Neue Gewinner im Sozialen Wohnungsbau
Drastische Mieterhöhungen während der Anschlussförderung
Jutta Blume
Der Soziale Wohnungsbau bietet Investoren Aussicht auf Gewinne, etwa durch den Erwerb von Wohnungen aus Insolvenzmassen oder durch kräftige Mietsteigerungen. Mieter/innen sollen zahlen oder wegziehen, wie nun in der Pohlstraße im Tiergarten.
Vorerst wollen die Mieter/innen der Pohlstraße 43 bis 53 die Mieterhöhungen nicht akzeptieren, die sie im November in ihren Briefkästen fanden. Jedenfalls die Mieter/innen, die geblieben sind. Die neue Eigentümerin der Sozialwohnungen namens Erste D.V.I. GmbH verlangte teilweise über 45% höhere Mieten, was bis zu 400 Euro mehr für eine Wohnung ausmacht. Erst im Juli 2010 hatte die Erste D.V.I. die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984 gebauten Wohnhäuser erworben. Etwa 20 der 70 Mietparteien machten von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, bei dem die Mieterhöhung nicht wirksam wird, sie aber innerhalb von acht Wochen ausziehen müssen. Vor allem die ärmeren Mieter/innen zögen weg, berichten ihre Nachbarn, und zwar aus Angst davor, dass das Jobcenter die Miete nicht mehr übernimmt und sich nicht auf Rechtsstreitigkeiten mit dem Vermieter einlässt.
Mieter/innen erwarten Klage
Die verbliebenen Mieter/innen haben auf die Mieterhöhung nicht reagiert und wollen sich notfalls verklagen lassen. „Das Mieterhöhungsschreiben vom November enthält formale Fehler“, erklärt eine Mieterin auf einer Mieterversammlung im Februar. Von den Fehlern abgesehen hätten die Vermieter in der Pohlstraße durchaus das Recht zu drastischen Mieterhöhungen, da die vorherige Eigentümerin, die Aquis Verwaltungsgesellschaft, ihren Spielraum zur Mieterhöhung nicht ausgeschöpft hatte. Anders als auf dem freien Wohnungsmarkt gilt im preisgebundenen Sozialen Wohnungsbau die Kappungsgrenze von 20% innerhalb von drei Jahren nicht. Und der Vermieter darf sogar die versäumten Mieterhöhungen der vergangenen Jahre mit einem Mal aufschlagen. 6,28 Euro/qm forderten die Eigentümer zunächst, nach der Prüfung durch die Investitionsbank Berlin wurde dies nun auf 6,16 Euro/qm korrigiert. Von diesem Betrag ist nach Auskunft der Rechtsanwältin Petra Hannemann allerdings die Mietfreistellung abzuziehen, die der vorherige Eigentümer mit den Mieter/innen im Gegenzug für von ihnen vorgenommene Instandsetzungsarbeiten vereinbart hat. „Darüber wird man sich nun vor Gericht streiten müssen“, so die auch als Rechtsberaterin für die Berliner MieterGemeinschaft tätige Hannemann.
Entmietung befürchtet
Die Mieter/innen vermuten, dass hinter den plötzlichen Mieterhöhungen die Absicht der neuen Eigentümer steht, die jetzigen Bewohner/innen zu vertreiben, um die entmieteten Wohnungen zu einem späteren Zeitpunkt einzeln verkaufen zu können. Darauf deutet hin, dass die Hausverwaltung Walther, die für die Objekte zuständig ist, Mietinteressent/innen bislang vertröstet. Auch andere Maßnahmen scheinen nicht gerade darauf abzuzielen, neue Mieter/innen zu gewinnen oder die alten zu halten. So berichtet ein Mieter von einem wenig professionellen grauen Anstrich des Treppenhauses und der monatelangen Lagerung von Bauschutt im Hof. Für Kleinreparaturen, die in der Wohnung anfallen, sollen die Mieter/innen auf einmal selbst aufkommen, obwohl dies nicht vertraglich vereinbart ist. Einem Mieter, der sich kritisch gegenüber der Presse äußerte, wurde unter dem Vorwand eines Zahlungsverzugs von wenigen Tagen Anfang Januar gekündigt.
Spekulationsobjekt Sozialer Wohnungsbau
Die Erste D.V.I. ist Teil der Unternehmensgruppe von Lior Mamrud und Josif Smuskovics, die mit rund 30 GmbHs im Berliner Immobiliengeschäft tätig sind. Das Geschäftsmodell der beiden scheint unter anderem auf Wertsteigerungen im Sozialen Wohnungsbau durch Entmietung oder Mietsteigerung abzuzielen, im Fall der Pohlstraße durch den Erwerb aus der Insolvenz und die Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens bei den Mieterhöhungen, auf die die Aquis Verwaltungsgesellschaft verzichtet hatte. Die Unternehmensgruppe hat bereits in den vergangenen Jahren mehrfach Sozialwohnungen aufgekauft, etwa in der Pankstraße, Fennstraße, Beusselstraße und Zossener Straße.
In Schöneberg protestiert die Bürgerinitiative Eylauer Straße gegen die Pläne von Mamrud und Smuskovics, zwischen Monumentenstraße und Dudenstraße einen 280 Meter langen Neubauriegel mit hochpreisigen Wohnungen hochzuziehen. Zurzeit wird das Grundstück trotz Einschreiten des Umweltamts als illegale Mülldeponie für Bauschutt genutzt (siehe folgender Beitrag).
MieterEcho Nr. 346 vom März 2011
Schlüsselbegriffe: Sozialer Wohnungsbau, Mieterhöhungen, Anschlussförderung, Pohlstraße, Tiergarten, Erste D.V.I. GmbH, Investitionsbank Berlin, Hausverwaltung Walther, Lior Mamrud, Josif Smuskovics