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MieterEcho 349 /

Wie viel Wohnraum bietet Berlin für ALG-II-Beziehende?

Während immer mehr Wohnungen als Ferienwohnungen angeboten werden, sinkt für Hartz-IV-Haushalte zunehmend das Wohnungsangebot

Joachim Oellerich

 

Die Übernahme der Wohnkosten für Bedarfsgemeinschaften, die Arbeitslosengeld II beziehen, sind im § 22 Sozialgesetzbuch II (SGB II) geregelt. Dort heißt es: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“Festzulegen, was als angemessen gelten kann, ist die Aufgabe der Kommunen – innerhalb eines von der Rechtsprechung erstellten Rahmens. In Berlin hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales im Jahr 2009 die letzte Version der Ausführungsvorschrift Wohnen (AV-Wohnen) mit Richtwerten „für angemessene Brutto-Warmmieten“ erlassen:

HaushaltsgrößeMonatliche Bruttowarmmiete
1-Personen-Haushalt378 Euro
2-Personen-Haushalt444 Euro
3-Personen-Haushalt542 Euro
4-Personen-Haushalt619 Euro
5-Personen-Haushalt

705 Euro

Quelle: Ausführungsvorschrift Wohnen (AV Wohnen)

 

Bereits auf den ersten Blick werden Zweifel an der Realitätstüchtigkeit der durch die AV-Wohnen vorgegebene Zahlen wach. Der Eindruck findet seine Bestätigung, wenn der Wohnungsmarkt hinsichtlich der Menge der zu diesen Sätzen zur Verfügung stehenden Wohnungen unter Berücksichtigung der im Mietspiegel 2011 ausgewiesenen Bestandsmieten untersucht wird (Tabelle 2).

Tabelle2: Verfügbare Wohnungen zu Sätzen der AV-Wohnen gemäß Mietspiegel 2011

HaushaltsgrößeAnzahl BedarfsgemeinschaftenVerfügbare Wohnungen zu Sätzen der AV-WohnenVeränderungen zu 2007 in absolutVeränderungen zu 2007 in %
1-Personen-Haushalte 203.696224.939-49.063-21,8
2-Personen-Haushalte 56.106177.075-2.925-1,7
3-Personen-Haushalte 34.689275.320-14.680-5,9
4-Personen-Haushalte 37.942101.569-4.431-4,4

 

 

Um die rund 225.000 Wohnungen, deren aktuelle Mieten durch die Sätze der AV-Wohnen zurzeit der Erstellung des Mietspiegels abgedeckt waren, konkurrieren nicht nur die rund 203.000 Hartz-IV-Singlehaushalte, denn auf diese Wohnungen sind auch Bezieher/innen von Grundsicherung sowie Studierende und Geringverdienende angewiesen. Außerdem beschränkt sich die Nachfrage nicht nur auf Mieter/innen mit kleinem Haushaltsbudget, denn auch wer zahlungsfähiger ist, weiß die Vorteile einer preiswerten Wohnung zu schätzen. Der absurde Effekt ist, dass wegen der überproportionalen Nachfrage die Mieten gerade in diesen Segmenten, auf die alle wirtschaftlich Schwachen dringendst angewiesen sind, am stärksten steigen und folglich die bezahlbaren Bestände weiter abschmelzen. Wer jetzt durch Mieterhöhungen oder Kündigungen zum Umziehen gezwungen wird, hat kaum Chancen, eine Wohnung zu finden, denn die Angebotsmieten liegen um rund 20% über den der obigen Berechnung zugrundegelegten Bestandsmieten.Eine Anpassung der Sätze der AV-Wohnen an die Realität des Wohnungsmarkts ist zwar fällig, aber bei der Besetzung der Senatsverwaltung mit der neoliberalen Senatorin Carola Bluhm (Die Linke) nur dann zu erwarten, wenn die Betroffenen einen entsprechenden Druck entwickeln.

 

 

MieterEcho 349 / September 2011

 


MieterEcho 349 /

Schlüsselbegriffe: ALG II, Wohnraum, Hartz-IV-Haushalte, § 22 Sozialgesetzbuch II, Mietspiegel 2011, Ausführungsvorschrift Wohnen, Angebotsmieten, überproportionalen Nachfrage