MieterEcho

MieterEcho 334/Juni 2009

Quadrat BERLIN

Für das Linsengericht des Barwertvorteils

Was niemand wissen wollte: Cross-Border-Leasing-Geschäfte sind hochriskante Kreditspekulationen

Benno Kirsch

Die Idee war so einfach wie überzeugend: Um Geld in ihre klammen Kassen zu bekommen, vermieteten viele Kommunen in den 90er Jahren städtische Einrichtungen, z. B. Wasserwerke, für 99 Jahre an US-amerikanische Investoren, die alle dafür fälligen Kosten auf einmal an die Stadt überwiesen. Die Städte mieteten ihre Infrastruktur gleich wieder zurück, allerdings nur für 30 Jahre, und verpflichteten sich, innerhalb dieses Zeitraums kontinuierlich Mietzahlungen zu leisten. Nach Ablauf des Rückmietvertrags haben die Städte das Recht, die Hauptmietverträge zu kündigen und wieder uneingeschränkt über ihr Eigentum zu verfügen.

Für beide Beteiligten bedeutete Cross-Border-Leasing (CBL) anscheinend eine Win-Win-Situation, denn der Investor konnte in den USA Steuervorteile geltend machen und die deutsche Kommune erhielt den sogenannten Barwertvorteil in Höhe von 4 bis 6% des Werts des Wasserwerks, der zu Beginn der Mietlaufzeit ausgezahlt wurde. Abgewickelt wurden die umfangreichen finanziellen Transaktionen über die von der Stadt beauftragten Banken. Dabei hatte die Stadt darauf zu achten, dass es sich um Geldhäuser mit gutem Ranking handelte. Die Banken waren somit dafür verantwortlich, dass der Investor seine vertraglich festgelegten Mietzahlungen erhielt und dass etwa die Kosten für eine vorzeitige Beendigung des Vertrags gedeckt würden. Für die Stadt ergaben sich zwei Verpflichtungen: Sie musste die Bank wechseln, sobald deren Bonität unter einen bestimmten Wert fällt. Und sie musste das Risiko für den Fall übernehmen, dass die Bank aus welchen Gründen auch immer nicht mehr in der Lage sein würde, die Mietraten zu zahlen.

Die Kritik an dieser Form des Gelderwerbs konzentrierte sich jedoch auf ganz andere Punkte. Erstens, sagte man, ginge die Win-Win-Situation zulasten des US-amerikanischen Haushalts. Zweitens seien die Eigentumsverhältnisse ungeklärt. Drittens könnten die Amerikaner das Steuerrecht ändern und CBL-Deals nicht mehr begünstigen - was dann? Und viertens sei unklar, ob mit diesen Verträgen die Versorgung der Bevölkerung mit den Dienstleistungen, die beispielsweise ein Wasserwerk erbringt, weiterhin gewährleistet sein würde.

Allerdings stießen die Einwände zumeist auf taube Ohren. Erstens nähmen die US-amerikanischen Steuerbehörden diese Form der Steuerersparnis billigend in Kauf, lautete die Antwort. Zweitens bleibe die Kommune Eigentümerin, der Investor erwerbe lediglich das sogenannte wirtschaftliche Eigentum. Drittens seien die Verträge stets so formuliert, dass das Risiko von Änderungen im amerikanischen Steuerrecht vollständig zulasten der Investoren gehe. Und viertens sei die Daseinsvorsorge in keiner Weise berührt und weitere Innovationen seien gewährleistet.

Erschwert wurde die Kritik an den Deals dadurch, dass die Vertragsparteien in der Regel Stillschweigen über die genauen Inhalte der Verträge vereinbarten. Angeblich bekamen nicht einmal die Stadtverordneten, die über den Abschluss zu entscheiden hatten, die oft über tausendseitigen Abmachungen zu sehen, sondern mussten sich mit Kurzfassungen begnügen. Darüber hinaus waren die Verträge stets auf Englisch abgefasst und als Gerichtsstand zumeist New York festgelegt.

Cross-Border-Leasing und Finanzkrise

Seit die Finanzkrise ausgebrochen ist, ist der Katzenjammer groß. Jetzt stellt sich nämlich heraus, dass weder Kritiker noch Befürworter der CBL-Verträge das entscheidende Risiko korrekt eingeschätzt haben: Es liegt in der Verpflichtung der Kommunen, über die gesamte Laufzeit des Vertrags die Zahlungen der Banken an den Investor zu garantieren. Dass es so etwas wie eine Finanzkrise geben könnte und dass eine oder gar mehrere Banken vom Markt verschwinden würden - damit hatte offensichtlich niemand gerechnet, die Kämmerer nicht und die Kritiker der Kämmerer auch nicht. Aber genau das ist geschehen, und nun rächt sich der naive Glaube, dass man ohne Arbeit Geld verdienen kann.

Nur die Investoren kannten die Unwägbarkeiten derartiger Deals genau und nutzten die Naivität der Kommunen aus - allerdings nicht für ein Steuersparmodell, wie man bisher allseits glaubte. "Ich kann mir schlecht vorstellen", sagte der Münchner Wirtschaftsanwalt Julian Roberts in einem Interview, "dass die Investoren jemals wirklich mit Steuervorteilen gerechnet haben."

Aber worum ging es dann? Vermutlich hätten die Investoren mit den von den Städten versicherten Zahlungen der Banken andere Geschäfte auf dem Finanzmarkt absichern und ihre Position auf dem Markt für Finanzprodukte stärken wollen, meint Roberts. Der Wert der CBL-Deals mit den deutschen Partnern hat für die Investoren also darin gelegen, dass die Kommunen dank der Staatshaftung im Prinzip nicht pleite gehen konnten, wodurch eine von ihnen versicherte Zahlung einen höheren Wert erhielt, der an einer anderer Stelle weiterverkauft werden konnte. Die Kommunen haben also nicht gewusst, dass sie für das Linsengericht des Barwertvorteils Teilnehmer am Markt für exotische Finanzprodukte geworden sind. "Meiner Meinung nach liegt eine grobe Täuschung vor, weil es nicht um Sale-and-Lease-back geht, sondern um hochriskante Kreditspekulationen", sagt Roberts.

Barwert

Der Barwert ist ein finanzmathematischer Begriff und beziffert den Wert, den zukünftig anfallende Zahlungsströme in der Gegenwart besitzen. Die Barwertmethode (auch Kapitalwertmethode oder Discounted Cash Flow genannt) dient in der Regel der Bewertung von Investitionsobjekten. Zahlungen, die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, werden abgezinst (diskontiert). Der Kapitalwert einer Investition ist die Summe aller abgezinsten Ein- und Auszahlungen (Barwerte).

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