Hände hoch!
Ein Buch beleuchtet die Vorgänge um die Berliner Bankgesellschaft
Philipp Mattern
Der Bankenskandal beschäftigte die Berliner Öffentlichkeit so intensiv und lange wie kaum ein anderes Ereignis der vergangenen Jahre. Klar wurde dabei vor allem eins: Das Thema ist bombastisch und kaum zu verstehen. Entsprechend voluminös fällt die Studie des Politikwissenschaftlers Benedict Ugarte Chacón aus, die er in mehrjähriger akribischer Forschung im Rahmen einer Doktorarbeit erstellte. Das Ergebnis liegt nun in Form eines rund dreihundertseitigen Buches vor, das tief in die Thematik eintaucht.
Nicht nur die Fülle des Materials beeindruckt, sondern auch die Beleuchtung der Hintergründe: Ugarte Chacón präsentiert teilweise investigativ recherchierte Interna aus Unternehmen und Verwaltung, die bisher keine Würdigung in der öffentlichen Debatte fanden. Der Hauptteil seiner Arbeit zeichnet detailliert die Geschichte und Vorgeschichte der Bankgesellschaft nach – von den politischen Hintergründen ihrer Entstehung, über die krisenhafte Entwicklung bis hin zu ihrer „Rettung“ und der bis heute unabgeschlossenen politischen und juristischen Aufarbeitung. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Immobiliendienstleistungsgeschäft, dem eine zentrale Rolle in der fatalen Entwicklung der Bankgesellschaft beigemessen wird. Detailreich entwirrt er das Geflecht aus Politik und Unternehmen und benennt Akteure und Strukturen. Auch die außerparlamentarische Arbeit zweier Bürgerinitiativen findet ihren Platz in der Untersuchung.
Schließlich widmet sich der Autor der Medialisierung der Ereignisse zum „Skandal“. Er problematisiert, dass sich die dort hochkochende Empörung zu sehr auf den unmittelbaren Umgang mit der Krise und die politische Verarbeitung ihrer Folgen fixiert, während die Ursachen und Hintergründe kaum zur Sprache kommen. Das eigentliche Problem sei nicht das nun sichtbare Resultat, sondern die eigenartige Konstellation der Bankgesellschaft selbst, in der die krisenhaften Tendenzen von vornherein angelegt waren. Als besondere Form eines Teilprivatisierungsmodells schuf die öffentliche Hand in den 90er Jahren die Bankgesellschaft. Die Konstruktion der Bankgesellschaft versprach die Integration privaten Sachverstands bei gleichzeitigem Einfluss durch das Land Berlin. Die dem Privatisierungswahn der 90er Jahre geschuldete Rechnung ging nicht auf. Es entstand vielmehr ein politisch unkontrollierbares Eigenleben des Konzerns, während die öffentliche Hand für die Haftung verantwortlich blieb. Der Staat manövrierte sich in eine „selbstverschuldete Unfähigkeit zu Kontrolle und angemessenem Umgang mit Unternehmungen, deren Eigentümer er ist und für die er im Zweifelsfall den Krisenhelfer spielen darf“. In diesem Sinne rechnet die Studie sehr deutlich mit dem populären Begriff des „Staatsversagens“ ab. Das Problem sei nicht der Staat, der zu wirtschaftlicher Aktivität unfähig sei – wie dies gern von liberaler Seite behauptet wird – sondern umgekehrt sein weitgehender Rückzug, der zu organisierter Verantwortungslosigkeit und schließlich in den Kollaps führte. Hervorgerufen wurde der Zusammenbruch weder allein durch Fehlmanagement oder Inkompetenz, noch durch das Versagen oder Fehlverhalten einzelner Akteure und auch nicht durch Korruption. Schuld an dem Desaster war die naive Schaffung struktureller Gegebenheiten bei gleichzeitig blindem Interventions- und Kontrollverzicht der öffentlichen Institutionen. Wenn von einem „Versagen“ gesprochen wird, sollte es in diesem umfassenden Sinn erfolgen, lautet das Fazit des Buchs. Dass die beschriebenen Entwicklungen zwar prägnant, aber kein Einzelfall sind, wird durch die Studie deutlich. Sie sieht in den Vorgängen um die Berliner Bankgesellschaft ein Musterbeispiel „postdemokratischer Tendenzen“ und diskutiert die Abwälzung der Verluste auf die öffentliche Hand als Vorwegnahme der heutigen „Bankenrettungen“. Insofern ist das Thema noch lange nicht Geschichte: „Wenn die Krise der Bankgesellschaft Berlin und deren Verarbeitung etwas lehrt, dann, dass selbst eine vormals als Jahrhundertpleite geltende Bankenkrise nicht zu grundlegenden Lernprozessen geführt hat.“
Benedict Ugarte Chacón: Berlin Bank Skandal. Eine Studie zu den Vorgängen um die Bankgesellschaft Berlin, Juni 2012, Verlag Westfälisches Dampfboot, 340 Seiten, 29,90 Euro
MieterEcho 356 / September 2012
Schlüsselbegriffe: Berliner Bankgesellschaft, Benedict Ugarte Chacón, Bankenskandal, Immobiliendienstleistungsgeschäft, Bürgerinitiativen, Teilprivatisierungsmodell, Korruption, Bankenrettungen, Bankenkrise, Berlin Bank Skandal