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MieterEcho 352 / Januar 2012

Kasino-Kapitalismus

Ein neues Gesetz soll dem Boom der Spielhallen in Berlin Einhalt gebieten, doch die Umsetzung ist schwierig, wie das Beispiel Moabit zeigt

Rainer Balcerowiak

 

Berlins Wirtschaft dümpelt mit bescheidenen Wachstumsraten vor sich hin, und besonders im Umfeld der traditionellen Einkaufsstraßen in den ärmeren Bezirken mussten viele Geschäfte wegen Mieterhöhungen und dem Ausbleiben zahlungskräftiger Kundschaft schließen. Doch gerade dort verzeichnet die Spielhallenbranche seit Jahren exorbitante Steigerungsraten.
In der gesamten Stadt sind es mittlerweile weit über 500 Betriebe, allein im Bezirk Mitte rund 150. Die Spielautomaten in den ebenfalls boomenden Sportwettenbüros oder in Imbissbetrieben sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

Besonders in ärmeren Kiezen in Neukölln, im Wedding und in Moabit hat die Anzahl der Spielhallen in den letzten Jahren enorm zugenommen (Foto: Turmstraße in Moabit).  Foto: Björn Kietzmann

 

Den laut Schätzungen rund 40.000 Spielsüchtigen in der Hauptstadt wird besonders im Wedding, in Neukölln und in Moabit ein nahezu flächendeckendes Angebot unterbreitet. Oft sind für Anwohner/innen fünf oder mehr Spielhallen unmittelbar fußläufig zu erreichen. Da die Betreiber der Spielkasinos zudem in der Lage sind, sehr hohe Mieten zu zahlen, spielen sie eine wichtige Rolle bei der Verdrängung alteingesessener Gewerbetreibender. Gleichzeitig mindern sie die Qualität von Geschäftsstandorten. „Gerade in den sozial schwachen Kiezen gibt es oftmals diverse Spielhallen nebeneinander. Einige Kieze werden dadurch runtergezogen, auch von der Optik. Da will gar keiner mehr richtig einkaufen. Von den ganzen Leuten, die da rein gehen, ihr Geld verspielen, spielsüchtig werden, ganz zu schweigen“, beschreibt der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz, einer der lautesten Kritiker der Spielhallen-Invasion, diese Entwicklung.

Neues Spielhallengesetz

Nach langen Jahren der Untätigkeit entschloss sich der Berliner Senat im vergangenen Jahr, endlich aktiv zu werden. Denn die frühere Rechtslage bot kaum Möglichkeiten, die Eröffnung derartiger Etablissements zu verhindern. Am 2. Juni 2011 trat ein neues Spielhallengesetz in Kraft. Es beinhaltet auf den ersten Blick erhebliche Restriktionen für die Betreiber. „Wer eine Spielhalle oder ein ähnliches Unternehmen betreiben will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Für jeden Spielhallenstandort darf nur ein Unternehmen (…) zugelassen werden. Der Abstand zu weiteren Unternehmen soll 500 Meter nicht unterschreiten. Das Gewerbe soll auch nicht in räumlicher Nähe von Einrichtungen betrieben werden, die ihrer Art nach oder tatsächlich vorwiegend von Kindern oder Jugendlichen aufgesucht werden“ heißt es im § 2 des Gesetzes. Allerdings darf die zuständige Behörde des Bezirks „unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls“ von diesen Maßgaben abweichen. Das Gesetz sieht ferner vor, dass die Betriebserlaubnis mit einer Befristung erteilt und mit Auflagen verbunden werden kann, „soweit dies zum Schutze der Allgemeinheit, der Gäste oder der Bewohnerinnen und Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen erforderlich ist“. Versagt werden kann eine Erlaubnis unter anderem „wenn der Betrieb des Gewerbes eine Gefährdung der Jugend, eine übermäßige Ausnutzung des Spieltriebs (…) oder sonst eine nicht zumutbare Belästigung der Allgemeinheit, der Nachbarinnen und Nachbarn oder einer im öffentlichen Interesse bestehenden Einrichtung befürchten lässt“. Auch erhöhte Anforderungen an die Sachkundenachweise des Personals zur Prävention von Spielsucht und im Umgang mit Betroffenen sind im neuen Gesetz verankert. Als weitere Maßnahme wurde der Steuersatz für Einnahmen aus Glücksspielgeräten von 11 auf 20% erhöht.

Zahnloser Tiger?

Für Kritiker/innen des Gesetzes ist das Paragrafenwerk nur wenig mehr als ein Placebo. Zum einen wird bestehenden Betrieben für die Einhaltung wesentlicher Bestimmungen eine großzügige Übergangsfrist bis 2016 eingeräumt. Ferner werden Anträge auf die Eröffnung neuer Spielhallen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingereicht wurden, noch nach altem Recht bearbeitet. Im Bezirk Mitte gab es 79 solcher Anträge, die fast alle bewilligt wurden. So wurde noch Anfang Januar in Moabit (Wiclefstraße, Ecke Bremer Straße) ein neues Spielkasino eröffnet, welches nach neuem Recht nicht mehr genehmigungsfähig wäre, da es sich in unmittelbarer Nähe von Kinder- und Jugendeinrichtungen befindet und zudem der nächste Betrieb dieser Art lediglich 200 Meter entfernt ist. Weitere Neu-eröffnungen nach altem Recht wird es in Mitte nach Auskunft des Ordnungsamts allerdings nicht mehr geben           
Der zuständige Wirtschaftsstadtrat des Bezirks, Carsten Spallek (CDU), sieht seiner Behörde weitgehend die Hände gebunden. Er vermisst „klare Vorgaben“. Der Mindestabstand zu Kinder- und Jugendeinrichtungen sei nicht genau definiert, und es bleibe Auslegungssache, ob außer Schulen und Kitas auch Spiel- und Sportplätze gemeint sind. Beim 500-Meter-Abstand zwischen Kasinos sei ferner unklar, ob es um den Fußweg oder die Luftlinie gehe, bemängelte der Stadtrat bereits im August im Tagesspiegel. Der Stadtrat kündigte an, die Einhaltung der Bestimmungen zum Jugendschutz und zur Suchtprophylaxe mit regelmäßigen Kontrollen durch zivile „Sachbearbeiter mit besonderen Kontrollaufgaben“ durchzusetzen. Genaue Zahlen über die Kontrolldichte oder Art und Umfang der festgestellten Verstöße will das Bezirksamt auf Anfrage allerdings nicht nennen. Eingeräumt wird jedoch, dass viel zu wenig Mitarbeiter/innen zur Verfügung stehen, um regelmäßig alle Spielhallen zu überprüfen.

Aktive Automatenaufstellerlobby

Kritik ganz anderer Art kommt von den Profiteuren der Spielsucht. Mit bis zu 400 Klagen beim Verwaltungsgericht und einer Beschwerde beim Verfassungsgericht wollen Automatenaufsteller gegen das Spielhallengesetz in Berlin  vorgehen. Sie sehen im Gesetz einen unzulässigen und existenzbedrohenden Eingriff in die Gewerbefreiheit, da nach den neuen Vorgaben in vielen Bezirken praktisch keine Standorte mehr übrig bleiben würden, an denen sich Spielhallen betreiben ließen.     Nicht vergessen werden sollte ferner, dass Berlin von den Steuern und Abgaben der Automatenbetreiber nicht unerheblich profitiert. Die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer für Spielhallen stiegen von 8 Millionen Euro in 2007 auf  25 Millionen in 2011.       


In Moabit beschäftigen sich mehrere Initiativen mit dem Thema. Seit über einem Jahr gibt es eine vom Quartiersmanagement unterstützte AG Spielhallen, die unter anderem mit regelmäßigen „Bürgerkontrollen“ Verstößen gegen geltende Bestimmungen nachgehen will. Auch die Stadtteilvertretung unterstützt diese Bemühungen. Und in der Bezirksverordnetenversammlung wollen Parlamentarier/innen wie Jutta Schauer-Oldenburg (B90/Grüne) dem Bezirksamt regelmäßig auf die Füße treten, was die Kontrollen der Spielhallen betrifft.

Indiz für Geldwäsche

Bei all diesen Initiativen stehen Jugendschutz und Suchtprophylaxe im Mittelpunkt. Ein anderer Aspekt wird dagegen – zumindest auf Bezirksebene – weitgehend ausgeblendet. Seit Jahren ist bekannt, dass Spielhallen – nicht ausschließlich, aber in erheblichem Umfang – der Geldwäsche im Umfeld der organisierten Kriminalität dienen. Schließlich gibt es kaum eine einfachere und sicherere Methode, um beispielsweise Einnahmen aus Drogenhandel und illegaler Prostitution in den legalen Geldkreislauf einzuspeisen. Ist das Geld erstmal im Automaten, kann es als Umsatz beziehungsweise Gewinn registriert und versteuert werden. Auch haben Anwohner/innen festgestellt, dass sich in einigen Spielhallen mitunter über längere Zeiträume kein einziger Gast aufhielt, was ein Indiz für Geldwäsche sein könnte. Das Ordnungsamt des Bezirks bestätigte zwar auf Anfrage, dass „vereinzelt diesbezügliche Hinweise“ eingegangen seien, aber für die Verfolgung von Straftaten sei man nicht zuständig. Das sei Aufgabe der Polizei. Unter vier Augen werden Hinweise auf Geldwäsche auch von in Moabit tätigen Polizisten bestätigt, die allerdings darauf verweisen, dass für entsprechende gründliche Ermittlungen die personellen Ressourcen, beispielsweise verdeckt arbeitende Zivilbeamte, fehlten.          
Experten wie Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter und der Bankier Andreas Frank fordern bereits seit Jahren, Spielhallen schärfer zu kontrollieren, indem Automatenglücksspiel  ins Geldwäschegesetz aufgenommen wird. Das würde unter anderem bedeuten, dass Besucher von Spielhallen von den Betreibern registriert und Umsätze und Gewinne stundengenau protokolliert werden müssten. Doch die Politik ist bislang, wohl  nicht zuletzt aufgrund der Lobbyarbeit der Her- und  Aufsteller von Glücksspielautomaten, untätig geblieben.


 


MieterEcho 352 / Januar 2012

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