„MieterEcho, ne ganz gute Publikation“
Aus dem MieterEcho ein hochwertiges Magazin zu machen, daran arbeitete Joachim Oellerich über viele Jahre. Mit seinem Tod hat die fruchtbare Arbeit ein abruptes Ende gefunden.
Rund dreißig Jahre verantwortete und prägte Joachim Oellerich als Chefredakteur das MieterEcho und die Öffentlichkeitsarbeit der Berliner MieterGemeinschaft (BMG). Umfang und Qualität der Zeitschrift haben in dieser Zeit annähernd „Kioskreife“ erreicht, wie Joachim das angestrebte Niveau zu benennen pflegte. Nun müssen wir ohne ihn auskommen, Joachim verstarb am 22. Juli in seiner Kreuzberger Wohnung. Diese hätte er durch eine Eigenbedarfskündigung möglicherweise bald verloren. Den Kampf um die eigenen vier Wände konnte er nicht mehr führen, zahlreich hingegen waren die wohnungs- und mietenpolitischen Auseinandersetzungen, die von dieser charismatischen und streitbaren Persönlichkeit unterstützt oder initiiert wurden.
Wer wollte, konnte ihn täglich gegen 10 Uhr auf seinem morgendlichen Spaziergang in die Möckernstraße treffen. Das Büro in der BMG-Geschäftsstelle war sein zweites Zuhause und Ausgangspunkt vieler seiner Aktivitäten, die ihn quer durch die Stadt führten, von Spandau bis Marzahn oder auch in die Kreuzberger Nachbarschaft. In einem Garten eines der ehemals besetzten Häuser in der Kohlfurter Straße trafen sich im Frühjahr 2000 seit einigen Wochen Nachbar/innen, die sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft ihrer Hausgemeinschaften machten. Die GSW sollte verkauft werden, meldete die Berliner Tagespresse. Ein Thema, dessen Folgen sich bis heute mit den Konzernen Deutsche Wohnen und Vonovia verbinden. Natürlich war die Aufmerksamkeit Joachims schon längst erregt, als er eines Nachmittags bei der sich formierenden Antiprivatisierungsinitiative auftauchte. Bescheiden in seinem Auftreten, aber bestimmt und mit scharfer Kritik an dem Privatisierungsvorhaben des Senats. Völlig zutreffend stellte Oellerich schon damals fest, dass die neoliberale Privatisierungspolitik Berlin zukünftig massive Probleme bescheren würde. Wie andere Initiativen, erhielt auch die Initiative aus der Kohlfurter Straße die Möglichkeit im MieterEcho zu veröffentlichen (Der Autor dieser Zeilen fand so den Weg dorthin). Eine mit Joachim organisierte Veranstaltung folgte im Juni 2000 und fand sogar in der FAZ ihren Niederschlag: „Mieter formieren sich zum Klassenkampf“, wie das Kampfblatt der Bourgeoisie seinerzeit titelte.
Bündnis gegen Privatisierung
Für einen geschulten Marxisten wie Joachim war die Rhetorik der FAZ wenig despektierlich, sondern vielmehr zutreffende Beschreibung, worum es bei dem Privatisierungsgeschehen eigentlich ging: einen Angriff global agierender Finanzmarktakteure auf die Lebensverhältnisse der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung. Dass es nicht nur um den Verkauf von Wohnungen ging, machte die von der MieterGemeinschaft veranstaltete Antiprivatisierungskonferenz im Februar 2006 deutlich. Der von Joachim stets gesuchten Nähe zu den Gewerkschaften entsprechend, fand die Konferenz im damaligen DGB-Haus in der Keithstraße statt. Unter der Fragestellung, ob die Privatisierungen „eine Folge ‚leerer Haushaltskassen‘ oder ein Instrument globaler Verwertungsstrategie“ sei, ging es neben der Wohnungsversorgung auch um das Berliner Wasser und die Kliniken.
Es war Joachim, der den Zusammenhang zwischen „finanzdominiertem Akkumulationsregime“ und der wirtschaftsliberalen Privatisierungspolitik zu vermitteln wusste und die vom Senat bemühte Mär der „leeren Haushaltskassen“ zurückwies. Im Anschluss an die Konferenz gründete sich das Berliner Bündnis gegen Privatisierung unter Beteiligung von Aktivist/innen, Gewerkschafter/innen, der damaligen Wahlalternative (WASG) und dem Donnerstagskreis der SPD. Der Grundstein für den erfolgreichen Wasservolksentscheid war gelegt. In diesen Jahren hatte sich in Reaktion auf die „Hartz-Gesetze“ auch die bis heute aktive Sozialberatung der BMG etabliert. Parallel dazu arbeitete die Sozial-AG, aus der später das Erwerbslosenfrühstück in der Beratungsstelle Sonnenallee hervorging. Auch dies Initiativen, die ohne Joachim Oellerich nicht denkbar gewesen wären.
Feilschereien waren nicht sein Ding
Joachim drang regelmäßig tiefer in die Materie ein als andere „Experten“, die die öffentlichen Debatten bestimmen. Diese Qualität übertrug sich auf das MieterEcho und seine Autor/innen. So entwickelte sich das MieterEcho zu einem Organ, dessen Bekanntheitsgrad stetig zunahm und für welches auch bekannte Fachleute aus Politik und Wissenschaft gerne schreiben. Rund um das Privatisierungsgeschehen und andere wirtschaftsliberale Maßnahmen, die restaurativen Planungen um Berlins Mitte oder die Tourismuspolitik der Berliner Senatskoalitionen – egal welcher Couleur – MieterEcho-Leser/innen waren und sind immer bestens informiert. Gegenüber den Regierungsparteien gab und gibt es kein Pardon. Parteienvertreter/innen kommen im MieterEcho durchaus zu Wort, sofern sie kritisieren, was zu kritisieren ist, oder progressive Perspektiven eröffnen, die der Marktförmigkeit sozialer Infrastrukturen entgegenwirken.
Oellerich ging es nicht um ein Zurück zum alten fordistischen, sondern um die Entwicklung eines „postliberalen Sozialstaats“, der mit der Thematik der Sozialen Infrastrukturen einhergeht. Diesen widmete die BMG eine Veranstaltungsreihe mit hochkarätig besetzten Podien und im gleichen Kontext bewegt sich die 2014 gegründete Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW). Orientiert an den historischen Vorbildern des britischen Council Housing und des Wiener Gemeindewohnungsbaus stellt die INKW progressive Alternativen zur in Deutschland vorherrschenden Wohnungspolitik zur Diskussion, u.a. im Rahmen der Veranstaltungsreihen „Wohnen in der Krise“ und „Vergessene Utopien des Wohnens“.
Ecken und Kanten
Fundierte historische Kenntnisse sowie der Blick über den nationalen Tellerrand, verbunden mit Fundamentalkritik an den herrschenden Zuständen, zeichneten den Chefredakteur des MieterEcho bis zu seinen letzten Tagen aus. Kleinkarierte Feilschereien, bevorzugtes Betätigungsfeld politischer Repräsentanten, z. B. ob die Modernisierungsumlage eher 8 oder 5% betragen solle, beantwortete Oellerich mit dem kategorischen Hinweis, dass diese Umlage systemfremd sei und gänzlich abgeschafft gehöre. Ebenso die immer wiederkehrende Diskussion um die Höhe des Wohngeldes, bzw. der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft. Von zentraler Bedeutung sei die Objektförderung, also ein staatlich finanzierter kommunaler Wohnungsbau, mit dem das Mietenniveau reguliert und damit das Wohngeld verringert werden kann. Das Verhältnis gegenüber der milliardenschweren Subjektförderung sei grotesk und diene den Renditen der Immobilienwirtschaft. Der Eigentums- und Privatisierungsideologie stellte er das Wohnen zur Miete als „kulturelle, soziale und politische Errungenschaft“ gegenüber, weshalb die landeseigenen Wohnungen zu verteidigen wären.
Was den noch zu Kriegszeiten 1941 Geborenen zuletzt umtrieb, waren die Propaganda und Milliardenpakete für die angestrebte Kriegstauglichkeit bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber den akuten sozialen Problemen und nicht zuletzt der Wohnungsmisere, die uns unter diesen Vorzeichen erhalten bleiben wird. Nicht alle Leser/innen teilen die Positionen des MieterEchos. Wie die Zeitschrift, so hatte auch Joachim Ecken und Kanten, wie sollte es anders sein. Er ging keiner Konfrontation aus dem Wege, wobei seine persönlichen Attacken sehr verletzend sein konnten – ein dickes Fell war da durchaus hilfreich. Auch auf Podien konnte sich Joachim in Rage reden, in der Regel verstand er es jedoch, mit Witz, Charme und Sachverstand zu überzeugen. Als er vor ein paar Jahren bei einer Veranstaltung zur Tourismusindustrie auf einen MieterEcho-Beitrag verwies, bemerkte er lachend: „MieterEcho, ne ganz gute Publikation“. Das findet die verbliebene Redaktion auch und arbeitet daran, dass das im Sinne des Verstorbenen auch so bleibt.
Redaktion MieterEcho, Vorstand und Mitarbeiter/innen der Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Autor: Hermann Werle
Die Beisetzung findet am 26. September 2024 um 11 Uhr auf den Friedhöfen am Halleschen Tor statt.
Treffpunkt ist die Kapelle am Eingang Mehringdamm 21 in 10961 Berlin.
Im Anschluss Beisammensein, der Ort wird noch bekannt gegeben.
MieterEcho 444 / September 2024