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„Das Mieterschutzrecht ist voller Lücken.“

Interview mit Piotr Ciszewski vom Warschauer Mieterverein

Der Warschauer Mieterverein entstand 2007 als Ergebnis der Aktion „Wohnen ist ein Recht, keine Ware“. Darin sind Mieter/innen verschiedener Bezirke Warschaus vereinigt. Er kämpft für eine andere Wohnpolitik der Stadtverwaltung, gegen Zwangsräumungen und Gentrifizierung.

MieterEcho (ME): Was sind die dringendsten Probleme der Mieter/innen?

In den Großstädten ist es die Reprivatisierung der nach 1945 verstaatlichten Häuser, die zu entsprechenden Mieterhöhungen und zur Einrichtung von Büroräumen oder Luxusappartements führt. Das Mieterschutzrecht ist voller Lücken. Die gesetzliche Vorschrift, die Zwangsräumungen auf die Straße verbietet, wird oft umgangen, denn Mieter/innen können in eine „vom Eigentümer bezahlte temporäre Unterkunft“ geräumt werden. Dadurch ist der Mieterstatus aufgehoben und das Verbot der Zwangsräumung auf die Straße (Eksmisja na bruk) schützt nicht mehr. In Warschau ist der Mangel an Kommunalwohnungen ein großes Problem. Die Warteschlange umfasst aktuell etwa 6.000 Familien.
 

ME: Gibt es in Polen eine rechtliche Beschränkung für Mieterhöhungen?

Eine Erhöhung darf einmal in einem halben Jahr erfolgen. Wenn sie mehr als 3% des Wiederbeschaffungswerts beträgt, können die Mieter/innen eine Begründung für die Erhöhung einfordern. In der Begründung können aber ohne Beschränkung zusätzliche Verwaltungskosten angeben werden, ebenso Renovierungskosten und dergleichen. Gerichtsverfahren sind für Mieter/innen selten erfolgreich. Sie ziehen sich oft über Jahre hin. Die Urteile sind in beinahe identischen Fällen sehr unterschiedlich.
 

ME: Mit welchem rechtlichen Schutz können finanziell schwache Gesellschaftsgruppen rechnen?

Arbeitslose haben theoretisch größere Chancen, eine Kommunalwohnung zu erhalten. Chronisch Kranke, Rentner sowie Familien mit minderjährigen Kindern haben ein Anrecht auf Sozialwohnungen.

Obdachlose werden bei der Zuteilung von Kommunalwohnungen bevorzugt. Warschau kann aber kein allgemeines Programm zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit vorweisen. Damit beschäftigen sich eher die sozialen Organisationen. Alle Arten von Wohnhilfe, sowohl auf Landesebene als auch in Warschau, sind mangelhaft. Manche Lösungen bleiben nur Theorie, andere werden erschwert durch viele schwer zu erfüllende Bedingungen. Die Stadtverwaltung hilft allenfalls den Ärmsten der Armen. Aber selbst der Warschauer Mittelstand hat schon Schwierigkeiten, ein Dach über dem Kopf zu bezahlen.
 

ME: Welche Veränderungen fordert der Warschauer Mieterverein?

Zunächst muss sich die Herangehensweise der städtischen Selbstverwaltung ändern. Vieles erfordert nur etwas guten Willen. Bei einem Restitutionsantrag sollten Mieter/innen frühzeitig informiert werden, damit sie Zeit zum Umzug haben. Die Stadtverwaltung sollte zudem dafür sorgen, dass Mieter/innen Zugang zu einer Rechtsberatung haben. Es mangelt an rechtlichem Hintergrundwissen, und viele bekommen Probleme, weil sie die Rechtslage nicht kennen.

Gemeinsam mit anderen sozialen Organisationen fordern wir, dass es Bürgerbefragungen auf der Selbstverwaltungsebene gibt. Eine Befragungskommission mit Beteiligung von Mietervertretern könnte die Stadtverwaltung beraten und Meinungen zu kommunalen Gesetzesentwürfen einholen, die das Wohnungsbauwesen betreffen. Eine wichtige Lösung wäre der kommunale Wohnungsbau. Hierfür hat der Warschauer Mieterverein konkrete Lösungsvorschläge.
 

ME: Welche Organisationen und Gruppen beschäftigen sich mit den Rechten der Mieter/innen?

In Warschau gibt es drei Hauptgruppen. Außer dem Warschauer Mieterverein existieren die Kanzlei für soziale Gerechtigkeit (Kancelaria Sprawiedliwości Społecznej), welche mit der Partei Neue Linke (Nowa Lewica) und ihrem Parteiführer Piotr Ikonowicz verbunden ist und kürzlich den Gesamtpolnischen Mieterbund gegründet hat. Diese Organisation ist in ganz Polen aktiv. Es gibt außerdem auf der rechten Weichselseite von Warschau das Bürgerschutz-Komitee (Komitet Obrony Lokatorów). Außerdem bietet die Polnische Mieterunion (Polska Unia Lokatorów) Rechtsberatung an. Die Zusammenarbeit klappt ganz gut. Wir haben gemeinsam Aktionen und Konferenzen organisiert. Es ist sogar eine Verständigung über die Zusammenarbeit unterzeichnet worden, u. a. vom Warschauer Mieterverein und der Kanzlei für soziale Gerechtigkeit. Auf Stadtebene treten alle genannten Organisationen als Koalition unter dem Namen Soziale Seite (Strona Społeczna) auf.
 

ME: Wie schätzen Sie die Stärke der polnischen Mieterbewegung ein?

Es ist immer noch ein weiter Weg. Die Mieterorganisationen zählen nur einige Dutzend Mitglieder, aber man merkt, dass das Problem den Menschen langsam bewusst wird. Und es entstehen Organisationen, die dem Warschauer Mieterverein ähnlich sind, auch in anderen Städten Polens: in Gdańsk, Bielsko Biała, Nowa Sól, Kraków und anderen Orten.
 

ME: Was sind momentan die Strategien zur Verbesserung der Wohnungslage in Polen?

Viel würde die Erfüllung der Forderungen des Warschauer Mietervereins ändern. Natürlich wird das nicht geschehen, wenn die Mieter sich nicht selbst organisieren und ein Netz von Organisationen entsteht, die zusammenarbeiten. Ebenso werden individuelle Interventionen nicht helfen, wenn sie nicht mit einem breiteren Programm einhergehen.
 

ME: Gibt es eine internationale Zusammenarbeit mit Organisationen, die sich für die Rechte der Mieter einsetzen?

Ja, es gibt sie. Wir sind in Kontakt mit IUT – International Union of Tenants (= Internationale Mieterunion).
 

ME: Vielen Dank für das Gespräch.


Interview und Übersetzung: Joanna Kubiakowska und Barbara Janisch

Weitere Infos und Kontakt (auf polnisch):

Warszawskie Stowarzyszenie Lokatorów – Warschauer Mieterverein

www.wsl.lokatorzy.pl

 

MieterEcho Nr. 343 / November 2010


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