MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat TITEL

Das neue, weltweite Prekariat

Beschäftigte in den neuen ungeregelten Arbeitsverhältnissen versuchen immer wieder sich zu organisieren, doch ein funktionierendes Modell fehlt noch

Christoph Villinger

Auf der Berliner 1.-Mai-Demo war von den Millionen Betroffenen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, nicht viel zu sehen. Die Parole der letzten Mayday-Parade lautete zwar: „die eigenen Subjektivitäten stark machen, aus der eigenen Perspektive der Studierenden, der Schüler/innen, der Hartz-IV-Empfänger/innen, der 1-Euro-Jobber/innen, der Zeitarbeiter/innen, der Ich-AG, der Projektarbeiter/innen und der Menschen mit befristeten Verträgen argumentieren, kämpfen und sich organisieren“. Aber dieses Vorhaben lässt sich wohl für viele im Arbeitsalltag nur schlecht umsetzen.

Im Jahr 2001 hatte zum ersten Mal ein Netzwerk von italienischen, französischen und katalanischen Aktivisten am 1. Mai zu einer „Euro-Mayday“-Parade aufgerufen. Zentrales Anliegen der damals nur in Mailand stattfindenden Demonstration war es, sich zu den verschiedenen Formen der Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen zu äußern. Innerhalb weniger Jahre weitete sich die Bewegung aus und inzwischen finden Mayday-Paraden von Tel Aviv bis Tübingen statt. In Berlin startet in diesem Jahr die vierte Mayday-Parade. Aber auch an anderen Tagen des Jahres versucht das Mayday-Bündnis, die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse zu thematisieren. So unterstützte das Mayday-Bündnis die Beschäftigten des Kinos Babylon in Mitte. Anlässlich der Berlinale machten die Babylon-Mitarbeiter auf ihre Arbeitssituation aufmerksam und protestierten vor ihrem Kino. „Miserable Löhne, unbegründete Kündigungen und eine Atmosphäre, in der keiner, der seinen Job behalten will, es wagt um Urlaub zu bitten“, so beschreibt der neu gewählte Betriebsrat in einer Presseerklärung das Arbeitsklima. Die Organisierungsversuche in diesem Kino lehnen sich an das Modell der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft der „Industrial Workers of the World“ (IWW) an, die in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Nord- und Mittelamerika einen bedeutenden Teil der damaligen Wanderarbeiter und Tagelöhner organisieren konnte.

Arbeitsrechtliche Vertretung ...

Als Teil eines weltweiten Prekariats fühlten sich letztes Jahr auch die Beschäftigten eines international operierenden Betriebs aus der Kreativwirtschaft. Als sie wegen der fehlenden Überstundenregelungen einen Betriebsrat wählen wollten, stellte sich heraus, dass von den etwa 50 Beschäftigten des Betriebs gerade mal ein Drittel nach dem deutschen Arbeitsrecht abstimmungsberechtigt war. Diese Mitarbeiter/innen hatten zumindest einen Zeitvertrag, ein paar wenige aus der Verwaltung sogar unbefristete Verträge. Der Rest arbeitete mit Werk- und Honorarverträgen, manche quasi als akademische Tagelöhner/innen. Selbst der Vertreter von ver.di war überfragt, welches Arbeitsrecht eigentlich für Leute gilt, deren Vertrag mit der Zentrale in London abgeschlossen, aber deren Arbeitsort weitgehend Berlin ist.

... und gewerkschaftliche Organisierung

Veronika Mirschel, bei ver.di im Referat für Selbstständige, meint hingegen: „Wenn man will, kann man auch ohne Rechtsgrundlage ein Betriebsrat für alle sein.“ Im Gegensatz zu den häufig sinkenden Mitgliederzahlen bei Gewerkschaften hat ihr Bereich in den letzten acht Jahren „um 20 bis 30% an Mitgliedern zugelegt“. Schon 2001 bei der Gründung von ver.di hatte der Vorsitzende Frank Bsirske erkannt, dass man „in die neuen Beschäftigungsformen hinein“ müsse. „Ver.di muss die Gewerkschaft der geringfügig und der befristet Beschäftigten sein. Ver.di muss die Gewerkschaft der Arbeitslosen sein – und auch die Gewerkschaft der Selbstständigen – jedenfalls so lange, wie sie nicht selber Arbeitgeber sind.“ Schöne Worte. Doch Mirschel kennt die Mühen der Ebene. „Hauptproblem ist, dass für viele Selbstständige eben kein Betrieb vorhanden ist, über den sie sich organisieren können, und Gewerkschaften sind eben betriebsorientiert.“ Dazu kommt, dass „die Selbstständigkeit eigentlich politisch gewollt ist“, wie Mirschel sagt, aber „real von der Politik dagegen agiert wird“. Jüngstes Beispiel: Im Rahmen der Gesundheitsreform wurde das Krankentagegeld für Selbstständige einfach gestrichen. Relativ gut funktioniert die Beratung bei alltäglichen Arbeitskonflikten durch die von ver.di finanzierte Hotline von Mediafon.

Große politische Träume hat Veronika Mirschel nicht. „Aber eine bezahlbare Absicherung der Selbstständigen, die sich am realen Einkommen bemisst und nicht an einem fiktiven Gehalt und unter Beteiligung der Arbeitgeber sollte schon drin sein“, meint sie. Aber im Augenblick ist dies fast schon eine Vision.

Weitere Infos:

http://maydayberlin.blogsport.de
http://freie.verdi.de
http://www.wobblies.de
http://www.mediafon.de

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 333