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MieterEcho 354 / Mai 2012

Arm, aber sexy genug fürs Stadtmarketing

Berliner Künstler/innen wehren sich gegen ihre Ausbeutung als billige Imagefaktoren

Jörn Hageloch

Berlins Künstler/innen wenden sich mit Manifesten und Initiativen gegen ihre prekäre Lebens-, Wohn- und Arbeitssituation und ihre Vereinnahmung für Imageprojekte. Das könnte den Raum für neue stadtpolitische Bündnisse öffnen. Zwei Beispiele in Tempelhof zeigen aber, dass manche Akteure vor allem Lobbyarbeit in eigener Sache machen.

Berlin: Weltstadt ohne Wirtschaftskraft. Um das zu ändern, setzt der Senat im internationalen Standortwettbewerb stark auf Künstler/innen, Kreative und Kulturschaffende. Sie gelten als Berlins Schatz für neue Unternehmen und Touristen und vermitteln das Bild einer jungen, innovativen sowie weltoffenen Metropole mit Freiräumen für neue Ideen. Die Marketingagentur „Berlin Partner GmbH“ bringt es auf den Punkt: „Die international wachsende Ausstrahlungskraft Berlins als ‚Creative City’ ist für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt zu einem der wichtigsten Standortvorteile überhaupt geworden.“

Abschöpfung für Profit

Doch das Image deckt sich immer weniger mit der Wirklichkeit. Wo früher Brachflächen kulturell bespielt wurden, stehen heute moderne Büro- und Wohnhäuser. Ehemals leer stehende Industrieruinen, die als Party- und Performance-Stätten genutzt wurden, wandelten sich in teure Lofts. Gerade in den „alternativen“ Stadtteilen steigen die Mieten für Wohn- und Arbeitsräume enorm. Was der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gern „Normalisierung“ nennt, lässt Kulturschaffende verzweifeln. Die Lebensbedingungen sind nicht mehr nur „prekär“, die Situation ist desolat.
Wie problematisch die materielle Lebenssituation vieler Künstler/innen ist, zeigte zuletzt der Ende 2011 vorgestellte Kultur- und Kreativwirtschaftsindex Berlin-Brandenburg: Fast die Hälfte der begehrten Imageproduzent/innen erzielt aus ihrer Arbeit kein oder nur ein geringes Einkommen. Knapp 30% können einen bescheidenen Lebensunterhalt davon finanzieren, und nur 20% geben an, dass ihr Einkommen für einen durchschnittlichen Lebensstandard reicht. Befragt nach ihren Zukunftsaussichten, erwarten 45% keine Verbesserung der Lage. Im gleichen Maß, wie die internationale Ausstrahlungskraft wächst, schrumpft die ökonomische Basis großer Teile des „Kultur- und Kreativwirtschaftssektors“.

Prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen

Dagegen formiert sich Widerstand. Neu sind dabei  die Öffnung zu anderen Themen wie der Stadtentwicklungspolitik und die Zurückweisung der Ausbeutung als billiger Imagefaktor. Die von Wowereit ausgelobte „Leis-tungsschau junger Kunst“, die im Sommer 2011 unter dem Namen „Based in Berlin“ stattfand, wurde zum Politikum (MieterEcho Nr. 347/ Mai 2011). Berliner Künstler/innen fühlten sich für Wahlkampf und Stadtmarketing instrumentalisiert und skandalisierten die fehlende kommunale Kulturförderung sowie die eigenen prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es entstand der offene Brief mit dem Titel „Haben und Brauchen“, der breite Unterstützung fand und unter anderem eine öffentliche Diskussion über die „Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums“ forderte.               
Aus der Initiative ist inzwischen eine  Aktionsgruppe geworden, die  vor einigen Monaten die erste Fassung ihres Manifests vorlegte. Darin geht es nicht nur um die Absicherung ihrer Produktionsbedingungen, sondern es wird auch „gegen die Enteignung des Gemeinwesens“ geschrieben und die Bewahrung der Heterogenität und Durchmischung der Stadt gefordert. Am Ende steht ein „Bekenntnis zur Berliner Tradition der kollektiven und egalitären Stadtgestaltung“. Auch über einen Arbeitsbegriff jenseits von neoliberaler Selbstausbeutung wird nachgedacht und die eklatant schlechte Bezahlung von „Kulturarbeitern“ angeprangert. „Es ist ein Erfolg, dass die Initiative mittlerweile einen stabilen Kern von 30 bis 40 Leuten hat“, so Ute Weiss Leder vom Berufsverband Bildender Künstler (BBK), der die Initiative unterstützt.

Diskussionen um Stadt- und Mietenpolitik

Wohin die Reise wirklich geht, ist allerdings offen. So bleibt unklar, wie die konkrete  Ausgestaltung der „Anbindung an aktuelle Diskussionen um Stadtentwicklung, Liegenschafts- und Mietenpolitik“ aussehen könnte. Welche Strategie soll gewählt werden, geht es um Lobbyarbeit in den Senatsverwaltungen, mit dem Ziel, sich die Rolle als Imagefaktor besser bezahlen zu lassen? Sucht man die Verbindung mit Anwohnerinitiativen und stadtpolitischen Protestgruppen, um sich gemeinsam gegen die drohende Verdrängung einzusetzen? Bleibt es bei Forderungen, die sich auf die unmittelbare Arbeit als Künstler/in beschränken? Diego Castro, als Künstler bei der Aktionsgruppe „Haben und Brauchen“ aktiv, betont die Heterogenität des Zusammenschlusses. Für ihn persönlich sei wichtig, dass „die Teilhabe nicht über Lobbyarbeit gehen darf. Die Frage ist immer: Will man tatsächlich eine gerechte Verteilung oder nur sein Stück vom Kuchen?“ Als Zeichen der übergreifenden Zusammenarbeit wurde auf einem kürzlich abgehaltenen Strategieworkshop beschlossen, mit stadtpolitischen Initiativen zu kooperieren und Aktionen zu unterstützen: „Überall, wo Stadt als Marke sichtbar werden soll, etwa mit Leuchtturmprojekten, bei denen Kunst als symbolisches Kapital anderen Zwecken dienen soll, überall da wird ‚Haben und Brauchen’ sichtbar werden.“       
Das kreative  Potenzial der Künstler/innen wird oft für profitorientierte Zwecke abgeschöpft. Die besondere Situation der freien Kulturszene scheint sie immer wieder anfällig zu machen, als Pionierin bei Gentrifizierungsprozessen zu fungieren. Es klingt verlockend, mit Kunst in einen Stadtteil hineinzuwirken und soziokulturelle Prozesse mitzugestalten. Die prekäre Arbeitssituation nötigt darüber hinaus, jedes Projekt anzunehmen. Doch genau aus dieser Situation erwächst Misstrauen. Zu oft gab es  Alleingänge und aus Kontakten mit politischen Schaltstellen wurde individuell Profit geschlagen.

Pionierprojekte auf dem Tempelhofer Feld

Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich derzeit auch an zwei Entwicklungen auf dem Tempelhofer Feld. Obwohl die Diskussionen über die zukünftige Nutzung des Areals und die Gestaltung des Parks noch im Gang sind, wird der Standort von der Stadt bereits als „Tempelhofer Freiheit“ vermarktet. Mit der bekannten Strategie: Standortentwicklung als Mischung aus Kunst- und Kreativprojekten und Investorensuche. Die „neuen Stadtquartiere“ sollen „urbanes Wohnen“ ermöglichen, vorgesehen ist auch ein „Businesspark“. Bis es so weit ist, werden „Pioniere“ gesucht, die „ein Labor für Zwischennutzungen“ entstehen lassen und das Land bestellen, bis die nachfolgenden Besitzer ihre Claims abgesteckt haben. Der Verein Berliner Kunsthalle e.V. hat unter dem Titel „Cultural Players@THF“ ein Pionierprojekt entwickelt und umgesetzt: Die Kreativbranche soll den Umbau des Tempelhofer Areals mit einer „Spielwiese“ begleiten. „Auf Battlegrounds und in Turnieren werden neue standortbezogene Spiele und Rituale angepfiffen. Es entwickeln sich regelmäßige Wettkämpfe, inszenierte Schaukämpfe und ein ritualisiertes Kräftemessen“, heißt es auf der Internetseite. Das Vorstandsmitglied des Berliner Kunsthalle e.V. Florian Schmidt hat den offenen Brief „Haben und Brauchen“ unterzeichnet und ist Initiator der stadtpolitischen Initiative „StadtNeuDenken“, die die Liegenschaftspoltik des Berliner Senats kritisiert (MieterEcho Nr. 353, März 2012). Es fragt sich, wie das zusammen geht. Der Berufsverband Bildender Künstler hat jüngst seine Mitglieder nach dem Raumbedarf für ein zukünftiges Atelierhaus auf dem Tempelhofer Areal befragt. Rund 750 Künstler haben sich gemeldet, so Ute Weiss Leder. Ohne Zweifel zeigt das den hohen Bedarf an angemessenen Arbeitsbedingungen. Doch angesichts der aktuellen Initiativen wie „Haben und Brauchen“ sind Lobbyarbeit und intransparente Verabredungen mit der Politik nicht hilfreich. Mit Alleingängen an diesem sensiblen stadtpolitischen Areal lassen sich keine Bündnisse schmieden und sie machen die eigene Position innerhalb der stadtpolitischen Diskussionen unglaubwürdig.



MieterEcho 354 / Mai 2012

Schlüsselbegriffe: Künstler/innen, Berlin, Kreative, Kulturschaffende, ‚Creative City’, Berlin Partner GmbH, „Haben und Brauchen“, Privatisierung, Kommerzialisierung, öffentlicher Raum, Tempelhofer Feld