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MieterEcho 357 / Dezember 2012

„Kunststoff macht Sieger“

Energieeffizienz von Gebäuden ist das Topthema der Klimapolitik – dabei präsentiert sich die Chemie-Industrie als problemlösender Umweltengel

Hermann Werle

Gemeinhin gilt die Kunststoffindustrie zwar als Teil des globalen Umwelt- und Klimaproblems, poliert jedoch seit Jahren intensiv ihr Image. Dafür hat sie ein dichtes Netz von Lobbyverbänden in Stellung gebracht, deren Job es ist, den politischen Rahmen auf europäischer und nationaler Ebene so zu gestalten, dass ein gigantischer Markt für Dämmstoffe entsteht. Der ökologische Nutzen der anrollenden Plastiklawine ist zweifelhaft – weniger zweifelhaft ist, wer den Gewinn einstreicht.

 


Im Januar 2011 – vier Monate, bevor der erste Referentenentwurf zum Mietrechtsänderungsgesetz vorlag – veröffentlichte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) „Vorschläge zu einer Reform des Mietrechts“. Derlei Ideen formulieren im Normalfall die Verbände der Immobilienwirtschaft, um ungehinderter an der Mietenschraube drehen zu können. Dass sich nun die Industrie dem Thema annimmt, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Unter dem Titel „Mietrechtliche Hemmnisse für die energetische Gebäudesanierung“ schlägt der Industrieverband unter anderem die „Duldungspflicht des Mieters“ sowie die Vereinfachung der „Ankündigungsformalitäten“ bei energetischen Modernisierungen vor. Zur Begründung ist zu lesen, dass das aktuelle Mietrecht „einige wesentliche Investitionshemmnisse“ aufweise, die es „zu beseitigen gilt“. Wie ernst es dem BDI mit diesem Anliegen ist, zeigt sich an der eigens für die Förderung der energetischen Modernisierung ins Leben gerufen Initiative, an der sich über 20 Unternehmen beteiligen. Diese Initiative „Energieeffiziente Gebäude“ sieht sich als „größte Vereinigung von fachlichem Sachverstand in Deutschland“, die zudem „losgelöst von Partikularinteressen“ sei.



Greenwashing für das Öko-Image

Seit letztem Jahr verbreitet die Initiative ihre vermeintlich selbstlosen Botschaften und lädt zu prominent besetzten Konferenzen ein. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Umweltminister Peter Altmeier (CDU) folgten im September 2012 der Einladung zur „BDI-Gebäude-Konferenz“, wobei Altmeier „die Schlüsselstellung des Gebäudesektors im Hinblick auf die Neuausrichtung der Energiepolitik“ betonte und „eine attraktive Investitionskulisse für energetische Sanierungen“ als Ziel der Bundesregierung hervorhob. Worte, die Dr. Matthias Hensel, der Vorsitzende der BDI-Initiative, mit Freude zur Kenntnis genommen haben dürfte. Hensel ist zugleich Geschäftsführer der LUWOGE, dem Wohnungsunternehmen der BASF in Ludwigshafen. Neben der BASF finden sich mit der Bayer MaterialScience AG, dem Gesamtverband der Dämmstoffindustrie (GDI) sowie dem Forschungsinstitut für Wärmeschutz (FIW) Schwergewichte der Chemieindustrie und ihrer Lobby in der Mitgliedsliste der BDI-Initiative. Deren Interesse an der Mietrechtsänderung ist ebenso naheliegend wie ihr Wunsch nach einem positiven Image.     

Bereits in einer Studie aus dem Jahr 2007 schrieb Lobbycontrol über „Greenwash in Zeiten des Klimawandels“. Wir sollen zwar glauben, dass Atom- und Kohlekraftwerke das Klima schützen und Flugreisen immer sauberer werden, aber „die Realität sieht vielfach anders aus“, so Lobbycontrol. „Da werden Zahlen verdreht und kleine ökologische Modellprojekte hochgejubelt, während das alte dreckige Kerngeschäft weiter läuft.“ Bei der Wärmedämmung zur energetischen Modernisierung von Gebäuden funktioniert das ebenso. Die chemische Industrie stellt sich auf diesem Gebiet als alternativlose Vorreiterin des Umwelt- und Klimaschutzes dar und will uns glauben machen, dass Kunststoffe die Rettung für unser Klima sind, indem sie in Form von Dämmplatten an die Fassaden von Millionen von Wohnhäusern geklebt werden. Nach Angaben des Fachverbands Wärmedämm-Verbundsysteme wurden bereits 840 Millionen qm Dämmstoffplatten verklebt und jährlich kämen ca. 40 Millionen hinzu. Die Probleme der späteren Entsorgung oder der hohen Brandgefahr werden konsequent ausgeblendet oder bestritten (MieterEcho Nr. 353/ März 2012).



Mietrechtsänderungsgesetz

Zum Entwurf für das „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz)“ fand am 27. September 2012 die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Am 15. Oktober 2012 führte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags eine Sachverständigenanhörung durch, die zu weiterem Beratungsbedarf geführt haben soll. Über die Inhalte des Mietrechtsänderungsgesetzes und die Positionen der Berliner MieterGemeinschaft hatten wir in mehreren Ausgaben des MieterEchos (Nr. 331, 353, 355)ausführlich berichtet. Weitere

Informationen siehe auch www.bmgev.de

 


Gut vernetzte Lobby

Mit Wärmedämmung werden gemeinhin die problematischen Styroporplatten assoziiert, obwohl der Wärmedämmmarkt eine Reihe alternativer Produkte wie Hanf, Holzfaserdämmplatten oder die seit Langem gebrauchte Mineralwolle bereithält. Deren Rolle ist jedoch vergleichsweise bescheiden gegenüber den auf Erdöl basierenden Produkten aus Polyurethan und Polystyrol. Letztere sind als preisgünstigste Variante Marktführer auf dem wachsenden Markt der Dämmstoffe und in Form von weißen oder grauen Platten auf vielen Baustellen zu sehen. Kunststoffe aus deutscher Produktion beherrschen sowohl den expandierenden deutschen, den europäischen und den Weltmarkt, als auch die politische Debatte über Klimaschutz und Energieeffizienz. Neben dem BDI und seiner Effizienz-Initiative gibt es eine ganze Reihe weiterer gut vernetzter „Greenwash“-Lobbyorganisationen. Die Chemieriesen Bayer und BASF sind im Industrieverband Polyurethan-Hartschaum (IVPU) vertreten, der wiederum dem GDI angehört. Auf europäischer Ebene tritt für diese Dämmstoffe PU-europe in Aktion. Zum GDI gehört auch der Industrieverband Hartschaum (IVH), der seit letztem Jahr mit dem Motto „Styropro“ den „Wärmeschutz mit Styropor in den Fokus der Öffentlichkeit“ rücken will. Die Styropor-Lobby kooperiert außerdem mit dem bereits erwähnten Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme, in dessen Führung der Primus der Dämmplattenproduzenten, die sto AG, etabliert ist. Mit dem Forschungsinstitut FIW aus München unterhält die Industrie zudem – praktischerweise – ihr eigenes Institut, welches Produkte im In- wie Ausland zertifiziert. Die Vergabe und Kontrolle von Gütesiegeln ist bei der Erschließung neuer Märkte ungemein wertvoll. Vor einigen Jahren führte die BASF für ihren Dämmstoff Neopor – einer Weiterentwicklung von Styropor – ein dem FIW unterstehendes Gütesiegel ein, welches, „wenn möglich, Standard werden soll“, wie der Chemiekonzern seinerzeit mitteilte. Auf diese Weise wird der Markt kontrolliert und der Absatz von Neopor langfristig gesichert. Kürzlich hieß es in einer Presseerklärung des Konzerns, dass Neopor für die BASF-Strategie „eine zentrale Rolle“ spiele, „mit der sich das Unternehmen noch stärker auf profitable Märkte und Produkte“ konzentrieren wolle.



Die Chemie stimmt

Der EU-Binnenmarkt gehört zweifelsohne zu diesen profitablen Märkten. So war es kein Zufall, wer im September zum dritten „PolyTalk“, einem Forum der europäischen Chemielobby eingeladen war. Mit dem EU-Umweltkommissar Janez Potocnik sowie Anne Glover, der Chefberaterin von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, konnte PlasticsEurope hochkarätige Vertreter aus der Politik präsentieren. Ebenso hochkarätig war die chemische Industrie zugegen mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der BASF, Martin Brudermüller, und dem Vorsitzenden von PlasticsEurope Patrick Thomas, der zugleich der Polyurethan-Sparte der Bayer AG vorsteht.

PlasticsEurope gehört zu den bedeutsamsten Lobbyverbänden der chemischen Industrie und vereint nach eigenen Angaben über 100 Unternehmen der Branche. Der deutsche Ableger PlasticsEurope Deutschland e.V. vertritt dabei die „politischen und wirtschaftlichen Interessen der Kunststofferzeuger in Deutschland“. Das tut der Verband unter dem Vorsitz von Dr. Wolfgang Hapke, einem BASF-Mann, offensichtlich mit Erfolg und auf den verschiedensten Ebenen: „Das Land Rheinland-Pfalz informiert seine Lehrer per Datenbank über empfehlenswerte Lehrmittel. Mit dabei sind nun auch die Angebote von PlasticsEurope Deutschland. Sie haben damit quasi das ‚Siegel’ des Kultusministeriums“, so der Geschäftsbericht 2011. Neben diesem „Erfolg“ wird auch die zielgerichtete Pressearbeit gewürdigt, mithilfe derer der Verband 2011 in „über 400 Presseberichten“ direkte Erwähnung fand. „Diese Medienarbeit, flankiert von der Direktansprache einschließlich Sponsoring, sowie die Schularbeit bildeten auch 2011 die Eckpfeiler, die ganz wesentlich das gute Image der Kunststoffe in Deutschland stützen.“ Auch die Türen von Ministerien bleiben PlasticsEurope nicht verschlossen, wie der Bericht von 2009 offenbart: „Als Mitglied beim Runden Tisch nachhaltiges Bauen, der beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung eingerichtet ist, beteiligt sich PlasticsEurope Deutschland an der Ausgestaltung der Kriteriensteckbriefe (…) und arbeitet in der Arbeitsgruppe ‚Ökologische Qualität’ des Ministeriums mit.“ So scheint das Motto des Sport-Sponsorings von PlasticsEurope sehr zutreffend zu sein: „Kunststoff macht Sieger“ – bei der Dämmstoffindustrie. Gerade vor wenigen Wochen baute die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall ihr Ölgeschäft in Norwegen mächtig aus. Auf dieser Grundlage kann der Mutterkonzern die Welt noch eine ganze Weile mit Dämmstoffen beglücken.

 


MieterEcho 357 / Dezember 2012

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