MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat BERLIN

Kinderzirkus und Verwertungslogik

Auf dem RAW-Gelände wird nicht nur gegen die Schwerkraft gekämpft

Anja Gessenhardt

Kreativ sein kann man auf viele Arten. Die Mitglieder des Vüsch auf dem RAW-Gelände sind es als Artist/innen. Vüsch steht für „Verein zur Überwindung der Schwerkraft“. Auch wenn der Name eine gehörige Portion Augenzwinkern beinhaltet, schimpfen die150 Vereinsmitglieder beim Training doch oft auf die Erdanziehung. Egal ob beim Jonglieren oder am Trapez, immer geht es darum, sich oder die Requisiten auf möglichst spannende Weise vom Erdboden zu entfernen.

Unter dem Namen Zirkus Zack werden Zirkuskurse für Kinder und Jugendliche angeboten. Nicht nur die Leistung, sondern auch der Erwerb sozialer Kompetenzen und die Stärkung des Selbstwertgefühls sind den Trainer/innen wichtig. In elf wöchentlichen Kursen trainieren ca. 160 junge Artist/innen, die das Erlernte regelmäßig in neuen Produktionen aufführen. Im Jahr 2008 kooperierte der Zirkus Zack mit der Modersohn-Grundschule: Zwei Wochen lang trainierten alle 380 Schüler/innen zusammen mit den Lehrer/innen und gaben vier Aufführungen für 2000 Zuschauer/innen.

RAW-Gelände an Investor verkauft

Seit vor anderthalb Jahren das gesamte Areal für geschätzte vier Millionen Euro an die R.E.D. Development GmbH verkauft wurde, ist allerdings die Lebensgrundlage der Kreativwirtschaftler des RAW-Tempels bedroht. Wie es aussieht, plant der Investor die Zukunft des Geländes ohne die bisherigen Nutzer/innen. Aber er will sich die Vorteile durch Zwischennutzungen natürlich nicht entgehen lassen, denn die Kreativen verleihen dem Areal ein Image, das die spätere Vermarktung erleichtert. Bloß sollen sie nicht nur kreativ, modern und flexibel, sondern vor allem kontrollierbar, unpolitisch und schnell wieder zu entfernen sein. Das widerspricht natürlich jeglicher soliden Kulturarbeit. Der Kinderzirkus und auch die Artist/innen des Vüsch haben aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit einen starken Rückhalt in der Nachbarschaft, bei Politikern und den Behörden, mit denen sie seit zehn Jahren konstruktiv in vielen Projekten zusammenarbeiten. Dem Investor scheint das ein Dorn im Auge zu sein, denn offensichtlich versucht er diese Bindungen zu schwächen. So ließ er u. a. die langjährige Spielstätte des RAW schließen und die, auch von der Anwohnerschaft geschätzten, Grünanlagen unangekündigt zerstören.

Während die ersten ehemaligen Nutzer/innen gehen müssen, werden andere Gebäude befristet neu vermietet. Neue Nutzer ziehen ein, die nur als Mittel zum Zweck dienen. So wurde ein Gebäude an eine Person vermietet, die aufgrund einer Gewalttat bei anderen Mieter/innen auf dem RAW-Gelände dauerhaftes Hausverbot hat. Bevorzugt werden neue Mieter aus der Gastronomie rekrutiert. Diskotheken, Clubs und Bars sind die Zwischennutzer mit dem höchsten Gewinn und der niedrigsten Halbwertszeit. Kultur ist hier weniger gefragt.

Viele Mieter/innen gekündigt

Der Investor ist angetreten mit Schlagworten wie „autofrei“, „fairtrade“, „ökologisch“ und „generationsübergreifend“. Mit „autofrei“ meint er dabei bislang eine Autowerkstatt, Parkplätze und eine neue Lkw-Einfahrt. Unter „ökologisch“ versteht er allem Anschein nach ungenehmigte Baumfällungen, und mit „fairtrade“ meint er definitiv nicht den Umgang mit seinen Mieter/innen. Denn mehrere laufende Gerichtsverfahren sind anhängig, über die Hälfte aller Nutzer/innen – auch neue – sind fristlos gekündigt.

Dabei könnte es so einfach sein. Eine Festschreibung einzelner Gebäude und Flächen für langfristige Kulturnutzungen oder sogar deren Verkauf an die heutigen Nutzer/innen würde nicht nur das Image des Investors deutlich verbessern. Insbesondere die bereits bestehende tiefe Verankerung der Kulturschaffenden im Bezirk könnte ihm kurzfristig viele Tore öffnen. Die Artist/innen kämpfen weiter, neuerdings nicht nur gegen die Schwerkraft, sondern auch gegen die Verwertungslogik der Investoren.

Kontakt: www.vuesch.org

RAW-Tempel e.V.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 333