Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 345 / Januar 2011

Gute Vorsätze

Kurz vor ihrem absehbaren Ende versucht die rot-rote Koalition, mit dem Thema „Rekommunalisierung“ zu punkten

Benedict Ugarte Chacón
 

Rechtzeitig zum anstehenden Wahlkampf und unter dem Druck eines Volksentscheids entwickelt die rot-rote Koalition eine Idee nach der anderen für potenzielle Rekommunalisierungen. Sie überlegt ernsthaft, die teilprivatisierten Wasserbetriebe wenigstens teilweise zurückzukaufen, und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) denkt laut über ein „Bürger-Stadtwerk“ nach, bei dem Bürgerbeteiligung und Preisstabilität gesichert werden sollen. Seit 2002 hätte die Koalition Zeit gehabt, solche Ideen zu entwickeln. Tatsächlich bügelte sie bislang alle Bestrebungen nach Rekommunalisierung mit dem Verweis auf den klammen Landeshaushalt ab.

 

Dass sich SPD und Die Linke überhaupt auf eine Diskussion zu möglichen Rekommunalisierungen einlassen, liegt nicht zuletzt am unerwartet hohen Druck, den die Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“ mit ihrem Volksbegehren zur Offenlegung der Geheimverträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe entfalten konnte. Anfangs hatten Vertreter der Regierungskoalition den Initiator/innen öffentlich vorgehalten, sie würden mit einem Thema hausieren gehen, das außer ihnen niemanden interessiere. Nachfolgend interessierte das Thema Die Linke dann doch immerhin so stark, dass die Berliner Parteispitze versuchte, ihre Basis vom Unterschreiben abzuhalten, und den Bezirksgeschäftsstellen verbot, Informationsmaterial zum Volksbegehren auszulegen. Nun, da der Wind sich gedreht hat, erklärt der Landesvorstand der Partei plötzlich, er betrachte „die Unterstützer des Volksbegehrens als Verbündete, deren Forderungen unsere Verhandlungsposition stärken“. Ähnlich heuchlerisch heißt es in einem Landesparteitagsbeschluss vom 27. November 2010 zur mittlerweile erfolgten Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge: „Der Landesparteitag hält fest, dass es ohne den Druck des Volksbegehrens des Wassertischs ‚Schluss mit Geheimverträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück’ und die von den Initiator/innen gesammelten über eine Viertelmillion Unterschriften und ohne die Vorveröffentlichung der Verträge im Internet nicht bereits jetzt zu dieser Offenlegung gekommen wäre. Wir freuen uns über diesen gemeinsamen Erfolg und beglückwünschen die Initiator/innen des Volksbegehrens.“ Nun möge, so heißt es in diesem Beschluss weiter, die Fraktion mit dem Wassertisch „offene Gespräche“ darüber führen, wie sich „ein Volksentscheid angesichts der De-facto-Erfüllung des Ziels des Volksbegehrens vermeiden lässt“. Dumm nur, dass bei der Partei Die Linke weder die Fraktion noch die Mitglieder des Senats ihre eigene Parteibasis ernst nehmen. Schon einen Tag vor den „offenen Gesprächen“ mit der Bürgerinitiative hatte der Senat via Landespressedienst seine Argumentation für den am 13. Februar 2011 anstehenden Volksentscheid öffentlich gemacht. Damit waren jegliche Verhandlungen vorweggenommen und die Bürgerinitiative düpiert.
 

Rekommunalisierung nicht als „Selbstzweck“

Auch die SPD, die an allen Privatisierungen der letzten 20 Jahre beteiligt war, gibt sich unter dem Druck des erfolgreichen Volksbegehrens plötzlich rekommunalisierungsfreundlich. So betonte ihr Vorsitzender Michael Müller auf dem Landesparteitag am 13. November 2010, dass der Wassertisch einen „Riesenerfolg“ für sich verbuchen könne. Und es sei überdies ein Erfolg der rot-roten Regierung, dass durch das im vergangenen Sommer verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz die Verträge zur Teilprivatisierung vom Senat öffentlich zugänglich gemacht worden seien. Bei dieser Darstellung vergaß Müller allerdings zu erwähnen, dass besagtes Informationsfreiheitsgesetz nur durch den Druck vom Wassertisch und von Bündnis 90/Die Grünen zustande gekommen ist und Rot-Rot allein sicher nicht auf diese Idee gekommen wäre (siehe MieterEcho Nr. 341/Juli 2010). Und trotz allem Reden über Rekommunalisierung machte Müller klar, dass bei der SPD kein wirklicher „Mentalitätswechsel“ stattgefunden hat. Rekommunalisierung sei „kein Selbstzweck“, so Müller, denn: „Alles muss sich rechnen.“
 

Investorenfreundlicher Rückkauf

Die Regierungskoalition weicht also neuerdings zumindest verbal von ihrer Politik der letzten Jahre ab. Immerhin geht die bislang größte Privatisierung von landeseigenen Wohnungen, nämlich die der GSW, auf das Konto von Rot-Rot. Ebenso wurde von der rot-roten Koalition mit dem Sparkassengesetz von 2005 ein bundesweiter Präzedenzfall geschaffen, auf den sich klamme Kommunen, die ihre Sparkasse privatisieren wollen, seitdem berufen können. Nun deutet sich nach acht Jahren Stillstand zaghaft an, dass der Wirtschaftssenator seine Meinung ändern könnte. So gab Harald Wolf Mitte Dezember bekannt, dass möglicherweise Anfang 2011 Gespräche mit RWE stattfinden, bei denen der Rückkauf der Anteile von RWE an den Berliner Wasserbetrieben durch das Land Berlin ein Thema sein könnte. Die Anteile von RWE liegen bei 24,95%. Veolia, der andere private „Partner“, hält ebenfalls 24,95%. Allerdings hat Veolia bislang noch keine Bereitschaft signalisiert, sich von dem einträglichen Investment in Berlin zu trennen. Mit dem Rückkauf der RWE-Anteile wäre neben der Veröffentlichung der skandalösen Geheimverträge ein weiterer kleiner Schritt getan. Aber noch ist völlig unklar, ob das Geschäft zustande kommt und zu welchem Preis. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Art der Rekommunalisierung zumindest für die Privaten rechnet. Unwahrscheinlich ist hingegen, dass nach einem Rückkauf in absehbarer Zeit die Wasserpreise sinken. Denn wie soll der Kauf finanziert werden, wenn nicht über die Zahlungen der Verbraucher? Der Wassertisch kritisiert bei diesem Vorgehen des Senators zu Recht, dass es hier nicht um eine bürgernahe, sondern um eine investorenfreundliche Rekommunalisierung geht.
 

„Bürger-Stadtwerk“ als Absichtserklärung

Auch an anderer Stelle gibt sich der Wirtschaftssenator plötzlich als Macher. Er will ein „Bürger-Stadtwerk“ initiieren, das als „integriertes kommunales Energieunternehmen“ fungieren soll. Allerdings existiert das „Bürger-Stadtwerk“ nur als Absichtserklärung. Anfang November 2010 unterzeichneten die landeseigene BSR, die Berliner Wasserbetriebe und die Berliner Energieagentur (eine Public-Private-Partnership aus Vattenfall, Gasag, KfW-Bankengruppe und Land Berlin) unter Schirmherrschaft von Wolf eine Vereinbarung zur Gründung einer „Entwicklungs-Plattform Berlin Energie“. Nach dieser Vereinbarung soll ein Energieunternehmen geschaffen werden, welches „die Grundidee der alten Stadtwerke mit einem auf Klimaschutz ausgerichteten Dienstleistungsgedanken markt- und zukunftsorientiert in Kooperation mit interessierten Partnern neu interpretiert und unter Ausschöpfung alternativer Energie-Eigenerzeugungsmöglichkeiten realisiert“. Zudem soll an der „Erlangung einer Verfügung des Landes Berlin über die Energienetze“ gearbeitet werden. Was sich in solcherlei Erklärungen etwas verquast liest, ist ein einfacher Gedanke: Die an der Entwicklungs-Plattform beteiligten Unternehmen produzieren über eigene Anlagen ohnehin schon Strom und Wärme. Laut Wolf können sie mit den vorhandenen Kapazitäten 300.000 Haushalte mit Strom und 50.000 Haushalte mit Wärme versorgen. Nun gehe es darum, diese Kapazitäten zu bündeln und auszubauen. Im Vergleich zum Anbieter Vattenfall, der nach eigenen Angaben 1,6 Millionen Haushalte mit Strom und 620.000 Haushalte mit Wärme versorgt, wären die neu zu schaffenden Stadtwerke eine recht überschaubare Größe. Weitere Unternehmen, die den Wunsch verspürten, sich an dieser „Partnerschaft“ zu beteiligen, seien zur Mitarbeit eingeladen, so die Initiatoren. Überdies soll das angestrebte Unternehmen offen sein für „Bürgerbeteiligung“. Damit meint Wolf jedoch keine demokratische Einflussnahme, sondern die finanzielle Beteiligung der Bürger/innen über „Genossenschaften oder projektbezogene Bürgerinvestitionen“. Ob aus dieser Absichtserklärung tatsächlich einmal ein kommunaler Energieanbieter wird, steht zurzeit noch in den Sternen. Selbst der Wolf ansonsten treu ergebene Parteivorsitzende Klaus Lederer gab sich auf dem letzten Parteitag eher pessimistisch und sprach von einem langen und harten Kampf, der bevor stehe – insbesondere weil mit Berlin Energie zwar die Verfügung des Landes Berlin über die Energienetze angestrebt wird, die Finanzierung dieses Vorhabens aber noch nicht gesichert scheint und von verschiedener Seite skeptisch beurteilt wird. Für Wolf hingegen ist die Finanzierung „nicht das eigentliche Problem“. Im Berliner Tagesspiegel äußerte er eine Idee, auf die die Koalition bezüglich eines möglichen Rückkaufs von Anteilen an den Berliner Wasserbetrieben auch schon vor Jahren hätte kommen können: Finanziert werden könnte der Netzerwerb mit Kommunalkrediten. „Die erzielbaren Renditen liegen deutlich über dem, was an Zinsen aus Kommunalkrediten bedient werden muss.“ Das heißt aber auch, dass der Kaufpreis über die Verbraucher finanziert wird. Bei allen hehren Absichtserklärungen bleibt das Gefühl, dass sie hauptsächlich dem anstehenden Wahlkampf geschuldet sind. Eine ernsthafte Rekommunalisierungspolitik hätte im Jahr 2002 in Angriff genommen werden müssen. Dazu sah sich Rot-Rot nicht in der Lage und verwies allzu oft auf „Sachzwänge“ oder „Restriktionen des Handlungsrahmens“. Was Rekommunalisierung angeht, so waren die bisherigen acht rot-roten Jahre acht verlorene Jahre.
 

MieterEcho Nr. 345 / Januar 2011


MieterEcho 345 / Januar 2011

Schlüsselbegriffe: Rot-roter Senat, Privatisierung, Rekommunalisierung, Volksentscheid, Bürger-Stadtwerk, Bürgerbeteiligung, Berliner Wasserbetriebe, Berliner Wassertisch, Harald Wolf, RWE, Veolia, Geheimverträge