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Neue Spendenkulturen?

Zurück im Mittelalter: Wenn Reichen wieder die Armenfürsorge obliegt

Elke Brüns
 

Bill Gates, der reichste Mann der Welt, setzt sein Vermögen bekanntlich unter anderem für karitative Zwecke ein. Im vergangenen Sommer startete er überdies einen weltweiten Spendenappell an andere Reiche. Diese Initiative wurde auch hierzulande begrüßt – allerdings nicht unbedingt von den vermögenden Adressaten, sondern von der Politik. Während sich deutsche Millionäre – teilweise mit guten Gründen – der Kampagne verweigerten, forderte die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, diesem „guten Vorbild“ zu folgen: „Wer spenden kann, soll das tun.“ Auch der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sah eine „gute Idee“ am Werke, und der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, witterte gar die Möglichkeit, „dass die Reichen sich nicht aus sozialer Verantwortung ausklinken“. Allerdings fügte er hinzu: „Eine solche Geste kann eine vernünftige Vermögensbesteuerung nicht ersetzen.“

 

Diese „neue Spendenkultur“ ist allerdings so neu nicht. Bereits im Juni 2009 entbrannte eine heftige Debatte um einen FAZ-Artikel des Philosophen Peter Sloterdijk, der eine „Revolution der gebenden Hand“ forderte, die den „steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus“ ersetzen solle: „Abschaffung der Zwangssteuern und ihre Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit.“ In der Zeit imaginierte Ulrich Greiner anstelle der „Kälte des Sozialstaats“ eine neue Almosenkultur: „Wenn man akzeptieren könnte, dass Ungleichheit zu den menschlichen Grundbedingungen zählt, gewänne die Tugend der Barmherzigkeit ihr altes Gewicht zurück.“ Womit man nicht in den USA, sondern direkt im Mittelalter angekommen wäre.
 

Alte Spendenkulturen

Zwar gibt es in den USA eine andere Charity-Kultur als hierzulande, aber auch Europa kennt eine lange Tradition des Almosengebens und Spendens. Diese hat ihre Wurzeln im Christentum: „Gott hätte alle Menschen reich erschaffen können, aber er wollte, dass es auf dieser Welt Arme gibt, damit die Reichen Gelegenheit erhalten, sich von ihren Sünden freizukaufen“, so die mittelalterliche Schrift Vita Eligii. Im Mittelalter wurde, wie Jean Starobinski in seiner Gaben-Theorie schreibt, der Arme „erfunden“, damit der Reiche durch wohltätige Gaben sein Gewissen erleichtern und im Rahmen der Jenseitsökonomie schon mal Guthabenzinsen auf seinem Konto anhäufen konnte. Die Reformation kritisierte den Caritas-Gedanken der katholischen Kirche und wollte Armut nicht mehr als gottgegebenes – und damit legitimiertes – Schicksal verstehen, sondern unterstellte mangelnden Arbeitseifer. Neben der privaten Almosenkultur gab es aber auch sehr früh Bestrebungen, die Armenfürsorge kommunal zu verwalten: Bettelordnungen, Armenkassen, die Unterscheidungen in „würdige“ und „unwürdige“ Arme haben eine lange Geschichte, die sich bis in die heutigen Hartz-IV-Debatten über „Sozialschmarotzer“ und tatsächlich Bedürftige zieht.
 

Zurück in die Zukunft?

Im Zuge des sozialstaatlichen Umbaus und vor allem bei der Einführung der Hartz-IV-Gesetze erleben nicht nur mittelalterliche Vorstellungen ein Revival, sondern auch Debatten, die um 1800 in der Staatszweck-Lehre geführt wurden: Welche Fürsorgepflicht hat der Staat, welche Rolle kommt dem Almosen zu? Hatte die ältere deutsche Staatszweck-Lehre die „Glückseligkeit“ aller als Staatsaufgabe gesehen, führte die Rezeption liberaler Ideen zur Umformulierung: Namentlich Immanuel Kant sah den Staat als Garanten der Freiheit des Einzelnen. Almosen seien hingegen eine „Tugendpflicht“, die keiner „äußeren Gesetzgebung anheimzustellen“ sei. In den aktuellen Debatten werden die Rolle des Staates in der Existenzsicherung des Einzelnen und die Rolle der Spendenkultur neu verhandelt. Dabei sind die Nahrungsmittelausgaben, die Tafeln (siehe Beitrag „Vom Provisorium zum Prinzip“), bereits unbemerkt zur größten sozialen Bewegung des letzten Jahrzehnts angewachsen: Deutschland bewege sich auf einen „Suppenküchen- und Almosen-Staat“ zu, so der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Gegen die Spendeninitiative von Bill Gates wandte der Multimillionär Peter Krämer ein: „Die Spender treten an die Stelle des Staates. Das geht nicht. Das ist alles nur ein schlechter Transfer von der Staatsgewalt hin zum Milliardärsgusto.“ Dieser Einsicht ist nur hinzuzufügen, dass die Spendendebatten zunehmend an das 19. Jahrhundert erinnern: barmherzige Almosen der Reichen als „Tugendpflicht“.

Armut und Reichtum scheinen keine Frage gesellschaftlicher Gerechtigkeit mehr zu sein. Es wird eine Moraldebatte geführt, in der das Modalverb dringend zu korrigieren ist: Reiche sollen nicht spenden, Reiche können spenden.
 

MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010


Schlüsselbegriffe: Armenfürsorge, liberaler Wohlfahrtsstaat, neue Spendenkultur, Sozialstaat, Charity-Kultur, Almosen, Hartz IV, Sozialschmarotzer, Fürsorgepflicht, Armut, Elke Brüns