Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 351 / Dezember 2011

Mietenwahnsinn stoppen!

In Hamburg drängt ein breites Bündnis die Politik zum Handeln

Tina Fritsche

Kaum sechs Tage im Amt, setzte sich Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) schon in die Nesseln: Nein, in Hamburg gebe es keine Wohnungsnot, tönte sie im März 2011. In den angesagten Vierteln sei die Nachfrage nun mal größer als das Angebot, aber wer eine Wohnung suche, finde auch eine. Heute, ein halbes Jahr später, hat sich der Wind gedreht: Ja, beteuern nun die allein regierenden Sozialdemokraten in Hamburg, man wolle mehr Wohnungen bauen, Mieter/innen besser schützen, Grundeigentümer mehr in die Pflicht nehmen und städtische Flächen strategischer verwalten. Dass sich allmählich etwas im Rathaus tut, liegt in erster Linie am Druck von außen.

 

Der Musiker und Aktivist Ted Gaier schlägt zusammen mit Mitstreiter/innen aus dem Netzwerk „Recht auf Stadt” am Reformationstag die Forderungen von „SOS St.Pauli” an der Tür der Hamburger Finanzbehörde an.  Foto:Tina Fritsche


Lange hatten Senat und Bürgerschaftsfrak-tionen den in Hamburg schwelenden Ärger über den Mangel an bezahlbaren Wohnungen ignoriert. Rund 90.000 Wohnungen fehlen in Hamburg. Das errechnete das Immobilien-unternehmen Engel & Völkers im Februar 2011. Gleichzeitig sind 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche in der Hansestadt ungenutzt. Wie viele Wohnungen widerrechtlich zu profitableren Gewerberäumen umgenutzt werden oder gar spekulativ unvermietet bleiben, ist nicht bekannt. Die von Aktivist/innen des Netzwerks „Recht auf Stadt“ initiierte Website zu Leerständen verweist auf Hunderte ungenutzter Wohnungen und Häuser. Allein 120 leer stehende Wohnungen – sogar in den sogenannten Szenequartieren wie dem Schanzenviertel – meldete der Verein „Mieter helfen Mietern“ im Laufe eines Jahres bei den zuständigen bezirklichen Stellen. Das Hamburger Wohnraumschutzgesetz ist eindeutig: „Das Leerstehenlassen von Wohnraum (...) verstößt ab Überschreitung der 6-Monats-Frist gegen das Zweckentfremdungsverbot“, wenn der Vermieter nicht sachliche Gründe für den Leerstand nachweisen kann. Doch die Bezirke können möglichen Missständen zu selten nachgehen, denn es gibt zu wenige Mitarbeiter/innen für die nötigen Kontrollgänge.

Mietpreisschraube dreht sich

Nicht nur in der Innenstadt sind Wohnungen knapp. In nahezu allen Stadtteilen sehen sich Wohnungssuchende mit langen Warteschlangen in Treppenhäusern, demütigenden Selbstauskünften und auftrumpfenden Maklern konfrontiert. Quadratmeterpreise über 10 Euro nettokalt sind eher Standard als Ausnahme. Nicht nur ärmere Menschen werden aufgrund der hohen Mieten aus dem Stadtzentrum verdrängt. Auch mit festem Einkommen und herzeigbarer Reputation sind Odysseen programmiert. Im Oktober 2010 forderten mehrere tausend Menschen „Leerstand zu Wohnraum“, ein Jahr später protestierten mehr als 6.000 Menschen dafür, den rasanten Anstieg der Mieten zu stoppen. Dass die Hamburger Mieten zu den höchsten in Deutschland zählen, liegt nach Einschätzung des Bündnisses „Mietenwahnsinn stoppen“ auch am städtischen Wohnungsunternehmen Saga/GWG. Dieses besitzt knapp 130.000 Wohnungen, von denen derzeit noch rund 40% der Mietpreisbindung unterliegen. Jedes Jahr nutzt die Saga/GWG den Mietspiegel als Grundlage für Mieterhöhungen und schafft so wiederum die Basis für den nächsten, höheren Mietspiegel. Im vergangenen Jahr stiegen die Hamburger Mieten insgesamt um durchschnittlich 5,8%. Altbauten und Kleinwohnungen wurden um 10 bis 18% teurer. Innerhalb von zehn Jahren explodierten die Mieten in den Saga/GWG-Wohnungen sogar um 30%. Die Preistreiberei hat Methode: Jedes Jahr muss die Saga/GWG nicht nur für Instandhaltungen und Neubauten sorgen, sondern auch 100 Millionen Euro an die Stadt abführen. Das Geld fließt zum Teil in das Sonderinvestitionsvermögen, aus dem der Senat unter anderem das Prestigeprojekt Elbphilharmonie finanziert. Dieses Geld holt sich die Saga/GWG bei den Mieter/innen.

Netzwerk „Recht auf Stadt“

Aus dem Netzwerk „Recht auf Stadt“ hat sich binnen zwei Jahren ein großes Bündnis gegen steigende Mieten gegründet, das auf unterschiedliche Interventionen setzt und selbstbewusst Forderungen aufstellt. Zu den Forderungen gehören das Wohnen als Menschenrecht, die Legalisierung von Besetzungen leer stehender Immobilien und die Vergesellschaftung von Wohnraum, entsprechend Grundgesetz Artikel 15 („Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“). Angesichts der stärker und kreativer werdenden Proteste und der damit einhergehenden Medienöffentlichkeit haben Politik und Verwaltung kaum eine andere Wahl, als sich in Bewegung zu setzen.

 

Weitere Infos:

www.rechtaufstadt.net

www.leerstandsmelder.de

mietenwahnsinn.rechtaufstadt.net

www.esregnetkaviar.de/relaunch/sos-st-pauli.html


MieterEcho 351 / Dezember 2011

Schlüsselbegriffe: Hamburg, Bausenatorin Jutta Blankau, „Recht auf Stadt“ Netzwerk, Mieter helfen Mietern, Zweckentfremdungsverbot, Saga/GWG, Mieterhöhungen

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