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MieterEcho 356 / September 2012

Die neuen Sanierungsgebiete

Wer profitiert und was haben Mieter/innen davon?

Philipp Mattern

 

Berlins neue Sanierungsgebiete enttäuschen, denn sie fassen lediglich bestehende Förderprogramme zusammen. Zusätzliches Geld kommt nicht. Im Mittelpunkt stehen Infrastrukturprojekte zur Gebietsaufwertung, während wohnungspolitische Fragen unbeantwortet bleiben. So bleibt schleierhaft, wie soziale Ziele erreicht und negative Folgen der Aufwertung für Mieter/innen vermieden werden sollen.



„Sanierungsgebiet“ ist ein schillernder Begriff. An die „behutsame Stadterneuerung“ vergangener Jahre erinnernd, eilt ihm das Versprechen einer sozial verträglichen Aufwertung voraus. Das greift der Senat gern auf: „An die Erfolge des auslaufenden Gesamtberliner Stadterneuerungsprogramms anknüpfend, hat der Berliner Senat (…) für 7 Gebiete die Festlegung als Sanierungsgebiet beschlossen.“ So feierte man im vergangenen Jahr das Comeback eines Etiketts mit hohen Sympathiewerten. Nur haben die neuen Sanierungsgebiete mit ihren Vorgängern kaum mehr etwas zu tun. Das spricht auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf ihrer Website offen aus,  denn angesichts der Finanzlage Berlins wurde die frühere Förderung für Instandsetzungs- und Modernisiearungsarbeiten an Wohngebäuden eingestellt. „Berlin konzentriert sich nunmehr auf die öffentlichen Aufgaben und Interventionen. Öffentliche Fördermittel werden grundsätzlich nur eingesetzt zur Qualifizierung der lokalen öffentlichen Infrastruktur, der Aufwertung des Wohnumfeldes und für die Finanzierung der Aufgaben, die Berlin nach dem Baugesetzbuch bei der weiteren Vorbereitung der Sanierung und Durchführung von Ordnungsmaßnahmen obliegen, zum Beispiel Bodenordnung, Sozialplanaufgaben der Gemeinde, Einsatz von Sanierungsbeauftragten und -trägern zur Steuerung des Sanierungsprozesses.“ Im Klartext: Es stehen keine öffentlichen Gelder bereit, mit denen eine sozialverträgliche Sanierung von Wohnhäusern möglich wäre. Die Fördermittel werden nur für punktuelle Infrastrukturmaßnahmen zur Gebietsaufwertung eingesetzt. Von der verspricht man sich eine Stärkung des Wirtschaftstandorts mit animierender Wirkung auf private Eigentümer und Investoren, denen man die Sanierung von Häusern komplett überlässt.

Behebung von „Funktionsschwächen“ statt Verbesserung der Wohnqualität

Die den „geänderten Rahmenbedingungen“ geschuldete „Umstellung der Prioritäten“ zugunsten einer „Initiierung von Aufwertungsprojekten im öffentlichen Raum“ zeigt sich deutlich in den Zielstellungen der neuen Sanierungsgebiete. Gemein haben diese 7 Gebiete, dass es sich bei ihnen überwiegend um Altbauquartiere in – bisher zumindest – „einfacher Lage“ handelt.  Eine weitere Gemeinsamkeit sieht der Senat in ihren Problemen: „Alle  Gebiete zeichnen sich durch Funktionsschwächen aus, insbesondere durch Funktionsverluste auf gewerblichen und öffentlichen Flächen.“ Von einem „Niveauverlust der Einzelhandelsbetriebe“, „hoher sozialer Problemdichte“ und dem „Leerstand wichtiger Immobilien“ gekennzeichnet, könnten die Quartiere ihre schlummernden Potenziale nur unzureichend entfalten und würden ihrer „Lage und Bedeutung nicht gerecht“. Ein Entwicklungsbedarf zur Behebung des städtebaulichen Missstands wird beinahe ausnahmslos bezüglich dieser „Funktionsschwächen“ gesehen – und nicht in der Verbesserung der Wohnqualität. Die Sanierungstätigkeit beschränkt sich auf meist kleinere Infrastrukturprojekte: die Gestaltung von Grünflächen, Verkehrswegen und öffentlichen Plätzen, sowie hier und da die Modernisierung einer Kita oder Schule. Die daneben für wünschenswert erachtete energetische Sanierung von Wohnhäusern sollen die Hauseigentümer durchführen, die die Kosten wiederum auf die Mieter/innen umlegen können.


Neue Sanierungsgebiete

Im März 2011 beschloss der Senat die förmliche Festlegung von 7 neuen Sanierungsgebieten. Sie umfassen die Viertel um die Turmstraße in Moabit, die Müllerstraße in Wedding, das Gebiet nördlich der Frankfurter Allee in Lichtenberg, die nördliche Luisenstadt um die Köpenicker Straße in Mitte, die südliche Friedrichstadt um das Hallesche Tor, das Gebiet rund um Karl-Marx-Straße und Sonnenallee im Norden Neuköllns sowie Teile der Wilhelmstadt in Spandau. Insgesamt leben rund 75.000 Menschen in diesen Gebieten.

 

Rahmen für bestehende Förderprogramme

Trotz ihrer Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die  Gebiete in einem wesentlichen Punkt: Während bei einigen tatsächlich die Gefahr bestehen mag, in den nächsten Jahren weiter an Trostlosigkeit zu gewinnen, lastet auf anderen ein enormer Entwicklungsdruck. Vor allem  die innenstadtnahen Sanierungsgebiete wie die Luisenstadt am Spreeufer oder die Gegend um den Hermannplatz, aber auch Teile von Moabit und Wedding, werden in den nächsten Jahren nicht mit einer Abwärtsspirale, sondern mit Aufwertung konfrontiert sein. Die ersten Folgen sind bereits zu sehen. Investitionen in die öffentliche Infrastruktur mögen in Wilhelmstadt oder Lichtenberg in erster Linie der dortigen Wohnbevölkerung zugute kommen, für wen sich aber etwa in der Neuköllner Karl-Marx-Straße die Aufenthaltsqualität verbessern soll, bleibt fraglich – wird doch stets ihre gesamtstädtische Relevanz als Einkaufsstraße betont. Hier besteht die Gefahr, dass die unter den Sanierungszielen forcierten Maßnahmen problematische Tendenzen für dort wohnende Mieter/innen verschärfen werden. Dass die neuen Sanierungsgebiete aus verschiedenen Gründen schon länger im Fokus des stadtpolitischen Interesses stehen, zeigt die Tatsache, dass sie alle bereits von bestehenden Förderprogrammen bedient werden. Ob „Aktive Stadtzentren“, „Aktionsräume plus“ oder Schwerpunktgebiete des städtebaulichen Denkmalschutzes, den damit geförderten Stadtteilen wurde nun noch zusätzlich das „Sanierungsgebiet“ übergestülpt. So können längst stattfindende Entwicklungs- und Aufwertungsbestrebungen unter dem besonderen Städtebaurecht fortgeführt werden.


Öffentliche Aufgaben in Sonderkulisse

Das Sanierungsgebiet selbst bringt also nichts Neues in die Kieze, sondern fasst zusammen, was es schon gibt. Mit ihm werden kleinere Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten, die ohnehin zu den Aufgaben der öffentlichen Hand gehören, in Szene gesetzt. Der Stempel Sanierungsgebiet schafft ein Steuerungsinstrument, mit dem in einem verbindlichen Rahmen von bis zu 15 Jahren die verschiedenen Maßnahmen der einzelnen Förderprogramme abgestimmt werden können. Das bringt Planungssicherheit und gute Argumente, warum Fördergelder auch in Zukunft genau in diese Gebiete fließen sollen. Mitunter eröffnet dieses Instrument auch geringfügig erweiterte politische Gestaltungsmöglichkeiten. So muss etwa jede bauliche Tätigkeit von der Sanierungsverwaltungsstelle auf seinen Einklang mit den Sanierungszielen geprüft und genehmigt werden. Vor allem mit diesem Mittel des besonderen Genehmigungsverfahrens sollen negative Auswirkungen auf die Mieter/innen „abschätzbar“ und „soweit wie möglich gedämpft“ werden. Ein Sanierungsvermerk in den Grundbüchern verbietet den Verkauf der Grundstücke über ihrem Verkehrswert, was Spekulation verhindern soll. Und steigen durch die Sanierungsmaßnahmen die Grundstückswerte, wird nach der Aufhebung des Sanierungsgebiets von den Eigentümern ein „Ausgleichsbetrag“ erhoben, der zur Finanzierung weiterer städtebaulicher Vorhaben einzusetzen ist. Diese Abschöpfung ist jedoch nur in „umfassenden“ Sanierungsgebieten zulässig. Für Teile der neuen Sanierungsgebiete kommt ein „vereinfachtes Verfahren“ zur Anwendung, in dem das besondere Städtebaurecht nur eingeschränkt gilt. Eine Aufwertung ist ausdrückliches Ziel der Sanierungsgebiete. Gleichzeitig wird soziale Verträglichkeit propagiert. Wie das angesichts begrenzter politischer Gestaltungsmöglichkeiten und fehlender öffentlicher Mittel zu vereinbaren ist, bleibt mehr als fraglich. Solange ernsthafte Antworten auf die problematischen Entwicklungen des Wohnungsmarkts ausbleiben, ist zu befürchten, dass lediglich laufende Prozesse verschärft werden. Und zwar zum Nachteil der Mieter/innen.


Sanierungsgebiete im Baugesetzbuch

Rechtliche Grundlage von Sanierungsgebieten ist das „besondere Städtebaurecht“ des Baugesetzbuchs (BauGB). Es regelt städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, die „im öffentlichen Interesse“ zu stehen haben und „durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet wird“. Die Missstände können zweierlei Natur sein: Sie können darin bestehen, dass ein Gebiet seiner Bebauung oder Beschaffenheit nach den „allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden oder arbeitenden Menschen nicht entspricht“. Ein Missstand kann aber auch vorliegen, wenn ein „Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach seiner Lage und Funktion obliegen“. Der zweite Punkt zielt hauptsächlich auf die „wirtschaftliche Situation und Entwicklungsfähigkeit“ sowie auf die „infrastrukturelle Erschließung“. Hierauf fokussieren die neuen Sanierungsgebiete fast ausschließlich.

MieterEcho 356 / September 2012

Schlüsselbegriffe: Sanierungsgebiete, Förderprogramme, Infrastrukturprojekte, Gebietsaufwertung, Aufwertungsprojekte, energetische Sanierung, Karl-Marx-Straße, Städtebaurecht, Grundstückswerte