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Eine Wohnung namens „Bismarck“

Das „hochherrschaftliche Palais“ in der Kreuzberger Großbeerenstraße

Jürgen Enkeman
 

Zu den Strategien des Widerstands gegen die zurzeit allseits beschworenen Gentrifizierungsprozesse mit ihren Aufwertungs- und Verdrängungseffekten könnte es gehören, die Werbung der Immobilienbranche mit ihrem häufig ungeschminkt klassenbezogenen und zugleich verlogenen Charakter kritisch zu betrachten. So ließen sich die Konstruktionen der aristokratisch anmutenden „Ambientes“ vielleicht hier und da ein wenig durchkreuzen.

 

„Palais am Hofgarten“ soll das Gebäude Großbeerenstraße 55 im westlichen Kreuzberg heißen, wenn es fertig restauriert ist. Der Name stand über längere Zeit hinweg in großen Buchstaben auf einer Plane, die das gesamte Baugerüst an der Straßenfassade des Hauses bedeckte. Und nicht nur das. Da wurde weithin sichtbar für den Kauf von „luxuriösen“ und gar – so wörtlich – „hochherrschaftlichen“ Wohnungen in diesem künftigen „Palais“ geworben.

Inzwischen ist das Baugerüst samt Plane verschwunden und eine schön restaurierte Stuckfassade hervorgetreten. Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben, zumal gerade dieses Haus direkt neben dem berühmten Riehmers Hofgarten zur Straßenseite hin so heruntergekommen aussah wie wohl kein anderes in der Umgebung.
 

Nähe zu Riehmers Hofgarten

Während drinnen derzeit noch Handwerker arbeiten, werden für die „luxuriösen“ Eigentumswohnungen mithilfe des Internetauftritts www.palais-am-hofgarten.de Käufer angelockt. Als Verkaufsargument wird unter anderem der Bekanntheitsgrad des benachbarten Riehmers Hofgarten genutzt: „Eine Stuckperle aus der Gründerzeit. Der architektonisch einzigartige ‚Riehmers Hofgarten’ liegt in der Mitte Berlins. Im Ensemble dieses Schmuckstückes liegt der ‚Palais am Hofgarten’, ein herrschaftlicher Bau des Architekten J. Heydemann aus dem Jahr 1883.“ Die geschäftstüchtige Berufung auf Riehmers Hofgarten enthält trickreiche Verdrehungen. Das Haus Großbeerenstraße 55 hat nie zum „Ensemble“ von Riehmers Hofgarten gehört und ist völlig anderer Bauart. Auch der Namensbestandteil „am Hofgarten“ weckt falsche Assoziationen, gerade durch den sprachlichen Kontext. Zwar war der berühmte Riehmers Hofgarten im späten 19. Jahrhundert durchaus für gehobene Ansprüche vorgesehen, aber „Hofgarten“ wies keineswegs auf irgendetwas Höfisches hin. Gemeint war die Ersetzung finsterer Hinterhöfe durch einen weiten, gartenartigen Hof.
 

Entwurf eines Maurermeisters

Die Verfasser der Werbetexte würden vielleicht einwenden, dass es bei „hochherrschaftlich“ ganz einfach um den Verweis auf die Vergangenheit dieser Wohnungen gehe. Eine Überprüfung der Geschichte des Hauses anhand von alten Adressbüchern und Bauakten zeigt jedoch, das dies eine offenbar werbesprachlich motivierte Erfindung ist. Der Besitzer und Erbauer des 1883 fertig gestellten Hauses war Julius Heydemann. Sein Beruf wird in allen zeitgenössischen Dokumenten als „Maurermeister“ angegeben. Wenn in dem oben zitierten Werbetext von dem „herrschaftlichen Bau des Architekten J. Heydemann“ die Rede ist, dann klingt das sicherlich vornehmer, als wenn der Entwurf einem gewöhnlichen Maurermeister zugeschrieben würde. Maurer waren damals in vielen Fällen Allround-Handwerker, die sowohl die Kelle in die Hand nahmen als auch die Entwürfe machten – in diesem Fall durchaus nicht für eine architektonische Besonderheit, sondern für einen damals üblichen Einheitsbau mit „Berliner Zimmer“, Hinterhaus etc.

Und die Bewohner? Zogen lauter Aristokraten in das Haus ein? Ein Berliner Adressbuch aus dem Jahr 1886, das, wie damals, üblich auch Angaben über die Berufe der genannten Personen enthält, zeigt uns: In der Großbeerenstraße 55 gab es zwar gut situierte Familienväter – einen Bauinspektor, einen Steuerbeamten, einen Magistratsbuchhalter, einen Musiker, einen Lokomotivführer und dergleichen, aber offensichtlich keinen, der sich mit „hochherrschaftlich“ assoziieren ließe.
 

„Viktoria“ als Maisonette

Jede der jetzt neu ausgebauten geräumigen Wohnungen – zum Teil sind es „Penthouse“-Wohnungen mit Dachgärten – hat in dem Internet-Angebot einen Namen bekommen. In der überwiegenden Zahl klingt dabei wieder deutlich das Herrschaftliche mit – sie heißen etwa Metternich, Bismarck, Wilhelm I und Wilhelm II.

Die in den Angeboten verwendete Sprache, um deren kritische Hinterfragung es hier vor allem ging, sollte nicht als Nebensache oder nur als ein lächerlich wirkender Trick der Werbung abgetan werden. Sie zeigt uns, dass hier ganz konkret Kunden beworben werden, von denen angenommen werden kann, dass sie sich als Adel der heutigen Gesellschaft fühlen und eine Spaltung der Gesellschaft befürworten würden beziehungsweise Gentrifizierung an diesem Ort mit vorantreiben. Noch ist das Umfeld ein relativ „durchmischtes“ Kreuzberger Wohnviertel. Die Nachbarschaft sollte wachsam bleiben.
 

MieterEcho Nr. 343 / November 2010


Schlüsselbegriffe: Kreuzberg, Großbeerenstraße, Gentrifizierung, Berlin, Riehmers Hofgarten, Jürgen Enkemann, Palais am Hofgarten, Penthouse, Maisonette, Dachgarten, aristokratisch, Maurermeister Julius Heydemann, Christmann, Trusthouse Group