Simulierte Bürgerbeteiligung
Die drohende Vertreibung vieler Menschen aus ihrem Kiez ist für die Stadtteilvertretung im Moabiter Sanierungsgebiet Turmstraße kein Thema
Rainer Balcerowiak
Auf den ersten Blick scheint Moabit eine Art Oase der Bürgerbeteiligung zu sein. Es wimmelt nur so von Stadtteilplenen, Quartiersräten und -fonds. Dazu kommen der „Moabiter Ratschlag“ sowie etliche Initiativen und Arbeitsgruppen, die meistens im Umfeld der Quartiersmanagement-Büros angesiedelt sind.
Zwischen den beiden Quartiersmanage-mentgebieten liegt das vor einem Jahr vom Berliner Senat als Sanierungsgebiet ausgewiesene „Aktive Zentrum Turmstraße“. Dort gibt es im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung eine sogenannte Stadtteilvertretung. Deren 27 Mitglieder, die im März 2011 auf einer Bürgerversammlung gewählt wurden, arbeiten ehrenamtlich und haben offiziell die Aufgabe, sich an „der Planung und Umgestaltung des Moabiter Zentrums“ zu beteiligen, um „dafür zu sorgen, dass die Kompetenz, das Wissen und die Bedürfnisse der MoabiterInnen bei den Planungen berücksichtigt werden“, wie es in der Geschäftsordnung des Gremiums heißt. Dabei vertritt die Stadtteilvertretung das Ziel „im freundschaftlichen Miteinander einen wesentlichen und ideenreichen Beitrag zur Verbesserung der Attraktivität und Aufenthaltsqualität des Gebietes Turmstraße zu leisten“. So soll „die ökonomische Balance eines angebotsreichen Versorgungszentrums wieder hergestellt und dabei dem Reichtum kultureller und kreativer Vielfalt, die den Charakter und das Flair der Moabiter Insel prägen, Rechnung getragen“ werden.
Behörden behalten Hut auf
Entscheidungskompetenzen hat das Gremium allerdings nicht. Es kann lediglich Anregungen in einen monatlich tagenden Beirat einbringen, der bei der entsprechenden Bezirksverwaltung angesiedelt ist. Selbst „kleinteilige Maßnahmen“, wie kleine Anpflanzungen oder die Förderung von Nachbarschaftsfesten und Ausstellungen, für die ein jährlicher Etat von 20.000 Euro zur Verfügung steht, bedürfen der Zustimmung des Bezirksamts. Und auch die quasi offizielle Stadtteilzeitung für das Fördergebiet mit dem Titel „Ecke Turmstraße“ erscheint in der Regie der Behörde.
Die Schnittstelle zur Verwaltung ist das Koordinationsbüro für Stadtentwicklung und Projektsteuerung (KO-SP GmbH), das von der Senatsverwaltung beauftragt wurde, „der Stadtteilvertretung mit Rat und Tat zur Seite zu stehen“, wie es in der Selbstdarstellung der Stadtteilvertretung heißt. Entscheidungen über die Verwendung der insgesamt 32,5 Millionen Euro Fördergelder, die in den kommenden 15 Jahren in das Gebiet fließen sollen, werden größtenteils von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gefällt. Für das Geschäftsstraßenmanagement und das Kommunikationskonzept des Sanierungsgebiets wurden externe Dienstleister beauftragt.
Parkbänke, Fahrradstreifen, Grünanlagen
Angelika Adner, eine der Sprecherinnen der Stadtteilvertretung, sieht deren Arbeit in erster Linie nicht als tatsächliche Mitbestimmung, sondern als „Bürgerengagement für den eigenen Stadtteil“. Die Basis bilden diverse Arbeitsgruppen, deren Themen Aufschluss über das Verständnis der Stadtteilvertretung von Bürgerbeteiligung geben. Adner lobt besonders die AG Stadtmöbel. Diese habe die Bürger/innen aufgerufen, beschädigte Bänke und Ähnliches zu melden, damit diese repariert werden können. Auch die AG Verkehr sei sehr erfolgreich gewesen und habe die Verlängerung des Fahrradstreifens auf der Turmstraße erreicht. Nicht so gut sei es dagegen bei der AG Grün gelaufen, die sich mit den Plänen zur Umgestaltung des Ottoparks und des Kleinen Tiergartens beschäftigen wollte. Diese AG sei leider von „Baumschützern dominiert“ worden und daher lange Zeit nicht arbeitsfähig gewesen. Als Aufgabe der Stadtteilvertretung in diesem Bereich sieht es Adner unter anderem, ein Konzept für eine „friedliche Koexistenz“ zwischen verschiedenen Nutzergruppen der Grünanlagen zu entwickeln. So wolle man die Trinkerszene im Kleinen Tiergarten keineswegs vertreiben, aber „räumlich von jenen Bürgern trennen, die sich auf dem Weg zur U-Bahn belästigt fühlen“. Eine besondere Rolle bei den Plänen zur Kiezverschönerung spielt das Umfeld der Markthalle. Diese wird nach umfassender Renovierung seit Herbst 2010 von der Zunft AG betrieben und ist sozusagen der wichtigste Brückenkopf für die Umgestaltung des Bezirks und die Steigerung seiner Attraktivität für besserverdienende Zuzügler/innen (siehe MieterEcho Nr. 351/ Januar 2011). Adner kann sich beispielsweise einen verkehrsberuhigten Platz vor der Halle vorstellen, und ein Café mit Terrasse. Ohnehin ist die Markthalle Dreh- und Angelpunkt der Stadtteilvertretung. Das Bezirksamt hat dort Arbeits- und Versammlungsräumlichkeiten für das Gremium angemietet, und die wöchentliche „Bürgersprechstunde“ der Stadtteilvertretung, bei der man aber weitgehend unter sich bleibt, findet in der schicken Hausbrauerei der Halle statt.
Defizite bei Transparenz
Dabei ist dieser Stammtisch so ziemlich die einzige Möglichkeit, mit den Stadtteilvertreter/innen in Kontakt zu kommen und etwas über ihre Arbeit zu erfahren. Denn auf der Website der Stadtteilvertretung findet man weder Arbeitspapiere noch Tätigkeitsberichte, die Seiten der meisten Arbeitsgruppen sind entweder völlig leer oder enthalten Beiträge, die mindestens ein halbes Jahr alt sind. Anfragen per E-Mail werden nicht beantwortet und eine Kontakttelefonnummer existiert nicht. Die wenigen Dokumente der Website, die interessant sein könnten, sind für externe Nutzer/innen gesperrt.
Mit der Geschäftsordnung der Stadtteilvertretung ist das kaum in Einklang zu bringen. Dort wird als Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit genannt, „auf vielfältige Weise Informationen über Beschlüsse der Stadtteilvertretung und andere wichtige Informationen aus dem Aktionsbereich der Stadtteilvertretung zu verbreiten und den BürgerInnen die Prozesse transparent zu machen, damit sie sich aktiv einbringen können“.
Adner räumt Defizite bei der Transparenz der Stadtteilvertretungsarbeit ein. Alles sei nun mal ehrenamtlich und daher stünden auch nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung. So sei auch die AG Soziales mangels Bereitschaft zur Mitarbeit „eingeschlafen“. Allerdings gebe es eine Art Neugründung, die sich mit Konzepten für eine bessere Straßensozialarbeit besonders im Trinkermilieu befasse. Die nicht zu übersehende Verdrängung einkommensschwacher Bewohner/innen aus dem Kiez durch Modernisierungen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und horrende Mietsteigerungen bei Neuvermietungen sei dagegen kein Thema, „weil sich da keiner von uns für engagiert hat“.
Gentrifzierung in Moabit
Das Desinteresse kann kaum verwundern. Migrant/innen, Hartz-IV-Beziehende und Geringverdiener/innen, die im Kiez überdurchschnittlich stark vertreten sind, wird man in der Stadteilvertretung und in ihrem Sprecherrat kaum finden. Dafür aber einige Bezirkspolitiker der SPD und der Bündnisgrünen sowie gut situierte Wohnungseigentümer. Und während die Stadtteilvertretung mit allen Kräften um ein Café mit Terrasse vor der Markthalle, ein paar weitere Meter Fahrradspur auf der Turmstraße und einen alkoholikerfreien Zugang zum U-Bahn-Eingang ringt, und einige ihrer Mitglieder die geplante Eröffnung eines „Edel-Italieners“ in der Markthalle herbeisehnen, haben viele Bewohner/innen des Sanierungsgebiets ganz andere Sorgen. In etlichen Häusern, beispielsweise in der Waldenserstraße wollen derzeit Hausbesitzer ihre Mieter/innen zum mehr oder weniger „freiwilligen“ Auszug aus ihren Wohnungen bewegen. Schon jetzt haben Geringverdiener/innen bei Neuvermietungen so gut wie keine Chance, eine Wohnung im Kiez zu bekommen. Ein paar Klicks im Internet reichen, um zu erfahren, dass Moabit dagegen mittlerweile zum Eldorado für Ferienwohnungen und Hostels geworden ist und die Immobilienpreise rasant steigen. Anwohner/innen berichten, dass mittlerweile auch der Bundesnachrichtendienst (BND) im Kiez aktiv ist. Allerdings nicht in Form von Spitzeleinsätzen, sondern als Behörde, die ihren Mitarbeiter/innen bei der Wohnungssuche behilflich ist. Immerhin werden ab 2015 bis zu 4.000 BND-Beamte ihren Dienst in der neuen Berliner Zentrale aufnehmen. Und die liegt nur ein bis zwei Kilometer von Moabit entfernt.
Glücklicherweise gibt es aber auch in Moabit noch Menschen, die dem scheinbar unaufhaltsamen Gentrifizierungsprozess nicht tatenlos zusehen wollen. Aktuell hat sich eine „IG Gentrifizierung“ gegründet, die sich zunächst jeden dritten Dienstag im Monat um 19 Uhr im Café Moabit trifft (Emdener Straße 55). Dort soll, so die Initiator/innen, „ein Netzwerk von Anwohnern, Lokalpolitik und Medien entstehen, das in der Lage ist, zumindest den übelsten Praktiken etwas entgegen zu setzen“. Auf die Unterstützung von Institutionen wie der Stadtteilvertretung Turmstraße werden sie dabei wohl verzichten müssen.
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