MieterEcho

MieterEcho 334/Juni 2009

Quadrat BERLIN

Neue Privatisierungswelle im Anrollen

Berlin auf dem Weg ins "ökonomische Nirwana"

Hermann Werle

Die weltweiten Auswirkungen der Krise sind noch nicht ansatzweise abzuschätzen, da schallt bereits der Ruf nach einer "Schuldenbremse" und nach Haushaltskonsolidierung durchs Land. Während viele Milliarden an Hilfsgeldern aus dem Bundeshaushalt in die Kassen der Automobilunternehmen und der maroden Banken fließen, warnt der Bundesverband deutscher Banken davor, die Haushaltskonsolidierung zu vernachlässigen. Nach dem Motto "unsere Schäfchen sind im Trockenen" teilte der Hauptgeschäftsführer der Bankenlobby, Manfred Weber, im Februar der Öffentlichkeit mit, dass nun die Zeit zum Sparen gekommen sei. Mit der "Schuldenbremse" werden Kürzungen im Sozialbereich und Privatisierungen unausweichlich.

Einen Ausblick auf kommende Zeiten vermittelt der Gründer des privaten Krankenhauskonzerns Asklepios, Bernhard Broermann, im Handelsblatt vom 17. März. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, so Broermann, werde im Endeffekt dafür sorgen, "dass wieder mehr Krankenhäuser unter Druck kommen und privatisieren müssen". Dieses Jahr sei damit allerdings noch nicht zu rechnen, da verschiedene Kommunal- und Landtagswahlen und die Bundestagswahl anstünden. "Da wird kein Politiker das Thema Krankenhausprivatisierung anpacken." Diese Prognose trifft sicherlich für unpopuläre Privatisierungsvorhaben allgemein zu. Auch in Berlin, wo erst 2011 die nächsten Abgeordnetenhauswahlen stattfinden werden, traut sich der rot-rote Senat nicht, das heikle Thema öffentlich anzusprechen. Weitere Privatisierungen werden indes von anderer Stelle laut eingefordert. Schließlich gelte es, "die gute Ausgangssituation" zu nutzen, "um gestärkt aus der Krise hervorzugehen", wie der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Christian Wiesenhütter, in einer Pressemitteilung der IHK Berlin anmerkt. So sei unter anderem die Gewerbesteuerlast zu hoch und weitere Privatisierungen landeseigener Unternehmen seien dringend geboten.

Schlechte Stimmung

Wie sich die Krise, die nach Ansicht der Industrielobby eine so gute Ausgangssituation für Steuerentlastungen und Privatisierungen bietet, in Berlin auswirkt, beschreibt die IHK in ihrem Konjunkturbericht. Demnach ist die Berliner Wirtschaft zum Jahresbeginn 2009 von beklemmenden Zukunftsaussichten geprägt. So habe die Stimmung bei den Industrieunternehmen in Berlin-Brandenburg "einen historischen Tiefstand" erreicht. Angesichts des weltweiten wirtschaftlichen Abschwungs dominiere Skepsis bei den Unternehmen. Der Anteil der Industrieunternehmen, die ihre aktuelle Geschäftslage negativ bewerteten, sei von 7% im Vorjahr auf nunmehr 26% angestiegen und 44% erwarten eine Verschlechterung der Geschäfte. Im Handel sieht es gar noch übler aus: "Die Erwartungen an die zukünftige Geschäftsentwicklung sind bei den Berliner und Brandenburger Unternehmen gleichermaßen negativ. So gehen nur noch 9% der Unternehmen von einer Verbesserung, 46% hingegen von einer Verschlechterung aus." Im Dienstleistungsbereich rechnet "ein Viertel der Unternehmen" mit "einem Abbau der Beschäftigten". In der Konsequenz sei in den nächsten Haushaltsjahren von weiter steigenden Arbeitslosenzahlen und einem sinkenden Steueraufkommen auszugehen. Nach einer Prognose der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Arbeitslosenquote im Jahr 2010 auf 11,5% und damit auf über fünf Millionen Arbeitslose steigen. Gleichzeitig wird es nach Kalkulationen der Commerzbank durch die schrumpfende Wirtschaft zu staatlichen Einnahmeverlusten bei Steuern und Abgaben in Höhe von 21 Milliarden Euro kommen.

"Berlin trotzt der Krise"

Um die Stimmung trotz trüber Konjunkturaussichten zu verbessern, hat der Berliner Senat in Zusammenarbeit mit der IHK in gewohnter Eintracht ein Bündnis geschlossen und am 18. März mit großem Mediengetrommel die Internetpräsenz "Berlin trotzt der Krise" der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Anliegen dieser Website ist es nach eigener Auskunft, "Chancen für die Zukunft aufzuzeigen und die Weichen für Wachstum und Beschäftigung zu stellen". Hierfür hält der Internetauftritt Links zu Beratungs- und Hilfsangeboten für Unternehmen und (noch) Beschäftigte bereit. Den Beitrag des Landes Berlin an dem trotzigen Bündnis umreißt Senator Harald Wolf mit den Worten, auch die Unternehmen müssten sich auf härtere Zeiten einstellen, wenn Aufträge ausblieben oder erwartete Zahlungseingänge ausfielen. In einer solchen Situation stünde den Berliner Unternehmen aber "ein breites Angebot von finanziellen Hilfen der IBB (Investitionsbank Berlin-Brandenburg) zur Verfügung". Auch könnten "Bund und Land 2009 und 2010 Darlehen bis zu 90% verbürgen". Hier stünden "die Bürgschaftsbank Berlin Brandenburg und die IBB als Partner bereit." Über eine derart schnelle und unbürokratische Hilfe hätten sich in der Vergangenheit viele Schulen, Kitas, Krankenhäuser oder Jugendeinrichtungen gefreut.

Über die krisenbedingten Belastungen, die auf alle Länder und Kommunen zukommen werden, schweigen sich das Bündnis und der Wirtschaftssenator aus. Keine der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien strebt einen wirtschafts- und sozialpolitischen Richtungswechsel an, und so wird - wie in den letzten Jahren - die IHK den Kurs vorgeben. Die fordert aktuell, Infrastrukturprojekte vorzuziehen, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern, die Wirtschaftsförderung zu verzahnen sowie Gewerbesteuer, Grundsteuerhebesatz und Grunderwerbssteuer abzusenken. Gleichzeitig soll zur Finanzierung der Industrie- und Handelsförderung der "Sparkurs beibehalten und Privatisierungen" vorangetrieben werden. Hierzu soll ein "Privatisierungsfahrplan für Landesbeteiligungen" zur Gegenfinanzierung der vorgezogenen Investitionsvorhaben festgelegt werden.

Schuldenbremsen

Eine andere Politik als die der IHK und anderer Wirtschaftslobbyisten wäre zwar grundsätzlich möglich, wird aber auch durch übergeordnete Vorgaben zunehmend erschwert. Der politische Gestaltungsspielraum wird auf der Ebene der EU durch den Stabilitätspakt und die sogenannten Konvergenzkriterien eingeschränkt. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht ist die Neuverschuldung der EU-Mitgliedsstaaten auf 3% limitiert. Das allgemeine Sparprogramm soll im Vertrag von Lissabon nochmals verankert werden und nur in besonderen Zeiten - wie der aktuellen Weltwirtschaftskrise - ausgesetzt werden können. Verbindliche Regelungen für soziale Grundsicherungen finden sich in dem europäischen Vertragswerk ebenso wenig wie in der gerade beschlossenen "Schuldenbremse", die in Kürze im Grundgesetz verankert werden soll. Danach soll es den Bundesländern nach einer Übergangsphase, die 2011 beginnt, ab 2020 grundsätzlich verboten sein, Schulden zu machen.

Sehr treffend sagt Professor Heinz-J. Bontrup von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, dass sich kein EU-Land "wirtschaftspolitisch so borniert" verhalte wie Deutschland. Selbst die neoliberal ausgerichtete EU erlaube im Stabilitätspakt eine Neuverschuldung von 3%. Neoliberale Politiker hätten "den Staat durch Privatisierungen und völlig überzogene Steuersenkungen für Unternehmer, Besserverdienende und Vermögende bei gleichzeitigen Sozialkürzungen für die Schwächsten in unserer Gesellschaft vor die Wand gefahren". Und was die Politik an Begründungen für die jetzt geplante "Schuldenbremse" biete, könne "man nur noch als ökonomisches Nirwana bezeichnen".

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