizite weiterhin virulent“, so die Veranstalter/innen von „48 Stunden Neukölln“. Aufgrund dieser „sichtbaren Brüche und Widersprüche“ erklärten sie das Festivalgebiet „zum ‚Labor’ zur Erforschung künstlerischer und gesellschaftlicher Prozesse“. Dem vorgegebenen Forschungsinteresse, dem „mit spannenden Wahrnehmungsverschiebungen, Strategien der Umdeutung, der positiven Irritation“ und anderen künstlerischen Ausdrucksformen genüge getan werden sollte, fehlte der ernsthafte Forschungswille. Ein Vorwurf, den man der Immobilienbranche nicht machen kann. Mit scharf fokussierter Außenperspektive durchdringen in- wie ausländische Investoren seit Jahren bevorzugt den Neuköllner Wohnungsmarkt und machen aus dem Bezirk ein „Labor“ der Immobilienverwertung.    

 

Aufwertung im Sinn der Investoren    

 Zu den Investoren gehört zum Beispiel die schwedische Akelius GmbH. Wie andere Unternehmen in Schweden profitiert auch das größte private schwedische Wohnungsunternehmen von Steuergeschenken der seit 2006 amtierenden liberal-konservativen Regierung. Zum Ausgleich der Steuererleichterung werden seit Jahren die Mittel für Gesundheits- und Jugendeinrichtungen gekürzt, beispielsweise im Stockholmer Vorort Husby, wo kürzlich die Wut einer deklassierten Jugend zum Ausbruch kam. Die vom Steuersparspezialisten Roger Akelius gegründete und seit 2006 in Deutschland aktive Gesellschaft fährt auf dem Berliner Wohnungsmarkt Renditen ein. In den letzten Jahren erstand das schwedische Unternehmen rund 7.000 Wohnungen in Berlin, davon über 240 in Neukölln. Bei der ersten Gelegenheit werden diese aufgewertet – im Akelius-Jargon: „Akelius First Class“. Als solche gehen sie für 10 Euro/qm und mehr auf den Wohnungsmarkt. In Neukölln angekommen ist auch die Nicolas Berggruen Holdings GmbH. Berggruen, dem wütende Karstadt-Mitarbeiter/innen im Juni „Tarifflucht“ vorwarfen, macht sich auch bei seinen Mieter/innen unbeliebt. Zwar wirbt die Berggruen Holding auf ihrer Website damit, dass zu ihrer Unternehmensstrategie „die effiziente Zusammenarbeit mit den Mietern“ gehöre und „nach deren Bedürfnissen maßgeschneiderte Lösungen angemessen umgesetzt“ würden, aber die Realität sieht anders aus. Aufwendige miet- und wertsteigernde Modernisierungen gehören zum Geschäftsmodell Berggruens, der 2008 erklärte, dass die Immobilien ihn und seine Architekten überleben sollten, weshalb er „mit den besten Architekten der Welt“ zusammenarbeite. „Noch in 100 Jahren sollen sich Menschen daran erfreuen“, so der Milliardär. Die weniger langfristige Perspektive der Mieter/innen, deren Bedürfnisse komplett ignoriert werden, sieht weitaus weniger erfreulich aus.                            

 

Nehmen Sie sich in acht!        

In Neukölln seit Längerem bekannt sind die für die britische Gabriel International Assets Ltd. agierende GMRE Consultants GmbH und die Tarsap GmbH, die Neuköllner Mieter/innen das Leben schwer machen. Beide Gesellschaften stehen für schlechten Service. Tarsap wird sogar schikanöser Umgang mit Mieter/innen vorgeworfen, die dem Umwandlungsgeschäft in Eigentumswohnungen im Weg stehen (MieterEcho Nr. 344/ Dezember 2010 und 358/ Februar 2013 berichteten).Ebenso unerquicklich entwickeln sich die Mietverhältnisse bei der Cavere-Estate GmbH. Deren Geschäftsführer Jan Kleppe und Alexander Hilbich setzen auf eine zügige Verwertung durch Modernisierung, Neuvermietung und Weiterverkauf – Neukölln ist dabei ein bevorzugtes Feld. Dabei wird nach Gutsherrenart versucht, unliebsame Mieter/innen möglichst schnell vor die Tür zu setzen. Neumieter/innen müssen sich unter anderem fragen lassen, ob sie vorbestraft sind und „wenn ja, bitte nähere Angaben!“. Der Name der Gesellschaft ist offensichtlich der Kern der Geschäftsphilosophie: „Cavere“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „sich in acht nehmen“. Das sollten Mieter/innen grundsätzlich bei Eigentümerwechseln – die Berliner MieterGemeinschaft rät dringend zu Hausversammlungen und unterstützt diese mit juristischem Rat.            

 

Abstimmung mit Möbelwagen        

Zu den Ratgebern der Eigentümerseite gehört Frank Orthen. Dieser erklärte Ende letzten Jahres einer interessierten Fachwelt die Vorzüge einer Investition in Neukölln. „In Europa“, so der Manager der Orthen Grundbesitz Management GmbH, „existiert kein vergleichbares Mikroumfeld, das zeitgleich von sozialen Problemen und einer besonders hohen Investitionsneigung ‚heimgesucht’ wird“. Die Gründe dafür lägen in der „Ballung von harten und weichen Standortfaktoren“, wozu unter anderem das ideale „Preisgefüge – (noch) preiswerter Miethäuser“, die niedrigen Mieten sowie die niedrige Eigentumsquote gehören würden. „Wenn nicht hier, wo dann, fragt sich der Kapitalmarkt, in einer von Finanzkrisen dominierten Zeitepoche“, so Orthen. Seine einfache Formel: „Mieter stimmen mit dem Möbelwagen ab, Investoren mit Geldumsatz.“ Die Verkaufszahlen bestätigen den Makler: Zwar wurde 2012 in Berlin-Mitte der höchste Umsatz mit Immobilientransaktionen erzielt, aber mit 139 Wohnhäusern liegt bei der Anzahl der gehandelten Objekte Neukölln ganz vorn. Nach den Ausführungen des Maklers Orthen war das auch bereits 2011 so, als auf den Bezirk ein Umsatz von 778,92 Millionen Euro entfiel. „Neukölln lag damit in der Gunst der Investoren weit vor Spandau (366,57), Treptow-Köpenick (419,30) ... und sogar Tempelhof-Schöneberg (676,80).“                

 

Politik- statt Eigentümerwechsel    

Zu den Folgen der Geldanlagen dieser und anderer Investoren schreibt Orthen in aller Offenheit: „Sicherlich wird der Verdrängungs- und Veränderungsprozess auch einige Mietergruppen hart treffen.“ Aber dabei würde es „unbestritten vor allem die Problemfälle, die heute den Standort in seiner Existenz bedrohen“ betreffen. Zu den „Problemfällen“, die schon heute erzwungenerweise „mit dem Möbelwagen abstimmen“, gehören all jene Haushalte, die dem Druck der steigenden Mieten nicht mehr standhalten können. Dies ist die Perspektive der Mieter/innen, aus der sich die Notwendigkeit einer sozial orientierten Wohnungspolitik ergibt: Politik- statt Eigentümerwechsel!

Die Perspektive der Miethaushalte rührt jedoch weder die Landes- noch die Neuköllner Bezirksregierung. Ganz auf Linie der FDP argumentiert der Neuköllner Bezirksbaustadtrat Thomas Blesing (SPD): Die soziale Marktwirtschaft sei „letztlich eine Form der freien Marktwirtschaft, nur eben mit besonderen ergänzenden ‚Spielregeln’, wie zum Beispiel den Arbeits- und Kündigungsschutzregelungen, und weniger ein Handlungsspielraum für konkrete Eingriffsmöglichkeiten in eigentumsrechtliche Belange“. Auf den Hinweis des Quartiersrats Reuterplatz, dass Mieter/innen durch steigende Mieten verdrängt würden, antwortete Blesing im Februar: „Dies ist insofern nicht richtig, als dass Menschen, die in ihren Wohnungen bleiben, nur bedingt von den Mietsteigerungen der letzten Zeit betroffen sind.“ Der Neuköllner Baustadtrat kennt weder die Möglichkeiten, die das Baugesetzbuch mit dem Milieuschutz, der Umwandlungsverordnung und dem Vorkaufsrecht bereitstellt, noch hat er eine Ahnung, was in seinem Bezirk und unter seiner Verantwortung passiert. Unter dem Programmpunkt der „Strategien der Umdeutung“ und „der positiven Irritation“ hätte die Neuköllner SPD mit Thomas Blesing eine Bühne bei den „48 Stunden Neukölln“ verdient gehabt.                              

 

Weitere Informationen:

Mieter/innen in Nordneukölln mit den oben genannten Vermietern können sich zwecks Austauschs an die Kiezinitiative DonauFulda wenden:

http://donaufulda.wordpress.com        

E-Mail: donaufulda@gmx.de

 

 


MieterEcho 361 / Juli 2013

Schlüsselbegriffe: Neukölln, Wohnungsmarkt, SPD, Investoren, Giffey, Buschkowsky, Akelius GmbH, Steuererleichterung, Nicolas Berggruen Holdings GmbH, Tarsap, Umwandlung, Eigentumswohnungen, Immobilientransaktionen, Umwandlungsverordnung, Milieuschutz