Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 444 / September 2024

Zweckentfremdung unterm Radar

Airbnb und der Trend zum möblierten Wohnen auf Zeit

Von Jasper Reidt

Einige Unternehmen in Berlin verschärfen mit ihren Aktivitäten den ohnehin schon angespannten Mietmarkt und maximieren dabei ihren Profit auf Kosten der Allgemeinheit. Die Vermietung von möblierten Wohnungen auf Zeit dominiert bereits jetzt einen großen Teil der angebotenen Wohnungsinserate. Mietpreisbindungen und Zweckentfremdungsverbot adé: Wird die Anmietung einer befristeten möblierten Wohnung bald zur einzigen Chance auf eine Bleibe?    

Berlin erlebt seit der Wiedervereinigung ein spektakuläres Wachstum: Rund 400.000 Menschen sind seit 1990 in die Hauptstadt umgezogen, während sich parallel ein regelrechter Tourismusboom entwickelte. Zwischen 2006 und 2019 hat sich die Zahl der Übernachtungen von pro Jahr 15,9 auf 34,1 Millionen mehr als verdoppelt – ein Trend, der auch nach der Pandemie ungebremst anhält. Doch dieser Andrang hat seinen Preis: Die Angebotsmieten in Berlin schießen in die Höhe, haben sich seit 2006 verdoppelt und liegen heute laut Statista bei durchschnittlich 14,93 Euro pro qm.

Der steigende Druck auf den Wohnungsmarkt ist eng mit dem Tourismus verbunden. Online-Plattformen wie Airbnb, die ursprünglich authentische „Live like a local“-Erlebnisse für Reisende schaffen wollten, lösten eine gravierende Veränderung des Mietmarktes aus. Sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen entdeckten die lukrative Möglichkeit, ihre Wohnungen zeitweise an Tourist/innen zu vermieten. Im Jahr 2017 erreichte die Zahl der auf Airbnb angebotenen Wohnungen in Berlin mit über 20.000 Inseraten ihren Höchststand. Wohnraum, der zuvor Anwohner/innen zur Verfügung stand, wurde zunehmend touristisch vermietet – mit Folgen für die Verfügbarkeit von Mietwohnungen. Die Stadt Berlin reagierte unter anderem mit dem Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, doch statt der erwarteten Marktentlastung entstand eine neue Herausforderung: die Vermietung möblierter Wohnungen auf Zeit zu überteuerten Preisen.

Geltende Gesetze werden ausgehebelt

Das 2014 eingeführte Zweckentfremdungsverbot sollte verhindern, dass Wohnraum dauerhaft dem Mietmarkt entzogen wird, indem er als Ferienwohnung genutzt wird oder leer steht. Jedoch zeigte die Regulierung nicht den erhofften Erfolg. Die neuen, strengeren Vorschriften entspannten den Markt keineswegs; stattdessen entdeckten Unternehmen und Privatleute rechtliche Schlupflöcher, wie sie weiterhin mehr Geld mit Wohnraum verdienen können, als durch die klassische langfristige Vermietung möglich ist. Auf Airbnb.com zeichnen sich zwei auffällige Trends ab: Zum einen gibt es eine wachsende Zahl sogenannter Superhosts, die zahlreiche Wohnungen über die Plattform anbieten. Zum anderen werden Wohnungen oftmals nun erst ab einer Mindestmietdauer von 90 Tagen vermietet, denn auf diese Weise umgeht man das Verbot der Kurzzeitvermietung, das eigentlich zum Schutz des Wohnungsmarktes eingeführt wurde.

Die zehn Gastgeber/innen mit der höchsten Anzahl an Inseraten hatten im September vergangenen Jahres insgesamt 807 Unterkünfte im Angebot. An erster Stelle der Superhosts steht das Unternehmen Blueground mit 180 möblierten Wohnungen, die legal ab einer Mindestmietdauer von drei Monaten vermietet werden. Blueground benötigt hierfür weder eine Genehmigung noch eine Registrierungsnummer der Bezirke. Wie kann das trotz der Regulierungen sein? 

Am 20. April 2018 wurde das Zweckentfremdungsverbotsgesetz novelliert. Seitdem gibt es neue Vorschriften für die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen: Generell dürfen Wohnungen in Abwesenheit der Bewohner/innen kurzzeitig vermietet werden, wenn die Funktion als Hauptwohnsitz bestehen bleibt, zum Beispiel während einer Reise oder einer beruflichen Abwesenheit. Auch eine ganzjährige Vermietung ist zulässig, wenn weniger als 50% des Wohnraumes abgegeben werden, etwa ein Zimmer in einer Dreizimmerwohnung. Für Zweitwohnungen gilt die Regel, dass bis zu drei Monate im Jahr vermietet werden darf. Für alle drei Optionen ist entweder eine Genehmigung oder eine Anzeige inkl. Registrierungsnummer notwendig, diese wird von den Bezirksämtern vergeben. 

Blueground umgeht diese strengen Auflagen geschickt: Das Unternehmen vermietet seine Wohnungen für Zeiträume von 90 Tagen und länger, aber dennoch befristet. Damit fällt die Vermietung nicht mehr unter das Zweckentfremdungsverbot, da es sich rechtlich nicht mehr um eine Kurzzeitvermietung handelt.

Plattformen wie Airbnb sind mittlerweile voller Angebote für möblierte Wohnungen, die unter dem Deckmantel „Wohnen auf Zeit“ zu überteuerten Mieten angeboten werden. Unternehmen, die Wohnraum anbieten, nutzen oft Fantasienamen wie „Olga“ oder „Janina“, um potenzielle Mieter/innen glauben zu lassen, dass sie es mit einer Privatperson zu tun haben. Dies vermittelt das attraktive Gefühl, authentisch wie ein/e Berliner/in leben zu können. Zudem erschwert diese Taktik den Behörden die Nachverfolgung und Regulierung solcher Angebote. Die Fantasiepreise, die weit über jenen des regulären Mietspiegels liegen, werden durch die fehlende Preisregulierung für diese Form des Wohnens und durch die Möblierungszuschläge ermöglicht. Die Folgen sind alarmierend: Immer mehr Inserate in Berlin offerieren möblierte und befristete Unterkünfte. Eine Anfrage des Abgeordneten Niklas Schenker (LINKE) ergab, dass im Jahr 2023 bereits 54% aller angebotenen Mietwohnungen dieser Kategorie zuzuordnen waren. Initiativen und politische Stimmen, die eine strengere Regulierung fordern, werden lauter. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf will nun zumindest in Milieuschutzgebieten gegen die möblierte Vermietung vorgehen.

Das Problem: Während Mietpreisbindungen und Verbot der Zweckentfremdung dafür sorgen sollen, dass bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt, umgehen Unternehmen geschickt die Gesetze. Der eigentliche Clou liegt in der Preisgestaltung: Da es keine klaren Regeln für die monatliche Miete für Möbel gibt, können die Superhosts horrende Beträge verlangen, die weit über dem liegen, was auf dem regulären Mietmarkt zulässig wäre. Dadurch werden langfristige Mietverhältnisse zu angemessenen Preisen immer seltener. 

Riesengeschäft mit dem Wohnungsmangel

Das Unternehmen Blueground bietet auf Airbnb derzeit 281 Wohnungen zur Miete an (Stand: 9. August 2024). Im Herbst 2023 waren es noch 187.  Eine rund 40 qm große Einzimmerwohnung in der Nähe des Bahnhofs Neukölln ist nur einen Klick entfernt – allerdings muss man dafür stolze 2.000 Euro warm pro Monat berappen. Zum Vergleich: Eine regulär vermietete Wohnung mit ähnlicher Größe und höchstem Ausstattungsstandard würde laut Mietspiegel zwischen 336 und 635 Euro kosten. Der Unterschied? Ein Aufschlag von mindestens 1.362 Euro monatlich für die Möblierung und die Nebenkosten.

Blueground inszeniert sich auf seiner Website als „idealer Mieter“ und lockt mit dem Versprechen, die Mieteinnahmen der Eigentümer/innen zu maximieren. Ein Angebot, das offenbar auf fruchtbaren Boden fällt. Es scheint so, als seien viele Wohnungsbesitzer/innen bereits auf das Angebot eingegangen. Kein Wunder, liegt doch der Durchschnittspreis für möblierte Wohnungen mit einer Mindestmietdauer von drei Monaten auf Airbnb im September 2023 bei 2.371 Euro pro Monat.

Doch was bedeutet das für den ohnehin schon angespannten Berliner Wohnungsmarkt? Blueground und ähnliche Unternehmen entziehen dem Markt nicht nur dringend benötigten Wohnraum, der eigentlich regulär vermietet würde. Sie schaffen darüber hinaus Anreize, bisher unbefristet vermietete Wohnungen in lukrative, befristete Angebote umzuwandeln. Die Folge: die Berliner Wohnungsnot verschärft sich weiter. Die sogenannten Szenekieze ächzen ganz besonders unter der Situation. Dort werden Wohnungen sowohl touristisch, also tage- oder wochenweise, als auch möbliert und befristet ab 90 Tagen vermietet. Dadurch wird der Mietmarkt doppelt belastet.

Für viele Berliner/innen und dauerhaft Zugezogene bleibt die Anmietung einer befristeten, möblierten Wohnung die einzige realistische Option, wenn sie gezwungen sind, kurzfristig eine Bleibe zu finden. Diese Entwicklung wirft ernste Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Zukunft der Stadt auf. Die Aussicht auf einen langfristigen Mietvertrag für eine bezahlbare Mietwohnung rückt für viele in weite Ferne. Befristete Mietverträge und absurd hohe Mieten sind die neue Realität, eine Entwicklung, die tiefgreifende gesellschaftliche Konsequenzen haben könnte.

 

Jasper Reidt studiert Stadt- und Regionalplanung (Master) an der TU Berlin und war u.a. in Wiener Stadtteilbüros tätig.


MieterEcho 444 / September 2024

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