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MieterEcho 351 / Dezember 2011

„Nicht mehr nur Assi“

Die neuen Betreiber der Arminiusmarkthalle in Moabit begreifen sich als Vorreiter der Umstrukturierung des „Problemkiezes“

Rainer Balcerowiak

Vierzehn städtische Markthallen wurden zwischen 1886 und 1892 in Berlin gebaut. Sie dienten der Versorgung der Bevölkerung in den immer größer werdenden Arbeiterquartieren mit Waren des täglichen Bedarfs und boten landwirtschaftlichen Erzeugern aus dem Berliner Umland im Vergleich zu Wochenmärkten komfortable Verkaufsmöglichkeiten. Die meisten Hallen wurden im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt oder völlig zerstört. In Westberlin besorgte der Siegeszug der Kaufhäuser und der Discounter den Rest und nach den 80er Jahren dümpelten die Hallen mehr schlecht als recht vor sich hin.

 

Nur noch vier der denkmalgeschützten Backsteinbauten sind – weitgehend im Originalzustand – erhalten. Eine von ihnen ist die Arminiushalle im westlichen Moabit. Lange wollte die Berliner Großmarkt GmbH diesen teuren Klotz am Bein loswerden. Trotz umfassender Restaurierung der Fassaden und des Innenbereichs verließen immer mehr angestammte Händler die Halle und wurden – wenn überhaupt – durch Trödelstände oder Anbieter von billigen Importwaren ersetzt. Im Rahmen einer Ausschreibung erhielt 2009 die bundesweit im Bereich der Immobilienaufwertung tätige Zunft AG einen Erbbaurechtvertrag über 50 Jahre. Nach einer kurzen Umbauphase wurde die Halle im November 2010 wiedereröffnet.

 

Lifestyle statt Obst und Gemüse

Im „Problemkiez“ zwischen Strom- und Wald-, Turm- und Birkenstraße herrscht mittlerweile Goldgräberstimmung. Ob Modernisierungsquote oder prozentuale Mietsteigerungen bei Neuvermietungen – längst gehört der westliche Teil Moabits zu den Spitzenreitern in Berlin. Zudem entstehen immer mehr Hostels, Eigentums- und Ferienwohnungen. Die (noch) ruhige und verkehrsgünstige Lage, sowie der relativ gut erhaltene und teilweise bereits in den 80er Jahren modernisierte Altbaubestand prädestinieren das Gebiet für die nächste große Gentrifizierungsrunde.Ganz offen setzt die Zunft AG auf den bereits in vollem Gang befindlichen Umstrukturierungsprozess und sieht sich selbst dabei als Pionier. Ziel des Unternehmens sei, „dass sich das Bürgertum die Halle und letztlich den Kiez zurückerobert“, erläuterte ein Mitarbeiter auf Nachfrage. Den hinteren Teil der Markthalle belegt seit der Wiedereröffnung im November 2010 ein „Manufakturenkaufhaus“, in dem allerlei Lifestyleschnickschnack vom „Gästehandtuch ‚Lebenskleidung Ayurvastra’“ bis hin zu teuren Designermöbeln angeboten wird. Mittendrin gibt es einen „Bio-Burger-Stand“, der sich nicht entblödet, „Wettessen“ zu veranstalten. Doch ausgerechnet beim Kernelement einer jeden Markthalle – Obst und Gemüse – ist das  Angebot ausgesprochen dürftig. Immerhin sind im vorderen Teil der Halle einige Anbieter geblieben, die ohne den Neustart sicherlich aus Moabit verschwunden wären und durchaus so etwas wie Altberliner Markthallencharme versprühen. Schrullig-liebenswerte Käse-, Wurst- und Brothändler finden sich dort und auch die „Geflügel-Oase“ mit ihrem vielfältigen Wild- und Geflügelangebot sowie preiswertem Mittagstisch und schließlich der legendäre „Hallen-Imbiss“, an dem einige Folgen der Serie „Drei Damen vom Grill“ mit Harald Juhnke und Brigitte Grothum gedreht wurden. Dort verbringen noch immer Müllmänner und Rentner aus dem Kiez gemeinsam ihr Mittagspäuschen.

 

„Junge Kreative“ bevorzugt

Ob das Konzept aufgeht, ist noch nicht abzusehen. Die Zunft AG betont ihre langfristige Orientierung. Ralph Martin, der für den Weinhandel im „Manufakturenkaufhaus“ zuständig ist, schwärmt auf der Website www.hilker-berlin.de von den „jungen Kreativen“, die die Halle anzieht. Wie beispielsweise die Modedesignerin Cora Lynn Weinrich, die an ihrer ersten eigenen Kollektion arbeitet und ihre Miete zum Teil am Tresen der Kaffeebar erarbeitet. „Nichts gegen Multikulti, aber wenn nur Migranten die Straße beherrschen, kommen keine anderen“, wird die Designerin auf der Website zitiert. In der Tat ist die Zunfthalle eine weitgehend migranten- und Hartz-IV-freie Zone. „Moabit ist längst nicht mehr nur Assi“, pflichtet Martin ihr bei. Bei soviel Pioniergeist darf auch das Moabiter Quartiersmanagement nicht abseits stehen. „Die Restrukturierung der Halle ist eine Chance, Alt-Berlin und Neues zu verbinden“ und die Halle „zu einem kommunikativen und lebendigen Kieztreffpunkt für alle − ob Rentner oder Yuppie, Arm oder Reich“ zu machen, heißt es in einer Erklärung. Doch arme Menschen sieht man eher vor und neben der Halle – beim Durchwühlen von Mülleimern. „Assi“ eben, wie Martin es formulierte.

 

 


MieterEcho 351 / Dezember 2011

Schlüsselbegriffe: Arminiusmarkthalle, Moabit, Umstrukturierung, Zunft AG, Immobilienaufwertung, „Problemkiez“, Mietsteigerungen, Moabiter Quartiersmanagement, Junge Kreative