MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat TITEL

Kreative Stadt für die globale Dienstleistungselite

Wie sich die Kreativwirtschaft in Berlin selbst auffrisst

Ingo Bader

Ingo Bader, geb. 1972 in Essen, promoviert über Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung in Amsterdam, Berlin und New York am Center for Metropolitan Studies/TU Berlin. Er ist Mitherausgeber des Buchs „Der Sound der Stadt. Musikindustrie und Subkultur in Berlin“.

In der öffentlichen Debatte dient die Kreativwirtschaft als ein Allheilmittel für die krisenhafte ökonomische Situation Berlins. Dieses Jahr wurde der zweite Kulturwirtschaftsbericht der Stadt aufgelegt, und bei den Großprojekten des Senats wie Mediaspree und neuerdings die Nachnutzung des Flughafens Tempelhof, ist die Kreativwirtschaft ein wichtiger Bestandteil. Neben den Big Playern – Universal, MTV, Bread & Butter und internationalen Filmproduktionen – werden vor allem das „innovative kreative Milieu“ und die Anziehungskraft einer jungen und wilden Clubszene angeführt.

Das Konzept der kreativen Klasse hat der amerikanische Stadtforscher und Ökonom Richard Florida 2002 in dem Buch „Der Aufstieg der kreativen Klasse“ als eines der zentralen Leitbilder in der Stadtentwicklung dargestellt. In der Wissenschaft ist seine These, dass die Attraktivität einer Stadt für eine kreative Bohème und ihr wirtschaftlicher Erfolg zusammenfallen, stark umstritten. Da Florida aber ein einfaches Marketingkonzept zur Verfügung stellte, wurde es von den politisch Verantwortlichen vieler Städte mit Begeisterung aufgenommen. Der Begriff „kreative Stadt“ entwickelte sich zu einer zentralen Marke im Wettbewerb um Unternehmensstandorte. Dabei geht es einer „kreativen Stadt“ eigentlich gar nicht um die verschiedenen Segmente der Kulturwirtschaft, sondern darum, eine sogenannte kreative Klasse anzuziehen. Dafür sind vielfältige Urbanität und städtische Kultur lediglich wichtige Faktoren. Mit „kreativer Klasse“ ist jenseits des schönen Klangs vor allem eine Dienstleistungselite gemeint: Auch Bankmanager gehören nach Floridas Definition dazu.

Corporate Identity der Stadt

Die Marke „be berlin“ ist Bestandteil einer städtischen Corporate Identity, die sich vor allem auf die alternativ geprägte Kultur der Innenstadtbezirke, Clubs wie die Bar 25 und das Berghain sowie kleine Mode- und Musiklabels stützt. Da solche Institutionen und Betriebe in den meisten europäischen Städten schon völlig durch steigende Immobilienpreise verdrängt worden sind, hier aber die ständig weiterziehende Karawane der Zwischennutzer immer noch Orte mit vergleichsweise niedrigen Mieten findet, ist Berlin zu einem der zentralen Ziele eines Easy-Jet-Tourismus geworden, dem heute bereits viele Besserverdienende nachfolgen. Kern der Ideologie der „kreativen Stadt“ ist genau das: die Stadt im internationalen Wettbewerb zwischen Städten und Regionen als Marke aufzubauen, die diese Gutverdienenden anzieht.

Dienstleistung und Industrie

Die Kreativwirtschaft ist einer der wenigen wachsenden Wirtschaftszweige Berlins. Allerdings bleibt es trotz gegenteiliger Behauptungen zweifelhaft, ob dieses Wachstum die strukturellen Probleme der Berliner Wirtschaft beheben kann. In einer Studie für den DGB führt Sergei Goryanoff an, dass das Hauptproblem der Berliner Wirtschaft in der niedrigen Wertschöpfung des industriellen Sektors bestehe. Er stellt fest: „Die Dienstleistung nährt nicht die Dienstleistung.“ Eine einseitige Orientierung auf Dienstleistungen, zu der auch die Kreativwirtschaft gehört, sei deswegen nicht in der Lage, strukturelle Defizite zu überwinden.

Die Kreativwirtschaft umfasst nicht nur die traditionelle Kultur: Neben Musik und Theater gehören auch Design, Werbung, Softwareprogrammierung und Computerwartung zu den „Creative Industries“ – der Begriff ist also teilweise deckungsgleich mit der New Economy vergangener Jahre. Nicht zu vergessen ist außerdem, dass z. B. ein Musikunternehmen auch den Vertrieb, Marketing oder die Produktion des Tonträgers umfasst, also Bereiche, die wenig direkt mit Kreativität zu tun haben.

Hauptstadt der Callcenter, Putzkräfte und Security

In der Kreativwirtschaft sind die Arbeitsbedingungen äußerst unterschiedlich, entgegen der Behauptung Richard Floridas, dass ein gemeinsames Interesse einer kreativen Klasse bestehe. Zahlreiche ungelernte Arbeitskräfte sind zu Niedriglöhnen beschäftigt. Die Beschäftigten einer Veranstaltungshalle wie der O2-World bestehen überwiegend aus gering bezahltem Sicherheitspersonal und schlecht entlohnten Servicekräften, auch Kneipen und Clubs zahlen nur Niedriglöhne. Der Erfolg Berlins als Standort für internationale Filmproduktionsfirmen beruht vor allem auf den geringen Löhnen für gut ausgebildetes Personal. Auch beschäftigt die Kreativwirtschaft einen hohen Anteil von prekären Freiberufler/innen und wenig bis gar nicht bezahlten Praktikant/innen. Die Spaltung der Beschäftigten der Kreativwirtschaft ist zwar in allen Städten groß, aber Berlin ist gewissermaßen zu einem Billiglohnland der Kreativität geworden.

Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung

Der Verzicht auf eine Festanstellung wird von vielen kreativen Kleinunternehmer/innen als Chance zur Selbstverwirklichung erlebt, die niedrige Löhne, Unsicherheit und die Verlängerung des Arbeitstags in die Freizeit vergessen lässt. Unter anderem von den Angehörigen der „digitalen Bohème“, so die Selbstbezeichnung von Holm Friebe und Sascha Lobo für den neuen Typus moderner Freiberufler/innen im Internetzeitalter in ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit“, wird die Selbstverwirklichung in diesem neuen Arbeitstypus sogar überhöht: Sie nehmen die Existenzform als prekäre Freiberufler/innen gar nicht mehr als ökonomisches Verhältnis war, sondern als emanzipatorischen Gegenentwurf zur Arbeitsgesellschaft. Für einige individuelle Lebensentwürfe mag das nachvollziehbar sein, aber für die wenigsten Freiberufler/innen ist ihr Status mit einem Gewinn an individueller Freiheit verbunden. (Siehe auch den Beitrag „Der neue Traum vom festen Job“)

Aufwertung der Quartiere und steigende Mieten

Neben den niedrigen Löhnen sind es vor allem die im Vergleich mit anderen Großstädten geringen Mieten für Gewerberäume und die günstigen Lebenshaltungskosten, die in Berlin das Wachstum der Kreativwirtschaft erst ermöglichen und so den Ruf als innovative Kreativstadt begründen. Allerdings setzt meist, wenn ein Quartier von den kreativen Pionieren entdeckt wurde, eine Spirale der Aufwertung ein. Nicht nur alteingesessene Mieter/innen und Gewerbetreibende, sondern auch die ersten Pioniere werden mit der Zeit wieder verdrängt. Am Ende profitieren vor allem die Immobilienbesitzer von dieser Entwicklung sowie einige große Firmen, die das neue, hippe Berlin erfolgreich international vermarkten. Als Beispiel kann ein Gebiet des Stadtumbau-West-Förderprogramms am Kreuzberger Spreeufer dienen, nämlich die Gegend um das Schlesische Tor, die mit Millionensummen zu einem kreativem Quartier umgebaut werden soll. Ziel ist die „Entwicklung eines hochwertigen innerstädtischen Wirtschaftsstandorts, der private Investitionen und zukunftsfähige Arbeitsplätze“ ermöglichen soll. Um dies zu erreichen, soll eine „neue Kreuzberger Mischung“ etabliert werden, womit vor allem junge, erfolgreiche Kreative gemeint sind. Sprachlich an die „alte“ Kreuzberger Mischung angelehnt, haben in der „neuen“ Migrant/innen, Unangepasste und Leute mit geringem Einkommen höchstens noch als folkloristisches Element eines lebendigen Kreuzbergs Platz. Zentrale Maßnahmen sind die Aufwertung des öffentlichen Raums, eine Neugestaltung des Spreeufers, eine neue Brücke zur O2-World und das entsprechende Marketing für das Gebiet. Das alles soll nicht nur „private Investitionen stimulieren“, sondern auch die „Wohn- und Arbeitsplatzqualität für die ansässige wie für die noch zuziehende Wohn- und Arbeitsbevölkerung verbessern“. Da es Leerstand in diesem Bezirk derzeit eigentlich nur noch vereinzelt gibt, ist klar: Mit dem „Stadtumbau West“ wird die Verdrängung der bisherigen Bewohner/innen angestrebt oder zumindest in Kauf genommen, um Platz für wohlhabende Neuankömmlinge zu schaffen. Erste alarmierende Anzeichen von Mietsteigerungen zeigte die neue Topos-Studie für das Erhaltungsgebiet Luisenstadt auf (siehe MieterEcho Nr. 329/ August 2008).

Unternehmerische Stadt

Die politisch forcierte Veränderung zeigt den Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklungspolitik, der mit der Orientierung auf Kreativität beschritten wird. Anstatt integrierende Ansätze zu verfolgen, die die Interessen der lokalen Bevölkerung im Blick haben, sollen sich Angehörige der Mittelschicht und vor allem Unternehmen ansiedeln. Kreative Quartiere sind damit nur ein besser klingendes Wort für politisch forcierte Aufwertung und Verdrängung – also Gentrifizierung. Das Konzept der kreativen Stadt passt sich in die unternehmerische Stadt ein. Anstatt sozialen Ausgleich in den Mittelpunkt einer Politik zu stellen, wird die Stadt international an Investoren vermarktet – mit angeblich positiven Mitnahmeeffekten für die lokale Bevölkerung.

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