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MieterEcho 354 / Mai 2012

„Städte werden zu Marketinglandschaften.“

Städte begreifen sich immer mehr als Unternehmen und polieren ihr Image auf, um sich im Standortwettbewerb zu behaupten

Interview mit dem Stadtsoziologen Dr. Marcus Termeer

Für das politisch gewollte Image einer Stadt werden ihre jeweiligen Potenziale und Eigenarten des städtischen Lebens in einer Weise kanalisiert, die die Attraktivität des Standorts für Unternehmen und Wohlhabende erhöht. Von ihrer Ansiedelung verspricht man sich Investitionen, Einnahmen und Arbeitsplätze. Die Vermarktung der „Marke Stadt“ erfolgt dabei spekulativ: Es soll etwas geboten werden, wovon man denkt, dass mögliche Investoren denken, dass ihre möglichen Kunden es toll finden. Das so geschaffene Image gerät jedoch zunehmend in Konflikt mit der kommunalpolitischen Realität. Die meisten Einwohner/innen haben in der Regel nichts vom schönen Schein ihres Wohnorts, meint der Stadtsoziologe Marcus Termeer.

 

Marcus Termeer, geboren 1962, ist promovierter Soziologe. Er forscht zur Kultur- und Stadtsoziologie, ist als Autor tätig und war Lokalredakteur bei der taz in Münster. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Münster als Marke“.

 

 

MieterEcho: Imagepolitik und Marketing – das kennt man von großen Firmen. Was haben Städte damit zu tun?

Marcus Temeer: Im gegenwärtigen Kapitalismus werden vor allem Bedeutungen verkauft. Die „Marktperformance“ steht im Mittelpunkt.  Das  gilt auch für diejenigen Städte, die sich zunehmend als Unternehmen definieren. Sie befinden sich permanent im Wettbewerb mit anderen Städten, national wie international. Immer geht es dabei um wohlhabende Mittelschichten und Dienstleistungsunternehmen, die angesiedelt und gehalten werden sollen.


Womit bestreiten die Städte diesen Wettbewerb?

Sie geben sich ein Leitbild, eine „Story“, die es zu verkaufen gilt. Dieses Image muss mit dem Stadtbild korrespondieren. Nicht umsonst werden Kreativwirtschaft, Architektur, Design und Eventmanagement für so wichtig gehalten. Städte werden so zu Marketinglandschaften. Dabei können durchaus Luxusmeilen und zwischengenutzte Brachflächen nebeneinander stehen. Einerseits geht es immer um die sogenannten  Alleinstellungsmerkmale,  andererseits sind die Marketingstrategien strukturell letztlich austauschbar.


Das Image als bloßer Schein, der zu Werbezwecken über die Stadt gehangen wird?

Nein, es muss schon etwas am Image dran sein, sonst funktioniert das Marketing letztlich nicht. Wenn Städte beispielsweise eine besonders vielfältige Kulturlandschaft versprechen, sollten die Besucher/innen die auch vorfinden. Gleichzeitig wird die Kultur selbst zum Bestandteil des Marketings – auch wenn sie noch so kritisch gemeint ist.  Auf dieser Bühne sollen echte soziale Auseinandersetzungen möglichst unsichtbar gemacht werden. Wichtig sind auch zentrale Image-Orte, die  Authentizität versprechen sollen.


Was zeichnet diese Orte aus?

Das sind die Orte, die weithin bekannt sind und die städtische Identität abbilden beziehungsweise stiften sollen. Das können traditionelle Orte sein oder neu geschaffene. Sie sollen eine wesentliche ökonomische Funktion erfüllen: als Magneten für Touristen dienen. Und es sollen die „Lieblingsorte“ der lokalen Bevölkerung sein, die für eine vorgeblich homogene Stadtgemeinschaft stehen. Tatsächlich aber ist das oft nur die Wahrnehmung einer dominierenden Mittelschicht. Ob die Marginalisierten das auch so sehen, darf bezweifelt werden.
Berlin ist um ein kreatives Image bemüht. Nun protestieren Künstler/innen dagegen, dass ihr Potenzial zu Marketingzwecken abgeschöpft wird und sie selbst wenig davon haben.
Es gibt offenbar eine Substanz, aus der sich das Image einer Stadt speist. Berlin etwa ist ja kontinuierlich ein Magnet für „Kreative“ gewesen. Die Künstler/innen kritisieren zu recht, dass ihre Arbeit zunächst als Imagefaktor benutzt wird, dass man sie brach liegende Areale aufwerten lässt, die dann anschließend an Investoren verkauft werden, während die Künstler/innen auf der Straße landen. Im Effekt führen imageträchtige Aufwertungen regelmäßig zu steigenden Mieten und damit zur Verdrängung derjenigen, die sich das nicht mehr leisten können.


Die „Kreativen“ als Opfer eines Prozesses, an dem sie selbst mitgewirkt haben?

Auch, ja. So starr sind die Fronten zwischen Ausgebeuteten und Profiteuren hier ja nicht unbedingt. Mitunter ist in Bezug auf diese Szene von einem „neuen Kleinbürgertum“ die Rede, das ständig zwischen Subkultur und Mainstream wechselt, um in der Life-Style-Ökonomie Geld zu verdienen.
Trotz jungem und kreativem Image wird bei kommunaler Jugendarbeit und Kulturförderung massiv gespart. Wie passt dieses Image zur kommunalpolitischen Realität?
Das scheint vielleicht paradox, ist aber folgerichtig. Das Ruhrgebiet feierte sich 2010 als europäische Kulturhauptstadt – jetzt werden dort überall wieder die Kulturetats zusammengestrichen. Wenn von Kultur oder Jugend die Rede ist, dann sind keine Stadtteilbibliotheken oder Jugendzentren gemeint, denn die gelten als verzichtbar. Kultur wird interessant, wenn sie eine Vielfalt ausdrückt, die das urbane Leben für prosperierende Mittelschichten spannend und aufregend macht. Dann erscheint sie als ökonomischer Motor, der Städte aus der Krise führen soll. Folglich konzentriert sich die Stadtplanung auf Prestigeprojekte. Hier wird investiert, selbst bei knappen Kassen und explodierenden Kosten.

Werden kommunale Kernaufgaben durch ein Image oder eine Vorstellung ihrer selbst ersetzt?

Vielleicht noch nicht unbedingt ersetzt, aber sicher überlagert. Zum Zurückfahren von Sozial- und Kulturetats im Neoliberalismus gehört eine Ideologie des „selber schuld“. Konstruiert werden selbstverantwortliche Akteure, die an ihrer Marginalisierung selbst schuld sind. Die Betonung von Kreativität und Dynamik appelliert dann auch an ein „unternehmerisches Selbst“.


Der Slogan „arm, aber sexy“ lockt inzwischen Touristen nach Berlin. Wie ist es möglich, dass selbst offensichtliche soziale Probleme wie Armut, in ein positives Image und einen werbewirksamen Slogan gewendet werden können?

Grundsätzlich fließt ja heute alles ins Marketing ein, von der Tradition bis zum Subversiven. „Arm, aber sexy“ betont das Kreative, das Durchwurschteln und das Provisorische. Der Slogan zielt auf den Charme und die  Attraktivität der Bohème, ob nun digital oder nicht. Und er behauptet ein „Wir“: Wir alle sind sozusagen Bohème, Bevölkerung wie Senat, Verwaltung und  Wirtschaft.  Das passt bestens zu einem „neuen Geist des Kapitalismus“, in dem man sich „selbstorganisiert“ und „authentisch“ in immer neuen Projekten „selbst verwirklichen“ soll.


Woher kommt dieses „Wir“?

Konstruktionen eines städtischen „Wir“ entstehen regelmäßig in Imagekampagnen, wie etwa „be Berlin“ (siehe Artikel „Sei Werbung, sei kostenlos, sei Berlin“). Hier werden Bürger/innen und Firmen als „Kampagnen-Botschafter“ angeworben. Dieses „Wir“ gehört zu den neueren Strategien eines „weichen“ Neoliberalismus. Das „Wir“ soll auch die harten  Auswirkungen des Neoliberalismus abmildern, während es selbst an ihnen beteiligt ist, schon weil es soziale Gegensätze unsichtbar macht. Real grenzt es daher auch aus. Plattenbaugroßsiedlungen dürften wohl kaum „sexy“ sein. Das zielt vielmehr auf die In- und Szeneviertel. Es wird zugleich auch architektonisch und städtebaulich auf  Abgrenzung bestanden. Ein gutes Beispiel ist das „Car-Loft“ in Kreuzberg: Draußen sollen „Multikulti“ und „Bohème“ für Flair sorgen, während man die Nobel-Karosse mit nach oben nimmt und vor dem Loft parkt. Beim Wettbewerb der Städte geht es um Wohlhabende, nicht um Sozialhilfebeziehende.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Philipp Mattern


MieterEcho 354 / Mai 2012

Schlüsselbegriffe: Stadt, Marketing, "Marke Stadt", Marktperformance, Kreativwirtschaft, Eventmanagement, Imagekampagnen, Neoliberalismus, Abgrenzung