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Der Blick nach Polen zeigt wie durch ein Vergrößerungsglas, was Liberalisierung anrichtet. Wohnungspolitisch ist Polen durch die Systemtransformation mit einem Schlag in das 19. Jahrhundert befördert worden.

Über die Folgen der Überführung des öffentlichen Wohnungswesens in den freien Markt – in Berlin vollkommen unspektakulär von den Parteien der regierenden Koalition betrieben – berichtet das MieterEcho in fast jeder Ausgabe.

Der Blick nach Polen zeigt wie durch ein Vergrößerungsglas, was Liberalisierung anrichtet. In unserer Stadt zehrt die Politik noch von der Substanz. Seit 1920 gibt es einen staatlich geförderten Wohnungsbau, und zusammen mit den Bauleistungen der ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen wurde ein Angebot in einem Umfang geschaffen, der bislang einen gewissen Schutz bietet vor Auswirkungen, wie sie in Polen und anderen Transformationsländern Alltag geworden sind.

Die Polarisierung der Wohnverhältnisse zeigt sich in unserem Nachbarland besonders deutlich am Phänomen der eingezäunten Nachbarschaften, in die sich die Besserverdienenden zurückziehen, und an den Gegenden mit slumähnlichen Verhältnissen für die Geringverdienenden. Dazwischen liegt ein weiter Bereich einer Wohnungsversorgung für die Durchschnittsbevölkerung mit ständig steigenden Mieten, unsicherem Mieterschutz und hohen Kosten für die als Alternative angepriesenen Eigentumswohnungen.

Noch haben wir keine „Gated Communities“ und keine Slums in unserer Stadt. Doch auch hier ist bereits zu spüren, was es bedeutet, eine fast 100-jährige Tradition sozialer Wohnungspolitik abrupt durch den Verkauf der öffentlichen Wohnungsbestände und der übergangslosen Einstellung der Wohnungsbauförderung zu beenden.

Wohnungspolitisch befinden wir uns in Berlin auf dem Rückzug in das 19. Jahrhundert. Polen ist durch die Systemtransformation mit einem Schlag dorthin befördert worden. Der Unterschied liegt in der Geschwindigkeit der Reise, nicht in ihrem Ziel. Dem ist Berlin in den letzten beiden Legislaturperioden ein gutes Stück näher gekommen.
 

MieterEcho Nr. 343 / November 2010