Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 361 / Juli 2013

Die Häuser den Banken?

In Spanien sind Zwangsräumungen an der Tagesordnung, Betroffene organisieren sich

Von Matthias Coers und Grischa Dallmer                            

 

Am 18. April 2013 berichtete im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ Eduard Baches von der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) in Lleida von der Wohnsituation und den Kämpfen in Spanien. Am Tag des Vortrags hatte der Verbund der PAH in Spanien gerade die von ihnen auf den Weg gebrachte Gesetzesinitiative ILP zurückgezogen. Denn unter dem gleichen Namen wollte an jenem Tag die regierende konservative Partido Popular (Volkspartei) ein Gesetz verabschieden, das den Forderungen der PAH direkt entgegensteht. Inzwischen ist es verabschiedet, als Hohn gegen Menschen, die aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden, wenn sie die Hypotheken für ihr Wohneigentum nicht mehr bedienen können.                                    

 

Bereits unter der Franco-Diktatur hieß es, von einem Land der Proletarier zu einem der Eigentümer – „de proletarios a proprietarios“ – übergehen zu wollen. Also wurde der Mietwohnungsmarkt geschwächt und das Wohneigentum gestärkt. Noch in den 50er Jahren wohnten nur wenige Spanier/innen in Eigentumswohnungen. Doch mit der Demokratisierung wurde der angestoßene Prozess intensiviert und erreichte mit der Regierungsübernahme der Sozialistischen Partei im Jahr 1985 einen Höhepunkt: Das Gesetz Boyer nahm Mieter/innen alle nennenswerte Rechte. Eine Wohnung zu mieten ist seitdem kaum noch eine Option. Mit dem Sieg der konservativen Partei 1996 begann schließlich die Bildung einer riesigen Immobilienblase.                                    

 

Kommunen profitieren vom Bauboom    

Der damalige Wirtschaftsminister Rodrigo Rato, späterer IWF-Direktor und Vorstand vom Bankenverband Bankia, ließ ein Bodengesetz verabschieden, das fast jegliche Fläche als bebaubar auswies. Die Entscheidungsbefugnis wurde von der gesamtstaatlichen auf die lokale Ebene übertragen. Nach dem Ende der Dotcom-Blase wurde zunehmend in Immobilien investiert, denn damit ließ sich tendenziell eine doppelt so hohe Rendite im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen erzielen. Stadtverwaltungen profitierten von Einnahmen, wenn sie Bauland auswiesen, und finanzierten damit Großprojekte, die vorher unbezahlbar waren. In Lleida, der 140.000 Einwohner/innen zählenden katalanischen Universitätsstadt, in der Eduard Baches mit Frau und Kind lebt, wurde beispielsweise ein Theater mit 5.000 Plätzen gebaut, obwohl ein bestehendes mit 500 Plätzen nie ausverkauft war. Der Bauboom wurde zur wichtigsten Einnahmequelle der Kommunen. Die federführenden Politiker beaufsichtigten zugleich die spanischen Sparkassen, die großzügig Kredite an Bauträger und Investoren vergaben.                                            

 

Immobilienblase in Spanien        

Unter dem Sozialdemokraten Rodríguez Zapatero spitzte sich diese Politik nach 2004 zu, bis alle Banken und Sparkassen ihre Vermögen in Immobilien investiert hatten. Ein Wohnungsministerium wurde geschaffen, dessen Minister penetrant an die Öffentlichkeit traten und die Menschen immer wieder baten, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Es sei der beste Moment, eine Hypothek aufzunehmen, hieß es. Die Medien, eng mit der Bau- und Bankenwirtschaft verknüpft, zensierten kritische Stimmen, die von einer Immobilienblase sprachen. Als die spanischen Banken selbst keine finanziellen Mittel mehr hatten, nahmen sie Kredite bei ausländischen Banken auf, darunter vielen deutschen. 2007 ergab eine europäische Studie, dass in Spanien mehr gebaut werde als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Aber mit der in den USA beginnenden Finanzkrise drehte die EZB den spanischen Banken den Finanzhahn ab. Plötzlich hatten weder Banken noch Behörden oder Baufirmen Zugang zu frischem Geld. Die Blase platzte.                            

 

Zahlreiche Zwangräumungen        

Bei der Kreditaufnahme zum Kauf von Wohneigentum treten Banken ihren Kunden bis heute stets freundlich entgegen. Später aber, wenn das Einkommen für die Kredittilgung nicht mehr reicht, kehrt sich diese Haltung um. Die Menschen werden unter Druck gesetzt, nicht mehr empfangen und bedroht. Sie sollen ihre Kredite bedienen, koste es was es wolle. Oft werden die verängstigten Schuldner/innen beschimpft und telefonisch bis in die Nacht verfolgt.                

Ein Zwangsräumungsprozess beginnt mit einem Fax der Bank und der Aufforderung, binnen zehn Tagen die gesamten Schulden zu bezahlen. Wenn das nicht erfolgt, gilt der Hypothekenvertrag als nicht mehr erfüllt. Ein anschließendes Gerichtsschreiben kündigt an, dass es in wenigen Monaten zur Zwangsversteigerung kommt. Auf diesen Prozess haben die Bewohner/innen keinerlei Einflussmöglichkeiten und können sich zu keinem Moment juristisch verteidigen. Eine Räumung kann nur ausgesetzt werden, wenn die Bank dies beantragt. Meist findet sich kein Käufer und die Banken behalten die Wohnung, taxiert auf rund 60% ihres Werts. Die früheren Eigentümer/innen haben damit keine Wohnung mehr und zudem 40% des Werts der Wohnung an Schulden. Hinzu kommen die Gerichtskosten und Zinsen für die Zahlungsverzögerung. Viele Menschen haben nach einer Versteigerung mehr Schulden als zuvor.     

Letztlich wird das Datum der Zwangsräumung bekannt gegeben. Es wird so zahlreich geräumt, dass beispielsweise ein Rechtsanwalt einer Bank in Lleida zeitgleich 1.700 Räumungen vorantreibt. Bis heute eskaliert die Situation auf dem spanischen Wohnungsmarkt. 400.000 Familien sind obdachlos. Derzeit finden in der überschaubaren Großstadt Lleida täglich sechs bis sieben Zwangsräumungen statt, in der Region Katalonien sind es 100, im ganzen Land 530 – pro Tag. Demgegenüber gibt es enormen Leerstand: In Lleida stehen 4.000, in Katalonien 100.000, und in ganz Spanien mindestens 3,5 Millionen Wohnungen leer. Daher verurteilen viele Organisationen, darunter auch UN-Habitat, die spanischen Zwangsräumungen.                                        

 

Betroffene organisieren sich        

Das Platzen der Blase führte nicht zu massenhaftem Protest. Die Menschen waren verzweifelt und entmutigt. Das wirkmächtige System konnte vermitteln: Wer sein Haus verliert, hat versagt. Immer öfter kam es zu Selbstmorden. Als aber 2009 eine Ministerin der Regierung Zapatero erneut an die Menschen herantrat, sich wieder zu verschulden, bildete sich in Barcelona als Reaktion auf diese Unverfrorenheit die erste Plataforma de los Afectados por la Hipoteca (Plattform der Hypothekenbetroffen). Heute gibt es landesweit 133 aktive PAH. Die Plattformen unterstützen Menschen, die für ihre Rechte kämpfen wollen. Ihre zentralen Forderungen sind: Ein Restschuldenerlass, die Aussetzung aller Zwangsräumungen sowie ein landesweites Netz von sozial gebundenen Mietwohnungen. Zudem wird mit Nahrungsmitteln und Bekleidung konkrete Not gelindert und Wohnungsbesetzungen sowie Anschlüsse an Wasser, Gas und Strom werden durchgeführt. Den beteiligten Familien wird mit Mediation, sozialer und psychologischer Beratung und bei Verhandlungen mit Banken zur Seite gestanden. Bei einer PAH werden die Entscheidungen auf den regelmäßigen Versammlungen getroffen. Es gibt keine Gewinnabsichten und alle Leistungen kommen allen zugute. Neben den Prinzipien Gewaltfreiheit und Pazifismus gilt ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel. Obwohl die meisten PAH-Mitglieder sich zuvor nicht in sozialen Bewegungen engagiert hatten, entstand aufgrund der gemeinsamen Erfahrung schnell ein praxisorientierter, effektiv arbeitender Zusammenhalt.                                

Solidarität und Reaktion einer Landesregierung            

Medienvertreter, Feuerwehrleute und Verwaltungsangehörige unterstützen oft die PAH, allerdings nur individuell, da die Institutionen stur und realitätsfremd gegen die Interessen der Bevölkerung auf dem geltenden Unrecht beharren. Unterstützung erfahren die PAH auch von Parteien links der bürgerlichen Mitte. In den PAH herrscht zwar Skepsis gegen institutionalisierte Politik, aber auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit, politische Macht zu erobern. Auch wollen sie noch intensiver mit Gewerkschaften zusammenarbeiten.Um Zwangsräumungen zu verhindern, hat zumindest bisher die andalusische Linksregierung reagiert und unabhängig von Madrid beschlossen, in bestimmten Fällen zu erlauben, Wohnungen für einen Zeitraum von drei Jahren für die Bewohner/innen zu enteignen. Um dem eskalierenden Wohnungsmarkt und den sozialen Verwerfungen etwas entgegenzusetzen, müssen aber die Tausenden Aktiven der PAH vornehmlich auf ihre eigenen Fähigkeiten vertrauen. Die UN warnte jüngst vor Aufständen in den EU-Mittelmeerstaaten, insbesondere auch in Spanien, da die Regierungen es versäumen, entschlossen gegen die bestehenden Ungerechtigkeiten vorzugehen.         

 

 

Die Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise. NEOLIBERALISMUS – KÄMPFE – PERSPEKTIVEN“ wirft einen Blick auf die Situation in anderen Ländern und Städten. Die Veranstaltungen finden in der Regel einmal im Monat in der Beratungsstelle der Berliner MieterGemeinschaft Sonnenallee 101 in Neukölln statt.

 

Vortragsdokumentation und Videos: www.youtube.com/WohneninderKrise

Weitere Informationen: www.bmgev.de/politik/wohnen-in-der-krise.html 

 

 


MieterEcho 361 / Juli 2013

Schlüsselbegriffe: Spanien, Zwangsräumungen, Plattform der Hypothekenbetroffenen, PAH, Eduard Baches, Wohnen in der Krise, Lleida, Katalonien, Immobilienblase, Hypotheken, EZB, Leerstand, Restschuldenerlass, Wohnungsmarkt

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