Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 359 / April 2013

Flüssiger als Wasser: Stadtentwicklungsplan Wohnen

MieterEcho Kommentar

Kommentar von Joachim Oellerich


Als sich nach der letzten Wahl im Koalitionsvertrag so etwas wie Wohnungspolitik ankündigte, wurde ein allgemeines Interesse geweckt. Eine „Dossiergruppe“ wollte für den nötigen Druck sorgen und der rot-schwarze Senat versprach den Bau von 6.800 Wohnungen.

Politik und Zivilgesellschaft Arm in Arm auf zu neuen Ufern. Es war erhebend.

Es ging dann auch wirklich gleich los. Nicht mit dem Bau von Wohnungen, auch nicht mit Regulierungen, die den Wohnungsbestand geschützt hätten wie eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung, ein Verbot von Ferienwohnungen oder eine Umwandlungsverordnung. Nein, so tatkräftig war der Herr Müller nicht, aber in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurde sofort mit der Planung eines Plans begonnen. Ein neuer Stadtentwicklungsplan Wohnen sollte es sein. Der letzte stammte aus dem Jahr 2000 und für ihn zeichnete der seinerzeit sogenannte „Supersenator“ Strieder verantwortlich. Umgesetzt werden konnte er nicht mehr, denn nach Strieders skandalbedingtem Rücktritt folgte Frau Junge-Reyer und das war das Aus für jede Wohnungspolitik.

Jetzt aber nach fast anderthalb Jahren Müller ist der geplante Plan zu einem Vorentwurf geronnen. Das lässt hoffen, dass es auch noch zu einem Entwurf kommt, danach zu einem fertigen Plan und dann „fang wa jleich an“.

Auf dem bisherigen beschwerlichen Weg wurden etliche „Strategiebausteine“ von einem „Begleitkreis“ aus dem Weg geräumt und die Firma empirica des Parteifreunds Pfeiffer von Herrn Müller mit lukrativen Aufträgen bedacht.

Das Ergebnis sind sechs Leitlinien.

Die erste Leitlinie stellt fest: Berlin braucht Wohnungsneubau. Diese Tatsache wurde von der Fachwelt bereits 2007 gesehen und seither permanent wiederholt. Jetzt hat sie sich zu einer senatsoffiziellen Erkenntnis verdichtet, die „sachliche Handlungsbedarfe sowie Mittel und Wege“ zeitigt. Was darunter vorgestellt wird, lässt die wohnungspolitische Verwüstung durch die rot-rote Koalition erahnen. Flächen sind erst noch zu ermitteln. Und weil Kenntnisse nicht mehr vorhanden sind, muss ein Informationssystem aufgebaut werden und dergleichen mehr. Konzepte werden gebraucht, so beispielsweise ein Flächenaktivierungskonzept sowie Bezirksentwicklungskonzepte „Wohnen“.

An dieser Stelle müsste, was der StEP Wohnen ignoriert, hinzugefügt werden: Es müssen erst wieder funktionierende Bauämter eingerichtet werden. Sie sind durch Stellenstreichungen und jahrzehntelange wohnungspolitische Abstinenz zu bloßen Rudimenten verkümmert.

Berlin, so verheißt die Überschrift der Leitlinie 2, sichert die soziale und funktionale Mischung. Das ist trügerisch und wird auch gleich im Text korrigiert: „Angesichts begrenzter Flächenpotenziale kann aber auch nicht jeder Berliner Haushalt innerhalb des S-Bahn-Rings wohnen.“ Senator Müller hatte gegenüber der Immobilien Zeitung erst unlängst ebenso deutlich erklärt: „Bei uns bedeutet Verdrängung noch immer Verdrängung in den Nachbarbezirk und nicht vor die Tore der Stadt wie in anderen europäischen Metropolen.“

Als sachlicher Handlungsbedarf werden das seit Jahren notwendige Zweckentfremdungsverbot sowie Erhaltungssatzungen – allerdings ohne Umwandlungsverordnung – vorgeschlagen, daneben die Errichtung von preiswerten Wohnungsneubauten durch eine wohnungspolitisch ausgerichtete Liegenschaftspolitik und ein in keiner Weise konkretisiertes innovatives Förderprogramm. Schließlich aber soll die soziale Mischung gesichert werden durch Neubau von hochwertigem Wohnraum zum Halten von Aufsteigerhaushalten in sozial belasteten Gebieten. Die als „sozial belastet“ bezeichneten Gebiete sind die Gebiete, in denen sich die Bewohner/innen gegen die Gentrifizierung wehren. Ihre wirtschaftliche Schwäche wird in diesem StEP Wohnen Anlass für eine Politik „zum Halten von Aufsteigerhaushalten“. Das ist die offizielle Lesart für eine Politik der Verdrängung einer Bewohnerschaft durch Besserverdienende. Leitlinie 3 meint „Berlin braucht Wohnungsneubau für alle“. Neubau solle nicht nur der gehobenen Nachfrage zugutekommen. Allerdings wird eingeschränkt, „mögliche Mengeneffekte im preisgünstigen Neubau“ seien „von den finanziellen Ressourcen abhängig“. Da aber keine Bemühungen erkennbar sind, die finanziellen Ressourcen zu erhöhen, bleibt es noch lange bei der Planung. Handlungsbedarf wird unter anderem gesehen bei einem zeitgemäßen Wohnungsbauförderprogramm (das noch nicht einmal in Ansätzen vorliegt) und bei „Zielvereinbarungen mit Investoren unter Berücksichtigung möglicher Investitionskostensteigerungen (mit Folgewirkung auf die Preise) und Investitionshemmnisse“. Was darunter zu verstehen ist, wird nicht erläutert, und das ist vielleicht auch besser so.

Die Leitlinie 4 nimmt sich der Vielfalt der Wohnquartiere an. Sie sollen in „ihrer Vielfalt bedarfsgerecht für alle Nachfragegruppen auf dem Wohnungsmarkt weiterentwickelt werden“.

Ebenso schwammige, nichtsagende Formulierungen bietet auch die Leitlinie 5, der zufolge Berlin den demografischen Wandel gestaltet. Der Wohnungsbestand sei bedarfsgerecht anzupassen. Das soll unter anderem geschehen durch „Aktivierung hinreichender Flächenpotenziale“.

Die Leitlinie 6, die kürzeste, ist überschrieben mit „Berlin gestaltet den energetischen Wandel“. „Energetische Quartierskonzepte“ gilt es zu erarbeiten und die mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften geschlossenen Klimaschutzvereinbarungen auch auf andere Wohnungsanbieter auszuweiten.

Dieser Stadtentwicklungsplan ist flüssiger als Wasser, er ist überflüssig. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Er ist notwendig, um die wohnungspolitische Handlungsunfähigkeit auch dieses Senats zu kaschieren. Selbstverständlich: „Berlin braucht Wohnungsneubau“. Aber Berlin braucht nicht nur einen Wohnungsneubau, sondern auch einen, der für die immer ärmer werdenden Berliner/innen zu bezahlen ist. Berlin braucht ergo einen geförderten, einen kommunalen Wohnungsneubau. Aber als unabdingbare Voraussetzung dazu braucht Berlin einen Senat, der willens und fähig ist, ein solches Werk in Gang zu setzen. Und der ist nicht in Sicht.

 


MieterEcho 359 / April 2013

Schlüsselbegriffe: Stadtentwicklungsplan Wohnen, Koalitionsvertrag, Wohnungspolitik, Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Ferienwohnungen, Umwandlungsverordnung, Flächenaktivierungskonzept, Bezirksentwicklungskonzepte, Umwandlungsverordnung

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