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MieterEcho 353 / März 2012

Umweltschädigende Brandbeschleuniger

Wärmedämmung aus Polystyrol ist nicht nur schadensanfällig, sie stellt auch Feuerwehren vor neue Herausforderungen

Hermann Werle

Die Lasten energetischer Modernisierungen sollen noch in diesem Jahr einseitig auf die Mieter/innen abgewälzt werden. Mit dem geplanten „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln – Mietrechtsänderungsgesetz“ würden die „bisherigen gesetzlichen Bestimmungen zur Modernisierung“ ausgehöhlt und den Vermietern ein „Mittel in die Hand gegeben werden, Bestandsmieter mit günstigen Mieten leichter als bisher aus ihrem gewohnten Umfeld zu verdrängen“, so die Berliner MieterGemeinschaft in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Energetische Modernisierungsmaßnahmen sollen mit dem Gesetz ihre mietrechtliche Durchsetzungskraft entfalten, wobei die Nachhaltigkeit der Dämmmaßnahmen zweifelhaft ist.

 

 

„Völlig inakzeptabel“, so die Berliner MieterGemeinschaft, „ist die im Entwurf vorgesehene Regelung, die es dem Vermieter ermöglicht, für Modernisierungsmaßnahmen, die er nicht angekündigt hat, die Miete – lediglich mit sechs Monaten Verzögerung – zu erhöhen“. Damit würde dem Vermieter gesetzlich erlaubt, „einseitig den Vertragsgegenstand zu verändern“. Hinzu komme, dass für die Dauer von drei Monaten Mietminderungen bei energetischen Modernisierungen ausgeschlossen werden soll. Der „durch das Bundesverfassungsgericht postulierte Eigentumsschutz des Mieters steht somit wieder einmal auf dem Prüfstand“.

Energetische Modernisierungen geraten auch von anderer Seite zunehmend in die Kritik. Verschiedene Fernsehmagazine werfen dabei ganz entscheidende Fragen auf: Wie haltbar und ökologisch sind die überwiegend zum Einsatz kommenden Polystyroldämmplatten? Ist der Brandschutz gewährleistet? Und wie viel Energie wird tatsächlich gespart? Gerade letzteres ist unter Fachleuten heftig umstritten. Sprechen die Befürworter – mit der Baustoffindustrie an der Spitze – von Energie-Einsparpotenzialen von bis zu 85%, gehen kritische Stimmen von erheblich geringeren Spareffekten aus. Zu beachten sei zudem, dass vor allem über die obersten Geschossdecken Wärme entweicht und weit weniger an den Außenwänden.

Unerwünschte Biotope

Ende letzten Jahres betitelte der Norddeutsche Rundfunk eine Sendung mit „Wahnsinn Wärmedämmung“ und berichtete über ein neues sich ausweitendes „Arbeitsgebiet für Fassadenkletterer“, nämlich dem „Schließen von Vogellöchern“. Vor allem für Spechte bieten die Polystyrolplatten ein attraktives Ambiente zum Nestbau. Diese Nester hinterlassen tennisballgroße Löcher, die dem eigentlichen Zweck der Dämmung entgegenwirken.

Erheblich häufiger als Spechtfamilien nisten sich deutlich kleinere Organismen in gedämmte Fassaden ein. Algen und Pilze finden an den Außenwänden der verpackten Häuser optimale Lebensbedingungen. Da Dämmplatten zwar wärmeisolierend, aber nicht wärmespeichernd wirken, würde sich außen durch die regelmäßig auftretenden Temperaturgefälle Kondenswasser bilden, welches durch kleinste Ritzen in Putz und Dämmmaterial einsickert und dort regelrechte Feuchtbiotope entstehen lässt. „Ein Fehler im System – im Wärmedämmungsverbundsystem“, auf den die 3-Sat-Sendung hitec mit dem Titel „Die verpackte Republik“ hinwies.

Klimaschutz zulasten der Umwelt

Da der Algen- und Schimmelbefall nicht nur ein ästhetisches Problem darstellt, sondern langfristig Materialschäden verursacht, werden moderne Dämmplatten mit Bioziden behandelt. Damit die Biozide ihre giftige Wirkung entfalten, sind sie wasserlöslich und geraten dadurch bei Regen auch ins Erdreich. Dem Umweltschutz dienlich erscheint das nicht, ebenso wenig wie die Verwendung von HBCD als Flammschutzmittel in Dämmplatten. HBCD steht für Hexabromcyclododecan und ist für einen der Marktführer in der Dämmstoffindustrie, der Sto AG, „nach wie vor ein für den baulichen Wärmeschutz unbedenkliches Bauprodukt“. Das Umweltbundesamt kommt zu einer ganz anderen Einschätzung, da die „langfristige Toxizität für den Menschen noch nicht völlig geklärt ist“. Wo möglich, solle auf den Einsatz von HBCD verzichtet und ein geeigneter Flammschutz entwickelt werden. Solange aber die Hersteller HBCD verwenden würden, seien „Maßnahmen zur effektiven Vermeidung der Emissionen in allen Produktlebensphasen kurz-fristig erforderlich“. Des Weiteren sollten „zur Wärmedämmung – soweit technisch möglich – andere, umweltverträgliche Dämmmaterialien“ zur Verwendung kommen. Wie wichtig ein solches Flammschutzmittel wäre, veranschaulicht allein der Umstand, dass Polystyrol einer der Grundstoffe von Napalmbomben ist.

„Als Dämmung zugelassene Brandbeschleuniger“

Nicht unzutreffend bezeichnet der NDR-Beitrag Dämmplatten als Brandbeschleuniger. Den Beleg lieferte ein Versuch, bei dem ohne den beherzten Einsatz der Feuerwehr und dem frühzeitigen Abbruch des Experiments die Versuchsanstalt wohl selbst Opfer der Flammen geworden wäre. Dass durch die massiv zunehmenden Dämmmaßnahmen auch die Feuerwehren vor ganz neuen Herausforderungen stehen, beschreibt der Sachverstän-dige für vorbeugenden Brandschutz, Frank D. Stolt in der Zeitschrift „Feuerwehr“. Hätte früher „ein ‚normaler’ Zimmerbrand nach 15 Minuten meist nur Temperaturen zwischen 400 und 600°C erreicht“, könnten die Temperaturen „heute schon nach wenigen Minuten im brennenden Raum zwischen 1.000 bis 1.200°C liegen“. Somit würde die derzeit im Brandeinsatz verwendete Feuerwehrarbeitskleidung in kritischen Situationen keinen ausreichenden Schutz mehr bieten. Vor dem Hintergrund eines folgenschweren Brandes mit zwei Toten und drei Verletzten im April 2005 in Berlin-Pankow sei zudem zu bedenken, dass „bedingt durch den nicht unerheblichen Anteil der Dämmstoffe an der Brandlast, den hohen Temperaturen und der ebenfalls sehr hohen Konzentration an zum Teil hochtoxischen Rauchgasen (...) auch die Gefährdung für die Personen im Gebäude“ ansteige. Hinzu käme, „dass sich in diesem Zusammenhang die Interventionszeiten der Feuerwehr für eine erfolgreiche Personenrettung dramatisch verkürzen“.  Die Ursachen bei dem Pankower Unglück waren laut Stolt „Mängel in der Bauausführung der Dämmung der Fassade und Überlastung des Gebäudes mit Brandlast“.

Das geplante Gesetz wird offensichtlich weder brandschutztechnischen noch ökologischen oder sozialen Anforderungen gerecht. Es ist ein Gesetz nach dem  Geschmack der Dämmstoffindustrie und der Vermieter. Für erstere soll das Geschäftsfeld nach Einschätzung der Roland  Berger Strategieberater jährliche Steigerungsraten von 7% aufweisen, und letztere  lassen sich ihre Investitionen mit üppiger Verzinsung von den Mieter/innen refinanzieren.

 

 


MieterEcho 353 / März 2012

Schlüsselbegriffe: Wärmedämmung, Polystyrol, Sanierung, energetische Modernisierungen, Mietrechtsänderungsgesetz, Klimaschutz, Biozide, Dämmplatten