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MieterEcho 347 / Mai 2011

Steigerung der Bestandsmieten in Berlin um durchschnittlich 8,34%

Unterschiedlich starke Preissteigerungen in den einzelnen Baualtersklassen des Mietspiegels zeigen soziale Polarisierung

Joachim Oellerich
 

Mit Durchschnitten hat es eine eigene Bewandtnis. Je nach Standpunkt sagen sie viel oder gar nichts aus. Wenn aber die Bestandsmieten innerhalb von zwei Jahren im Durchschnitt um über 8,34% gestiegen sind, sagt das alles über die Wohnungspolitik, die dafür die Verantwortung trägt. Für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sind steigende Mieten ein positives Zeichen, und diese Auffassung entspricht ihm als Mitglied und Interessenvertreter des Eigentümerverbands Haus & Grund voll und ganz. Und es entspricht auch seiner politischen Zielsetzung, bestimmte Innenstadtquartiere aufzuwerten. „Aber ist es denn so furchtbar, wenn sich die Leute die Mieten selbst leisten können?“, fragt Wowereit, der selbst von Steuergeldern lebt, mit zynisch diskriminierendem Blick auf andere, bescheidenere Transferleistungsempfänger, die er gerne aus den Altbaugebieten verbannt sehen möchte.

 

Vor zwei Jahren hatte das MieterEcho anlässlich der Mietspiegelverkündung von der Ruhe vor dem Sturm gesprochen. Der Sturm auf dem Wohnungsmarkt ist jetzt spürbar. Bleibt zu hoffen, dass er sich nicht nur negativ auswirkt und die Mieten hoch wirbelt, sondern genügend Kraft hat, die sich fest an ihren Stuhl klammernde Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer wegzublasen.

Die im Mietspiegel vorgenommene Unterteilung der Wohnungen in Baualtersklassen, Wohnungsgröße und Lage gestattet keinen genauen Blick auf konkrete Stadträume. Dennoch lässt sich neben der allgemeinen Steigerung der Mietpreise durch die Betrachtung der Baualtersklassen im Einzelnen wie bereits in früheren Mietspiegeln eine deutliche Tendenz der sozialen Polarisierung ablesen.
 

Baualtersklasse bis 1918 – Halbstandard

Die Altbauwohnungen dieser Gruppe sind nicht mit beiden Elementen des üblichen Standards, Bad und Sammelheizung, ausgestattet. 115.000 Wohnungen gehörten noch vor zwei Jahren zu diesem Segment. Inzwischen sind sie auf 111.800 zusammengeschmolzen. Da wegen der allgemein sinkenden Kaufkraft der Bedarf an preiswerten Wohnungen unablässig steigt, erhöht sich gerade in diesem Segment die Nachfrage und bewirkt eine überdurchschnittliche Steigerung der ehemals niedrigen Mieten – um 17,5%. Das ist die bei Weitem höchste Steigerung unter allen Segmenten. Bruchbuden zu vermieten beginnt sich wieder zu lohnen.

Die Berliner MieterGemeinschaft hält diese Wohnungen nicht geeignet für ALG-II-Beziehende. In weiten Teilen der Stadt sind Investoren auf der Suche nach Objekten, die sich mit geringem Aufwand modernisieren lassen, und in diesen Beständen lassen sich Miet- und Wertsteigerungen vergleichsweise problemlos realisieren. Hinzu kommt, dass diese Wohnungen zum großen Teil in Gebieten liegen, die von neuen Mittelschichten nachgefragt werden und entsprechendem Aufwertungsdruck ausgesetzt sind.
 

Baualtersklasse bis 1918

Die Mietsteigerungen von ca. 10% in diesem Segment zeigen, wie begehrt Altbauwohnungen sind. In der Stadt kursiert zurzeit das Modewort Gentrifizierung. Es wird von der Immobilienbranche als effektives Verkaufsargument eingesetzt für Altbauquartiere, die wirtschaftlich aufgewertet werden. Den Erfolg dieser Strategie spiegeln die steigenden Mietpreise in dieser Baualtersklasse wieder.

Die Investoren reißen sich inzwischen um die Altbauten, modernisieren sie, versuchen sie als Eigentumswohnungen zu verkaufen und reichen, wenn ihnen das nicht vollständig gelingt, die teilverwerteten Objekte an den nächsten Investor weiter. Kein Wunder, dass die Mieten steigen. Die Nachfrage in diesem Bereich wird von den wirtschaftlich erfolgreichen neuen Mittelschichten gespeist.
 

Baualtersklasse 1919-49 – Halbstandard

In dieser Baualtersklasse befinden sich, glaubt man dem Mietspiegel, die preiswertesten Wohnungen. Wahrscheinlich gerade deswegen weisen sie nach den halbsanierten Altbauten die höchsten Steigerungen auf. Immer mehr Berliner/innen sind auf günstige Wohnungen angewiesen, und entsprechend hoch ist die Nachfrage, die auch in diesem Segment die Preise in die Höhe treibt.
 

Baualtersklasse 1919-49 – Vollstandard

Die Mieten der Zwischenkriegsbauten sind durchschnittlich um 7,53% gestiegen. Auch diese Wohnungen gehören zu denen, in die weniger gut verdienende Haushalte bisher noch immer ausweichen konnten. Doch wie lange noch?

Die Genossenschaften sind in diesem Bereich stark vertreten, agieren aber schon längst wie normale Marktteilnehmer und nutzen die sich bietenden Spielräume, um die Mieten zu erhöhen. Ehemals kommunale Wohnungsbauunternehmen wie die GSW und die Gehag sind verkauft worden, und die Folgen zeigen sich ebenfalls in steigenden Mieten. Die ebenfalls in diesem Segment stark vertretenen noch-kommunalen Wohnungsunternehmen sind gehalten, Zahlen zu schreiben, wie sie schwärzer nicht sein können. Erst kürzlich musste die Partei Die Linke auf einer ihrer Wahlkampfveranstaltungen erleben, wie der SPD-Genosse und Vorstandsvorsitzende der Degewo vom Podium herab verkündete, dieser rot-rote Senat habe die Anweisungen erteilt, betriebswirtschaftlich so effizient wie möglich zu agieren, wozu steigende Mieten gehörten, und alles, was man sich als soziale Wohnungspolitik zusammenfasele, sei Augenwischerei.
 

Baualtersklasse 1950-55

Im Segment des guten alten Sozialen Wohnungsbaus der ersten Stunde befinden sich noch knapp 100.000 Wohnungen. Obgleich diese Bestände zum Teil bereits bei ihrer Errichtung mit Bad, Zentralheizung etc. ausgestattet waren und mietpreistreibende Modernisierungen damit nur teilweise greifen oder nicht stattgefunden haben, beträgt die Mietsteigerung 6,3%. Kräftige Preisschübe bei Neuvermietungen dürften die Ursache gewesen sein.

Die Immobilienindustrie und ihre befreundeten Institutionen plädieren schon seit längerer Zeit dafür, diese Wohnungen „vom Markt zu nehmen“, was die diplomatische Bezeichnung für Abriss ist. Wie gut sie sich aber auf dem enger werdenden Markt zu behaupten wissen, beweist die Mietsteigerungsrate.
 

Baualtersklasse 1956-64

Zum Teil unterscheidet sich die Bauweise dieser Baualtersklasse nur wenig von der Baualtersklasse 1950-55, aber Qualität und Größe der Wohnungen nehmen zu. Entsprechend höher ist die Nachfrage nach Wohnungen in diesem Segment, und folglich steigt die Miete mit 8,3% stärker als bei den frühen Sozialwohnungen.
 

Baualtersklasse 1965-72

Von den knapp 110.000 Wohnungen dieser Baualtersklasse gehört die Hälfte zu den Großsiedlungen im Märkischen Viertel in Reinickendorf, der Gropiusstadt in Neukölln und dem Falkenhagener Feld in Spandau. Dieser klassisch fordistische Wohnungsbau ist nicht nur in die Jahre gekommen, sondern er befindet sich schon seit Langem in einer Krise. Die mittelständische Familie, bestehend aus dem normal verdienenden männlichen Familienoberhaupt, der hinzu verdienenden Ehefrau und ein oder zwei Kindern, für die dieser Wohnungsbau einst konzipiert wurde, bildet längst nicht mehr das Grundmuster der städtischen Gesellschaft. Single-Haushalte und Alleinerziehende haben sie ersetzt, die Arbeitswelt hat sich tiefgreifend verändert und andere Stadträume bieten sich als geeignetere Umgebungen an. Die Erwartung, dass infolgedessen in diesen Gebieten Wohnungen weniger nachgefragt und preiswerter werden, wurde enttäuscht. Vor zwei Jahren wies der Mietspiegel zwar tatsächlich eine Mietpreissenkung aus, doch nun steigen hier die Mieten um über 6,5%.
 

Baualtersklasse 1973-83 West

Das ehemals hochpreisige und begehrte Segment verliert an Attraktivität. Zwar steigen auch hier die Mieten um fast 4%, doch das ist unterdurchschnittlich. Kein Grund, um Hoffnung für den gesamten Wohnungsmarkt zu schöpfen, denn insgesamt handelt es sich nur um knapp 20.000 Wohnungen.
 

Baualtersklasse 1984-1990 West

Für die 13.000 Wohnungen dieser Baualtersklasse haben die Rechercheure des Mietspiegels einen Preisrückgang von 0,66% ermittelt. Das ist schön. In diesen Jahren wurden auch die 28.000 Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus gebaut, bei denen die Anschlussförderung entfallen ist und die jetzt außerhalb des Vergleichsmietensystems im Kostenmietrecht mit den für Vermieter paradiesischen Steigerungsmöglichkeiten angesiedelt sind. Sie werden vom Mietspiegel nicht erfasst. Daher ist diese Baualtersklasse eine seltsame Insel im Fluss der Mietsteigerungen.
 

Baualtersklasse 1973-90 Ost

Bei diesen Beständen handelt es sich zum größten Teil um Plattenbauten in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen. Nach der Wende wurden von den Wohnungsbaugesellschaften große Anstrengungen unternommen, um durch Modernisierungen schnelle Mieterhöhungen realisieren zu können. Das Potenzial scheint ausgeschöpft, denn die durchschnittliche Mietsteigerung hält sich mit 4,2% im unteren Bereich.
 

Baualtersklasse 1991-2009

Diese Baualtersklasse umfasst ca. 60.000 Wohnungen. Die meisten davon wurden vor dem Jahr 2000, d. h. vor dem Antritt der rot-roten Koalition, gebaut. Auch dieses Segment liegt mit 5,69% Mietsteigerung unter dem Durchschnitt. Allerdings finden sich hier auch die teuersten Wohnungen. Das Angebot entspricht zudem nicht mehr vollständig der Nachfrage, denn die zahlungskräftige Klientel zieht es eher in die Altbaugebiete.
 

Fazit

Der Mietspiegel erfasst nur rund zwei Drittel des gesamten Wohnungsbestands in Berlin. Neben Eigenheimen und Eigentumswohnungen bleiben auch die ca. 160.000 Sozialwohnungen unbeachtet. Gerade im Sozialen Wohnungsbau haben sich in den letzten Jahren sehr ungünstige Entwicklungen vollzogen. Die eingestellte Anschlussförderung führt zu exorbitanten Mietsteigerungen auf Kosten der Mieter/innen. Die noch geförderten Sozialwohnungen verzeichnen jährliche Preissteigerungen, die die Mieten teilweise über die Mietspiegelwerte geführt haben. Trotz der deutlichen Steigerungen beschreibt der Mietspiegel also – so eigenartig das klingt – noch den günstigeren Teil des Wohnungsmarkts. Vor allem aber gibt er nur die Mieten im Bestand wieder. Die Neuvermietungen lassen bereits jetzt erkennen, dass der nächste Mietspiegel noch drastischer ausfallen wird.

Die Entwicklung wird sich fortsetzen, was die Polarisierung, die weitere Verkleinerung der Haushalte und die sinkende Kaufkraft in den unteren Schichten der Bevölkerung betrifft. Eine Lösung wird bei den politisch zuständigen Kräften noch nicht einmal angedacht. Vom Standpunkt der Wohnungspolitik sind die Wahlen im Herbst ein Hohn.

 
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MieterEcho 347 / Mai 2011

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