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MieterEcho 356 / September 2012

Mieter/innen machen mobil

Neuer Anlauf für Widerstand gegen Vertreibung im Sanierungsgebiet Turmstraße in Moabit

Rainer Balcerowiak

Ein Anfang ist gemacht. Rund 30 Mieter/innen folgten am 28. Juni 2012 einer Einladung des MieterEchos zu einer Veranstaltung unter dem Titel „Was ist los in Moabit?“. Dafür war mit Anschreiben an die Mitglieder der Berliner MieterGemeinschaft und Aushängen an Haustüren im Gebiet rund um die Emdener Straße geworben worden.

 

Der Kiez um die Emdener Straße liegt mitten im Sanierungsgebiet Turmstraße, welches laut den Leitlinien der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu einem „attraktiven und qualitätsvollen Einkaufs- und Versorgungszentrum“ mit einem entsprechenden Wohnumfeld werden soll, wobei „die bauliche Erneuerung einzelner Wohngebäude nur eine untergeordnete Rolle spielen wird“. Angestrebt wird vielmehr eine „Aufwertung der Aufenthalts- und Angebotsqualität“. Einen besonderen Stellenwert sollen dabei die Grünflächengestaltung und die Weiterentwicklung der bereits privatisierten Arminiusmarkthalle (heute „Zunfthalle“) zu einer „Markthalle der Kulturen“ sein.

Eldorado für Spekulanten

Was das für alteingesessene Mieter/innen bedeutet, wurde auf der Veranstaltung deutlich. Längst ist Moabit zum Eldorado für Spekulanten verschiedenster Couleur geworden. Viele Häuser haben in den letzten zwei Jahren den Eigentümer gewechselt. Die Quote der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen ist ebenso in die Höhe geschossen wie die durchschnittliche Preissteigerung bei Neuvermietungen. Neue Eigentümer nutzen die komplette Klaviatur subtiler bis rabiater Vertreibungsversuche, wie Berichte der Veranstaltungsteilnehmer/innen deutlich machten. In der Calvinstraße 21 wurden im Zuge von „Modernisierungsmaßnahmen“ und einem Neubau auf einem Nachgrundstück sogar Fenster zugemauert, bevor das Amtsgericht diesem Treiben nach Mieterklagen vorläufig ein Ende setzte (siehe MieterEcho Nr. 352/ Januar 2012). In der Waldenserstraße 32-33 versuchen die neuen Hauseigentümer mit einer Mischung aus Überrumpelung und Druck, die Bewohner/innen des teilweise bereits entmieteten Hauses zum Auszug zu bewegen. In einigen Fällen wurden 5.000 Euro für einen „freiwilligen“ Auszug geboten, nachdem die Betroffenen vorher durch die Einstellung der Hausreinigung und intensive, teilweise unangekündigte Bauarbeiten „weichgeklopft“ wurden.

Keine Hilfe vom Bezirk

An entsprechenden „Beratungen” beteiligte sich auch eine für das Sanierungsgebiet beauftragte Firma namens Angewandte Sozialforschung und urbanes Management (ASUM GmbH), die vorzugsweise in Einzelgesprächen „gütliche Einigungen“ mit den Eigentümern herbeiführen soll. Weitere Berichte betrafen unter anderem ein Haus, in dem Mieter/innen durch Zufall erfuhren, dass ihre Wohnungen zusammengelegt werden sollen. In einigen Fällen begannen Mieter/innen, sich zusammenzuschließen, um sich gemeinsam zu wehren. Denn von den Institutionen des Bezirks ist kaum Hilfe zu erwarten. Der Antrag der Bündnisgrünen in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, den Erlass einer Milieuschutzsatzung für Moabit-West zu prüfen, wurde auf die lange Bank geschoben und könnte schon daran scheitern, dass der Bezirk über keine Mittel für eine solche Prüfung verfügt (siehe MieterEcho Nr. 355/ Juli 2012). Die im Rahmen des Sanierungsprozesses gebildete „Stadtteilvertretung“ ignoriert die Verdrängung einkommensschwacher Mieter/innen konsequent. Dafür sei man „nicht zuständig“, hieß es auf Nachfrage. Zwar gibt es einen „Runden Tisch Gentrifizierung“, der sich monatlich trifft, doch der bewegt sich eher im Dunstkreis bereits bestehender Initiativen und Institutionen, beispielsweise dem Quartiersmanagement, und ist seit seiner Gründung vor acht Monaten nicht über die Dokumentation einiger Fälle hinausgekommen.

Höchste Zeit für Widerstand

Viele Besucher/innen der Veranstaltung waren sich jedenfalls einig, dass es höchste Zeit ist, Widerstand zu entwickeln und sich zu vernetzen. Auf einem weiteren Treffen sollen auch öffentliche Aktionen besprochen werden wie Kundgebungen oder kleine Demonstrationen. Angestrebt wird zudem ein Erfahrungsaustausch mit Betroffenengruppen in anderen Sanierungsgebieten. Im Mittelpunkt muss jedenfalls aktives solidarisches Handeln gegen die vielfältigen Formen der Vertreibung im Moabiter Kiez stehen. Denn die Zeit drängt.

 


MieterEcho 356 / September 2012

Schlüsselbegriffe: Sanierungsgebiet Turmstraße, Moabit, Arminiusmarkthalle, Emdener Straße, Spekulanten, Modernisierungsmaßnahmen, ASUM GmbH, Milieuschutzsatzung