Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 352 / Januar 2012

„Um den Preis sozialer Gerechtigkeit“

Die Stadtpolitik versucht kaum noch, Gentrifizierung aufzuhalten

Interview mit dem Geografen Daniel Gottlieb

In seiner aktuellen Studie hat der Diplom-Geograf Daniel Gottlieb Gentrifizierungsprozesse am Beispiel des ehemaligen Sanierungsgebiets Traveplatz-Ostkreuz in Friedrichshain untersucht. Die für das Quartier seit 1994 geltende Sanierungssatzung wurde 2010 aufgehoben. Das vorliegende Datenmaterial zeigt, dass der Quartierswandel sehr dynamisch erfolgte und dabei mit sozialen Austausch- und Verdrängungsmechanismen einherging. Politische Steuerungsinstrumente sind nach Auffassung Gottliebs in den vergangenen Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. 


Studie: Daniel Gottlieb: Gentrificationprozesse am Beispiel des ehemaligen Sanierungsgebiets Traveplatz-Ostkreuz in Berlin-Friedrichshain, Justus-Liebig-Universität Gießen 2011Studie: Daniel Gottlieb: Gentrificationprozesse am Beispiel des ehemaligen Sanierungsgebiets Traveplatz-Ostkreuz in Berlin-Friedrichshain, Justus-Liebig-Universität Gießen 2011

 

MieterEcho:  Warum haben Sie für Ihre Untersuchung das ehemalige Sanierungsgebiet Traveplatz-Ostkreuz gewählt?

Da Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg inzwischen weitgehend  von Gentrifizierungsprozessen erfasst worden sind, bilden sich innerhalb Berlins neue „Gentrification-Hot-Spots“ heraus. Neben Nord-Neukölln unterliegt vor allem Friedrichshain einem sehr tiefgreifenden Veränderungsprozess. Daraus leitete sich mein spezifisches Forschungsinteresse ab.

An welchen Faktoren lässt sich die Gentrifizierung im Gebiet ablesen?

Gemäß der neuesten Forschungsliteratur verstehe ich Gentrifizierung als einen multidimensionalen Prozess, der baulich, funktional, aber auch sozial-räumlich und symbolisch Ausdruck gewinnt. Baulich in Form von Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie Verbesserungen im Wohnungsumfeld, und funktional hinsichtlich neuer Nutzungsstrukturen und einer Neudefinition des Einzelhandels- und Dienstleistungsprofils. Der soziostrukturelle Wandel liest sich dagegen wie folgt: Der Zuzug relativ junger, einkommens- und bildungsstarker Haushalte in ein klassisches „Arbeiterviertel“ bewirkt soziale Gentrifizierungsprozesse. In letzter Konsequenz kommt es zum sukzessiven Austausch der ursprünglichen Quartiersbevölkerung.

 

Wie würden Sie die Bevölkerungsentwicklung im Gebiet in den letzten zehn Jahren charakterisieren?

Es hat laut der Asum GmbH einen starken Bevölkerungszuwachs gegeben, von knapp 5.000 Einwohner/innen im Jahr 1999 auf knapp 7.000 im Jahr 2007. Dieser Zuwachs scheint sowohl den Lage- und Ausstattungsmerkmalen des Quartiers als auch der fortgeschrittenen Sanierung und der damit gesteigerten Attraktivität geschuldet zu sein. Dennoch besteht gegenwärtig eine weiterhin starke Bewohnerfluktuation. Viele Bewohner/innen – beispielsweise Studenten/innen – verweilen nicht dauerhaft im Gebiet.

Asum

Die Abkürzung Asum steht für „Angewandte Stadtforschung und urbanes Management“. Die Asum GmbH Berlin führte in verschiedenen Stadterneuerungsgebieten, insbesondere in Friedrichshain, begleitende Untersuchungen durch und war für die Umsetzung von Sozialplänen zuständig.


Wie wirkt sich das auf die Mieten aus?

Durch die Neuvermietungen steigen die Mietpreise natürlich ungemein, sodass sich das preiswerte Wohnungssegment zunehmend verengt. Für viele einkommensschwache Bewohner/innen werden die Mieten dadurch unerschwinglich. Dagegen nimmt die Personengruppe überdurchschnittlich Verdienender erheblich zu. 2003 waren es nach Angaben der Asum 7%, die über 2.600 Euro monatlich verdienten und nach 2008 rund 21%. Nach den Bedürfnissen und Anforderungen dieser überdurchschnittlich Verdienenden wird das Gebiet inzwischen umgestaltet. Dass dies auf Kosten des Sozialen geht, muss als stadtpolitisches Kalkül verstanden werden.       


Darüber hinaus ergaben Mietanalysen der Asum, dass das Mietniveau überdurchschnittlich angestiegen ist. So wurden 2008 im Schnitt 32% des Einkommens für die Bruttokaltmiete aufgewendet. Für das Leben im Gebiet hat das natürlich weitreichende Folgen: Wenn die Mietbelastung zu hoch ist, liegt ein Auszug nahe oder man muss seinen Lebensstandard anpassen, was man als „Verdrängung aus dem Lebensstandard“ bezeichnet. In beiden Fällen handelt sich um klassische Verdrängungsmechanismen.

 

Drückt sich der Wandel auch in Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen aus?

Die Transformation von Miet- in Eigentumswohnungen ist natürlich immer Merkmal, das Gentrifizierung konstituiert. Mir lagen für den Erhebungszeitraum aber keine entsprechenden Daten vor. Es ist dennoch möglich, dass solche Verschiebungen stattfinden. Für die Entstehung hochpreisiger Eigentumswohnungen ist die ehemalige Max-Kreutziger-Oberschule ein gutes Beispiel.

 

Inwiefern trägt der Tourismus im Gebiet zur Gentrifizierung bei?

Der Tourismus ist eine der wenigen Wachstumsbranchen in Berlin und hat in den letzten Jahren vor allem innerhalb des östlichen S-Bahn-Rings eine regelrechte Goldgräberstimmung aufkommen lassen. Daher ist der Tourismus nach meiner Überzeugung eine gewichtige Konstante für gegenwärtige Stadtentwicklungsprozesse.  Allein das in Reiseführern transportierte Image vom „trendigen Szeneviertel“ macht deutlich, dass sich im südlichen Friedrichshain bewusst eingesetzte Marketingstrategien interessengeleiteter Akteure verbergen und der Tourismus für stadtpolitisch gewünschte Prozesse instrumentalisiert wird.

Gibt es konkrete Zahlen zu Hostelbetten und Ferienwohnungen?

Allein im Untersuchungsgebiet ließen sich im Zeitraum der Studie drei Hostels mit einer Bettenkapazität von 522 Betten feststellen. 2005 gab es meines Erachtens in ganz Friedrichshain-Kreuzberg 18 Hostels, 2010 waren es schon 36. Inzwischen hat die Bezirksverordnetenversammlung das zu regulieren begonnen und in bestimmten Wohngebieten dürfen nun keine Hostels mehr eröffnen. Das Konfliktpotenzial zwischen Anwohner/innen und Tourist/innen ist dennoch weiterhin als hoch einzuschätzen. Über Ferienwohnungen liegen mir leider keine Daten vor, aber die sind im Gebiet vielleicht noch nicht so relevant.

 

Sie beziehen sich in Ihrer Arbeit auf die Besonderheit von Gentrifizierung in Ost-Berlin. Läuft die Gentrifizierung im ehemaligen Ostteil Berlins anders ab als im Westteil, beispielsweise in Neukölln?

In Anbetracht zahlreicher vorangegangener Studien zu Ost-Berliner Innenstadtgebieten wird deutlich, dass Gentrifizierungsprozesse unter „postsozialistischen Transformationsbedingungen“ wesentlich dynamischer erfolgen. Das liegt daran, dass zu DDR-Zeiten Gentrifizierung in Ost-Berlin nur ganz begrenzt, wenn überhaupt, möglich war. Erst im Zuge der deutschen Einheit wurde das Wohnungswesen reprivatisiert und wohnungspolitische Parameter unter marktwirtschaftlichen Bedingungen geschaffen. Diese neuen Rahmenbedingungen sind besonders in Ost-Berlin für die rasanten städtebaulichen und sozialen Veränderungen verantwortlich.           


Dagegen weist Nord-Neukölln ganz andere Voraussetzungen auf. In seiner innerstädtischen Entwicklung steht es daher noch deutlich hinter Friedrichshain. Aber auch hier werden von stadtpolitischer Seite Anstrengungen unternommen, das Gebiet „in Wert zu setzen“. So wurde beispielsweise am Reuterplatz die Kreativ- und Kunstszene angesiedelt, die inzwischen als Motor umfangreicher Um- und Neustrukturierungsprozesse im Quartier begriffen werden muss.

Sie sprechen von einem „Strategiewechsel in der Berliner Stadterneuerungspolitik“, der ab 2002 stattgefunden hat. Was ist darunter zu verstehen?

Die Politik zieht sich aus Sanierungsvorhaben zurück und übernimmt vorwiegend gestalterische Aufgaben im öffentlichen Raum. Die Sanierungsmaßnahmen obliegen dagegen verstärkt privaten, kapitalstarken und renditeorientierten Akteuren. Bauliche Investitionen in den Gebäudebestand oder das unmittelbare Wohnumfeld unterliegen hierbei zunehmend dem Diktat der Rentabilität und weniger der Sozialverträglichkeit. Ferner laufen nun städtebauliche Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen wesentlich beschleunigter ab, aber um den Preis sozialer Gerechtigkeit.

 

Welche Strategien könnten Ihrer Meinung nach dazu beitragen, Gentrifizierung zu vermeiden oder zumindest abzufedern?

Gentrifizierung ist ohne Zweifel ein hochsensibler Prozess mit nicht zu unterschätzenden sozialen Auswirkungen. Natürlich verfügt die Stadtpolitik über zahlreiche soziale Instrumentarien, um Gentrifizierungsprozesse „harmonischer“ oder „weicher“ – also sozialverträglicher und regulierter – ablaufen zu lassen, beispielsweise in Form von Mietobergrenzen oder Kappungsgrenzen. Hier gilt es, den Hebel anzulegen: Man muss die Instrumente so einsetzen und stärken, dass die negativen sozialen Folgeerscheinungen ausbleiben und Stadtentwicklung sozial gerecht und zukunftsorientiert bleibt. Das bedeutet aber gleichsam die Entfaltungsmöglichkeiten ökonomischer Gesetzmäßigkeiten zu regulieren und Stadtpolitik wieder zu dem zu machen, was sie gemeinhin sein soll: eine verhandlungsorientierte, integrative, alle Interessen wahrende und dabei programmatisch-steuernde und auf Ausgleich bedachte Institution.

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Jutta Blume.




MieterEcho 352 / Januar 2012

Schlüsselbegriffe: Gentrificationprozesse, Traveplatz-Ostkreuz, Berlin-Friedrichshain, Daniel Gottlieb, Studie, Quartierswandel, Gentrification-Hot-Spots, Asum, Mietpreissteigerung, Umwandlung Miet- in Eigentumswohnungen, Tourismus, Neukölln

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